John Demjanjuk:Der letzte große NS-Prozess

Die Hauptverhandlung gegen John Demjanjuk beginnt im November in München. Ihm wird Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden vorgeworfen. Der Angeklagte ist jeden Tag nur für kurze Zeit verhandlungsfähig.

Robert Probst

Seit dem 12. Mai sitzt der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk, 89, nun schon im Gefängnis München-Stadelheim. Und dort wird er vermutlich auch noch eine ganze Weile bleiben müssen - zumindest so lange, bis der Prozess gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor abgeschlossen ist.

Die Erste Strafkammer des Landgerichts München II hat nun die Anklage der Staatsanwaltschaft zugelassen, der Prozess wird im November beginnen, genaue Termine stehen noch nicht fest. Ein Beginn in der ersten Woche scheint aber unrealistisch zu sein. Es wird das wohl letzte ganz große NS-Verfahren sein.

Es wird aller Voraussicht nach eine sehr lange Hauptverhandlung werden, aus zwei Gründen: Demjanjuk ist alt und krank. Nach der Aussage von Gutachtern ist er zwar verhandlungsfähig - allerdings nicht länger als zweimal 90 Minuten pro Tag. Zum anderen hat Demjanjuk bisher keine Angaben zu den Vorwürfen gemacht, sodass ein komplizierter Indizienprozess zu erwarten ist. Noch lebende Zeitzeugen aus dem Lager Sobibor, die Demjanjuk bewusst wahrgenommen haben, gibt es nicht.

In der Anklageschrift wird zunächst allgemein geschildert, wie das System der NS-Vernichtungslager im besetzten Polen funktionierte. In Sobibor wurden in den Jahren 1942/43 mehr als 250.000 Juden vergast. Dabei wurde das Lager lediglich von etwa 30 deutschen SS-Soldaten und etwa 100 bis 150 Angehörigen der "fremdvölkischen Wachmannschaften" betrieben, meist ukrainische Rotarmisten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Unter ihnen auch Iwan (später John) Demjanjuk.

"Bereitwillig, heimtückisch und grausam"

Laut Dienstausweis - dem Hauptbeweisstück der Anklage - war er von 28. März bis Mitte September 1943 in Sobibor tätig. Demjanjuk hatte den niedrigsten Dienstgrad des Wachmanns. Nach Meinung der Staatsanwälte sind aber beim Eintreffen eines sogenannten Judentransports stets alle Angehörigen des Personals am "Vernichtungsprozess" beteiligt gewesen, also beim Entladen der Güterzüge und dem Entkleiden der Opfer. Den Ukrainern sei außerdem die Aufgabe zugefallen, bewaffnet mit Schusswaffen und Schlagstöcken jeglichen Widerstand zu unterbinden und die Menschen in die Gaskammern zu treiben. Demjanjuk sei bekannt und bewusst gewesen, dass der einzige Zweck des Lagers die Vernichtung der Juden gewesen sei. Hiebei habe er bereitwillig, heimtückisch und grausam mitgemacht - dabei habe er die Möglichkeit zur Flucht gehabt.

Als Nebenkläger treten neun NS-Opfer auf, deren Angehörige in Sobibor ermordet wurden. Die meisten von ihnen stammen aus den Niederlanden. Denn von dort kamen während der Zeit, die in Demjanjuks Ausweis vermerkt ist, 15 Transporte nach Sobibor. Mindestens 27.900 Juden wurden in dieser Zeit in dem Lager ermordet, mehr als 1900 waren deutsche Juden, die ins vermeintlich sichere Nachbarland geflohen waren.

Demjanjuk war nach dem Krieg in die USA emigriert, bereits in den achtziger Jahren war er nach Israel ausgeliefert worden, wo er als "Iwan, der Schreckliche", der im Vernichtungslager Treblinka gewütet haben soll, zum Tode verurteilt wurde. 1993 wurde er jedoch vom Obersten Gericht freigesprochen, weil ein eindeutiger Nachweis fehlte. Doch bereits damals hatte es Hinweise auf eine Verbindung zu Sobibor gegeben.

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