Boris Johnson wollte sich nichts anmerken lassen. Arm in Arm traf der britische Premierminister mit seiner Freundin, Carrie Symonds, beim Tory-Parteitag in Manchester ein. Er lächelte, er winkte; was man eben so macht, wenn die Kameras auf einen gerichtet sind. Doch die vermeintlich gute Laune des Premiers änderte nichts daran, dass Johnson zum Auftakt des Treffens am Sonntag in ziemliche Erklärungsnot kam. Der Premierminister musste sich für eine Affäre rechtfertigen, die ihn sogar sein Amt kosten könnte.
Der Vorwurf wiegt jedenfalls schwer: Johnson soll in seiner Zeit als Bürgermeister von London die US-Geschäftsfrau Jennifer Arcuri mit Fördergeldern unterstützt haben, obwohl diese offenbar kein Anrecht darauf hatte. Und damit nicht genug: Johnson, so berichtete es die Sunday Times, habe auch ein Verhältnis mit dem früheren Model gehabt. Es geht also um mutmaßlichen Amtsmissbrauch und die mögliche Veruntreuung von Steuergeld. Der Londoner Stadtverwaltung zufolge liegen Indizien für eine Straftat vor. Bewiesen sei damit noch nichts, erklärte die Greater London Authority; ob ermittelt werde, müsse nun die Polizei entscheiden.
Johnson wies die Vorwürfe zurück. "Ich bin sehr, sehr stolz auf alles, was wir getan haben, und sicherlich auch auf das, was ich als Bürgermeister von London gemacht habe", sagte der Premierminister in der BBC. Er habe sich an die Vorschriften gehalten, sagte der Regierungschef. Auch die inzwischen wieder in den USA lebende Unternehmerin Arcuri wies die Beschuldigungen zurück: "Alle Zuschüsse, die meine Firmen erhielten, betrafen ausschließlich meine Rolle als legitime Geschäftsfrau."
Großbritannien:Amtsmissbrauch? Johnson wehrt sich gegen Vorwürfe
Vor dem Parteitag der Tories steigt der Druck auf Premier Johnson. Es geht um seine Rhetorik - und um vermeintliche Gefälligkeiten für ein amerikanisches Ex-Model.
Zehntausende Pfund und "privilegierte Zugänge" in der halben Welt
So erhielt ihre Technologie-Firma Innotech Network im Oktober 2013 eine Unterstützung in Höhe von 10 000 Pfund. Diese wurde von dafür zuständigen Mitarbeitern des Bürgermeisters für eine Veranstaltung genehmigt, auf der Johnson eine Rede halten sollte. Im Jahr darauf erhielt Arcuri 1500 Pfund für ein Event im britischen Unterhaus. Es folgten weitere 15 000 Pfund aus einer öffentlichen Kasse, die ausländische Unternehmer dabei unterstützen soll, in Großbritannien zu investieren. Außerdem soll Johnson dafür gesorgt haben, dass Arcuri bei Handelsdelegationsreisen dabei sein durfte, obwohl dies zuvor von der dafür zuständigen Stelle untersagt worden war. Die Amerikanerin habe damit "privilegierte Zugänge" in Singapur, Malaysia, New York und Tel Aviv bekommen, die ihr laut Sunday Times nicht zugestanden hätten.
Eine der entscheidenden Fragen ist nun, ob Johnson gegen den für Londoner Bürgermeister gültigen Verhaltenskodex verstoßen hat. Demnach hätte er jegliche Interessenskonflikte melden müssen, die ihn in der Ausführung seines Amtes beeinträchtigen. Dies zu beurteilen, ist nun Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Die Stadtverwaltung hat außerdem eine Befragung Johnsons beschlossen. Würde er sich dieser widersetzen, droht dem Premierminister eine dreimonatige Gefängnisstrafe.
Der britische Premierminister wittert ein "politisch motiviertes" Manöver seiner Gegner
Für Johnson, der von 2008 bis 2016 Bürgermeister der britischen Hauptstadt war, kommt die Affäre Arcuri zur Unzeit. Er wittert jedenfalls ein "politisch motiviertes" Manöver seiner Gegner. In der Tat kommt Johnson immer stärker in Bedrängnis. Seine Handlungsmöglichkeiten als Premierminister sind seit seinem Amtsantritt massiv gesunken. Der Parteitag der Tories in Manchester soll nun seine Niederlagen im Unterhaus und vor dem Obersten Gerichtshof vergessen machen. Johnson will sich als derjenige präsentieren, der den Volkswillen endlich umsetzt und das Vereinigte Königreich am 31. Oktober aus der EU führt. Sein Motto lautet: "Let's get Brexit done!"
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Mit markigen Worten hatte der Premierminister getönt, er liege lieber "tot im Graben", als in Brüssel um einen neuerlichen Brexit-Aufschub zu bitten. Doch genau das müsste er laut Gesetz machen, wenn er bis zum 19. Oktober keinen Deal mit der EU vorweisen kann. Johnson verunglimpft dies als "Kapitulationsgesetz" ("Surrender Bill"). Ob er sich daran halten wird, ließ er am Sonntag erneut offen. Wie es aussieht, dürften sich nicht nur die Abgeordneten im Unterhaus auf eine schmutzige Kampagne einstellen. So berichtete die Mail on Sunday etwa mit Verweis auf Downing-Street-Quellen, dass die Regierung nun untersuchen wolle, ob das besagte Gesetz mit Hilfe der EU ausgearbeitet worden sei. Insbesondere die französische Regierung solle daran mitgewirkt haben.
Johnson hätte gute Presse nötig
In Manchester hieß es aus Tory-Kreisen, dass dies jedoch auch ein weiteres Ablenkungsmanöver von Johnsons engsten Mitarbeitern sein könnte. Solche Geschichten seien offenbar nötig, um seine Gegner zu diskreditieren. Gute Presse hätte der Premierminister in der Tat nötig, denn aus dem Buckingham Palast verlautete am Wochenende, dass die Berater der Queen von Johnson "die Nase voll hätten". Immerhin soll sich der Premierminister nach seiner Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof bei seiner Majestät entschuldigt haben, berichtete die Sunday Times. Johnson hatte die Queen darum gebeten, das Unterhaus in die Zwangspause, die sogenannte Prorogation, zu schicken. Dies hatte der Supreme Court aber in der vergangenen Woche für rechtswidrig erklärt.
Als gäbe es nicht schon genug Affären, musste sich Johnson am Wochenende noch mit weiteren Anschuldigungen auseinandersetzen. So warf ihm der frühere Schatzkanzler Philip Hammond vor, die Unterstützung von Spekulanten zu genießen, die Milliarden auf einen No-Deal-Brexit gesetzt hätten, um von einer Schwäche des britischen Pfundes zu profitieren. "Für sie taugt nur ein einziges Ergebnis: ein krachender No-Deal-Brexit, der die Währung abstürzen und die Inflation ansteigen lässt", schrieb Hammond in der Times.
Weitaus gravierender ist aber noch ein anderer Vorwurf: Die Sunday-Times-Kolumnistin Charlotte Edwardes bezichtigte Johnson, sie in seiner Zeit als Chefredakteur des konservativen Spectator-Magazins um die Jahrtausendwende bei einem Abendessen begrapscht zu haben. Später habe sie erfahren, dass es einer Frau, die ebenfalls neben Johnson saß, genauso ergangen sei, schrieb Edwardes.