Süddeutsche Zeitung

Joe Biden ist US-Präsident:Das Prinzip Würde ist zurück

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Am ersten Amtstag droht Biden, jeden Mitarbeiter "auf der Stelle" zu feuern, der jemanden respektlos oder herablassend behandelt. So etwas war zu lange nicht zu hören im Weißen Haus.

Von Thorsten Denkler, New York

Irgendwann am Nachmittag hat Joe Biden zwischen all den Terminen und Besprechungen am ersten Tag seiner Präsidentschaft noch eine nicht ganz unwichtige Aufgabe zu erledigen. Er muss Hunderten Mitarbeitern seiner neuen Regierung den Amtseid abnehmen. Biden steht vor einer Reihe von Bildschirmen, auf denen unzählige Gesichter zu sehen sind. Biden hat eine unmissverständliche Botschaft an sie. Wenn ihm je zu Ohren kommen sollte, dass einer von denen, die ihm jetzt gerade zuhören, einen Kollegen, eine Kollegin oder irgendwen respektlos behandelt oder heruntermacht, dann, verspricht Biden, "dann werde ich Sie auf der Stelle feuern". Und damit das nicht wie eine versehentliche Härte nach einem anstrengenden Tag klingt, legt er noch einmal nach: "Auf der Stelle."

Das mag etwas rüde klingen. Aber setzt doch den Ton für das, woran sich Biden messen lassen will in den kommenden Jahren: Wer nicht bereit ist, für die Sache zu arbeiten, der kann gehen. Und die Sache ist am besten beschrieben mit dem Wahlversprechen, mit dem er sich im Frühjahr 2019 aufgemacht hat, seinen Vorgänger aus dem Amt zu jagen. Biden will die "Seele der Nation" wiederherstellen. Er will, dass Würde, Anstand und Ehre wieder achtenswerte Begriffe in der politischen Kultur des Landes werden. Von sich und seinen Mitarbeitern verlangt er nicht weniger, als dass sie mit bestem Beispiel vorangehen. Nach vier Jahren Trump ist das ein neuer Ton im Weißen Haus.

Trump hat Leute gefeuert, wenn sie nicht loyal waren. Oder wenn sie ihm schlicht auf den Keks gegangen sind. Zum Schluss hatte er lauter Jasager um sich herum. Die oberste Maxime war, den Boss möglichst nicht zu verärgern. Zu Trumps selbstinszeniertem Abschied an der Joint Base Andrews kamen noch ein paar eilig zusammengerufene Claqueure. Und seine Familie. Selbst sein bis zum Sturm auf das Kapitol treu ergebener Vize Mike Pence hatte angeblich Besseres zu tun.

Den ganzen Tag war zu beobachten, wie der Teil Amerikas, der sich nach Normalität im Umgang und nach Anstand sehnte, jede Sekunde dieser Inauguration aufsaugte. Auf den Fernsehsendern, die nicht zum ganz rechten Spektrum gehörten, wurde jedes Anzeichen dieser neuen Normalität bis ins Detail analysiert.

Der Auftritt von Jen Psaki etwa, der neuen Pressesprecherin des Weißen Hauses. Sie hatte noch am Abend ihre erste Pressekonferenz im James S. Brady Press Briefing Room des Weißen Hauses abgehalten. Und im Grunde ihren Job gemacht. Entspannt und souverän erklärte sie den Journalisten, welche Verfügungen Biden unterschrieben hatte und beantwortete erste Fragen so gut sie es konnte. Die Briefings soll es jetzt wieder jeden Tag geben. Unter Trump hatten sie Seltenheitswert. Ergiebig waren sie ohnehin nicht.

Was Psaki nicht gemacht hat: Den Journalisten erst mal direkt ins Gesicht zu lügen. So wie vor vier Jahren, als Sean Spicer seine Premiere als Trumps Pressesprecher hatte. Den verdutzten Journalisten erklärte er, dass noch nie so viele Menschen an der Amtseinführung eines Präsidenten teilgenommen hätten wie bei der von Trump kurz zuvor. "Punkt!", brüllte Spicer in den Raum. Obwohl jeder, der sehen konnte, gesehen hat, dass Obama mehr Zuschauer hatte.

Wer dachte, dass das nur ein Ausrutscher unter Stress gewesen sei, der sah sich schnell getäuscht. Auf Spicer folgten noch drei Pressesprecherinnen. Und alle konnten lügen, ohne rot zu werden. Das schien ihre hervorstechende Eigenschaft gewesen zu sein.

Biden will das alles schnell hinter sich lassen. Seine Botschaft an die Nation lautete an diesem Tag: "unity", Einigkeit.

Kurz vor Mittag steht er mit dieser Botschaft auf den Stufen der Westseite des Kapitols am Pult und hält seine erste Rede als frisch eingeschworener 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Er mahnt, er fleht, dass "Meinungsverschiedenheiten nicht gleich zu Krieg führen" müssten. Dass die Menschen aufhören sollten, "sich anzubrüllen", sie sollten ihre Temperatur senken, sagt er. Und dass sie zumindest versuchen sollten, für einen Moment in die "Schuhe des anderen zu treten", um deren Standpunkt zu verstehen.

"Es geht um Sie, das amerikanische Volk"

Am Abend eine letzte kurze Rede am Lincoln Memorial am Westende der National Mall in Washington. Biden hält sie im Rahmen der Fernsehshow zu seinen Ehren. "Celebrating America" mit dem Schauspieler Tom Hanks als Gastgeber und Pop-Größen wie Bruce Springsteen als Top Acts.

Hanks kündigt die Rede von Biden an, die Kamera fährt in das Memorial, fängt Lincoln ein und schwenkt dann nach rechts, wo Biden umrahmt von zwei Flaggen steht. Im Hintergrund die in Stein gravierte Amtseinführungsrede von Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Trump hat sich mal genau an dieser Stelle in einem Interview mit Lincoln verglichen. Es heiße, kein Präsident sei schlechter behandelt worden als Abraham Lincoln, behauptete er. Trump sagte, er glaube, er selbst werde noch schlechter behandelt.

Biden dagegen sagt, es bewege ihn, in dieser Halle zu stehen und zu wissen, dass er mit Lincoln jetzt das Amt gemeinsam habe. Dass er aber vor allem klarmachen wolle, dass es hier nicht um ihn gehe. Sondern "um Sie, das amerikanische Volk". Und dann sagt er es wieder, das Wort Einigkeit, die nur erreicht werden könne, wenn alle zusammenstehen. In Respekt und Würde. Das ist nicht besonders spannend. Nicht besonders aufregend. Aber das ist eben Biden. Und vor allem: Es ist nicht Trump.

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