Knapp vier Monate noch darf Joe Biden das Weiße Haus sein Zuhause nennen. In den oberen Geschossen des bald 224 Jahre alten Gebäudes mitten in Washington befindet sich die Privatwohnung des US-Präsidenten und der First Lady, in den unteren empfangen sie Besucher. Er wäre bekanntlich gern vier weitere Jahre dort geblieben; nur schätzten seine Parteifreunde und Geldgeber seine Chancen auf eine Wiederwahl nicht so hoch ein wie er selbst.
Seit Biden aus dem Präsidentschaftsrennen ausgeschieden ist, ist es deutlich ruhiger geworden um den 81-Jährigen. Die Plätze im Presseraum des Westflügels des Weißen Hauses sind nicht mehr die begehrtesten in der Hauptstadt, seit die führenden Politreporter lieber der neuen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris hinterherfliegen. Höchste Zeit also für Biden, sein politisches Vermächtnis zu polieren, bevor am 5. November seine Nachfolge geklärt ist und er bis zum 20. Januar 2025 ausziehen muss. Der Gedanke an seine Hinterlassenschaft dürfte dazu beigetragen haben, dass Biden am kommenden Samstag erstmals ausländische Staatschefs nicht in offiziellen Räumlichkeiten des US-Präsidenten willkommen heißen wird, sondern in seinem Privathaus in Wilmington.
Persönliche Beziehungen als wesentlicher Bestandteil der Außenbeziehungen
Das Treffen ist eine Miniatur der Außenpolitik von Joe Biden in den vergangenen vier Jahren. Er lädt zum Gipfeltreffen eines Bündnisses namens Quad in einen sehr intimen Rahmen ein. In dem Haus, das er einst selbst zeichnete und das seine Familie seit bald 30 Jahren bewohnt, empfängt er die Ministerpräsidenten von Australien, Indien und Japan.
Trotz der großzügigen Wohnfläche von mehr als 600 Quadratmetern ist Bidens Heim allerdings eine Spur zu klein für sämtliche Arbeitstreffen rund um den Gipfel mit Anthony Albanese, Narendra Modi und Fumio Kishida sowie ihren Stäben. Der Präsident richtet darum zum Beispiel das Gala-Dinner in seiner früheren Schule aus, der Archmere Academy. Die Gäste müssen sich dabei nicht der Nüchternheit einer amerikanischen Schulcafeteria aussetzen, sondern dinieren im Hauptgebäude der katholischen High School, einer prächtigen Villa im Stil der Neorenaissance. Diese Mischung von privater Intimität und offiziellem Pomp ist typisch für Biden.
Er ist ein Außenpolitiker alter Schule, überzeugt davon, dass persönliche Beziehungen ein wesentlicher Bestandteil der Außenbeziehungen sind. Als er nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine das Verteidigungsbündnis Nato zusammenhielt, legte er viel Gewicht auf den persönlichen Austausch mit wichtigen Partnern – darunter die Präsidenten der Ukraine und Frankreichs sowie der deutsche Kanzler.
Nun fokussiert er sich in den letzten Monaten seiner Amtszeit darauf, Bündnisse zu festigen und auf eine etwaige Wiederwahl seines Widersachers Donald Trump vorzubereiten. Mit dem Treffen der Quad etwa will er das Signal an China senden, das Viererbündnis werde die anstehenden Wechsel in den Führungsspitzen der Mitglieder überdauern. Noch vor Biden wird der japanische Premierminister Fumio Kishida im September aus dem Amt scheiden, 2025 dürften auch in Australien Wahlen stattfinden.
China sieht in der Quad eine „Indopazifik-Nato“
Die Quad ist beispielhaft für Bidens Außenpolitik. Wohl war es Donald Trump, der das eingeschlafene Bündnis 2017 wiederbelebte, als Gegengewicht zu China, das darin eine „Indopazifik-Nato“ sieht. Biden scheute sich nicht nur nicht, es weiterzuführen, sondern stärkte es entscheidend, indem er daraus einen regelmäßigen Dialog der höchsten politischen Führungsebene der vier Länder machte.
So brachte Biden vier Staaten mit sehr unterschiedlichen Interessenlagen und Beziehungen mit China zusammen. Japan hat wohl eine historische Aufrüstung gestartet, will den großen Nachbarn aber nicht provozieren – gerade jetzt, da in China Stimmung gemacht wird gegen Japaner, die einstigen Kolonisten. Eben erst starb ein zehnjähriger japanischer Schüler in der chinesischen Stadt Shenzhen durch einen Messerangriff.
Auch Indiens Ministerpräsident Narendra Modi verfolgt einen vorsichtigen Kurs gegenüber dem Nachbarland China. Die beiden Mächte mit Milliardenbevölkerung arbeiten daran, ihre schwierigen Grenzbeziehungen etwas zu entspannen. Auch widersetzt sich Modi bisher den US-amerikanischen Bemühungen, Indien in die Allianzen gegen Russland, Chinas Halbpartner, einzubinden.
Bisher wurde das Ziel der Quad explizit als „positiv“ und „praktisch“ beschrieben, der Fokus lag nicht auf der Abwehr gegen China, sondern auf „Entwicklung, Stabilität und Wohlstand der Region“. Nun will Biden versuchen, „aggressive Militäraktionen“, „unfaire Handelspraktiken“ und „Spannungen in der Straße von Taiwan“ zur Sprache zu bringen, wie John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, sagte. Das schrittweise Vorgehen passt zu Bidens Verständnis der Bündnispflege, in dem die USA eine Führungsrolle beanspruchen, die Partner aber nicht zu überfahren versuchen.
Dahinter steckt die Einsicht, dass die USA allein nicht in der Lage sind, die aufstrebende Großmacht China im Zaum zu halten. Biden hatte sich zu Beginn seiner Präsidentschaft auf Konfrontationskurs mit Pekings Machthaber Xi Jinping begeben, den er mehrmals einen Diktator nannte. Die Spannungen erreichten ihren Höhepunkt, als er einen chinesischen Spionageballon über der US-Ostküste abschießen ließ und die Ausfuhr von Hochleistungs-Computerchips nach China untersagte. Die Rede war von Handelskrieg und Abkoppelung der Wirtschaftsräume, die ordentlichen Gesprächskanäle funktionierten nicht mehr.
Inzwischen reden die USA und China wieder miteinander
Inzwischen reden die beiden Seiten wieder miteinander. Biden hat zwar eben erst weitere Zölle auf chinesische Produkte in Kraft gesetzt, unter anderem auf Elektrofahrzeuge. China wiederum beansprucht Teile des Südchinesischen Meers für sich, die als Hoheitsgewässer anderer Staaten gelten oder internationale Gewässer sind. Doch signalisieren beide Länder immer wieder von Neuem, den Wettstreit nicht eskalieren lassen zu wollen. Die Pflege dieses fragilen Gleichgewichts der Kräfte im Indopazifik und die Stärkung multipolarer Allianzen als langfristige Gegengewichte zu China sind Bidens Antwort darauf.
Kritiker werfen dem US-Präsidenten vor, die Produktion für Kriegsschiffe, Kampfjets und Munition viel zu wenig beschleunigt zu haben und China nicht entschieden genug entgegenzutreten – ähnlich, wie sie ihm vorhalten, der Ukraine zu wenig Unterstützung zukommen zu lassen. Vor Kurzem warnte die „Commission on the National Defense Strategy“ vor dem „Potenzial eines baldigen großen Kriegs“. Laut einer vom Kongress bestellten Gruppe von unparteilichen Sicherheitsfachleuten werden die USA so ernsthaft bedroht wie seit 1945 nicht mehr, und sie seien darauf nicht vorbereitet. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass die Volksarmee sich darauf vorbereite, spätestens 2027 eine Invasion in Taiwan zu starten.
Joe Biden wird jedoch längst nicht mehr im Weißen Haus wohnen, wenn sich zeigt, ob seine Außenpolitik aufgeht, die Kamala Harris – sollte sie die Wahl gewinnen – weiterführen dürfte. Oder ob Donald Trumps Behauptung stimmt, dass er besser als andere wisse, wie „sein Freund“ Xi Jinping von einem Krieg abzuhalten sei.