Joe Biden und Barack Obama:Die Bromance der O'Bidens

Freiheitsmedaille für Joe Biden

US-Präsident Barack Obama (links) bei der Verleihung der Freiheitsmedaille an seinen Vizepräsidenten Joe Biden im Weißen Haus in Washington.

(Foto: dpa)

Obama verleiht seinem Vizepräsidenten zum Abschied einen Orden - und das liberale Amerika bricht mit Joe Biden in Tränen aus. Wie die Freundschaft zweier unterschiedlicher Männer zur Anti-Trump-Internet-Sensation wurde.

Von Matthias Kolb, Washington

Barack Obama weiß natürlich, wie die Reaktion ausfallen wird. "Dies ist die letzte Chance für das Internet, um über unsere Bromance zu reden", sagt der US-Präsident bei der Zeremonie im Weißen Haus und sofort klopft ihm Joe Biden lachend auf die Schulter. Acht Jahre waren die Demokraten ein Team und so ist es Obama ein Anliegen, seinen Stellvertreter zu ehren.

Der scheidende US-Präsident referiert zunächst Bidens lange Karriere, doch das Internet wird sich nur an eine Szene erinnern. Nach 14 Minuten verkündet Obama, Joseph Robinette Biden Jr. die Freiheitsmedaille des Präsidenten zu verleihen - eine der beiden höchsten zivilen Ehrungen. Der Vizepräsident reagiert wie immer: emotional. Er wendet dem Publikum den Rücken zu, zieht ein Taschentuch aus der Tasche und wischt sich die Tränen aus den Augen. Dann dreht sich Biden um und atmet mehrmals tief aus.

Die entsprechenden Videos und Gifs werden millionenfach auf Twitter und bei Facebook verbreitet - einen Tag nach Donald Trumps krawalliger Pressekonferenz und acht Tage vor dessen Vereidigung weint die liberale Hälfte Amerikas mit dem gerührten Joe Biden. Kurz nach Obamas emotionaler Abschiedsrede erinnert diese Zeremonie daran, wie außergewöhnlich diese Männerfreundschaft ist - in Anspielung an die irischen Vorfahren des Vizepräsidenten nannte die Washington Post das Duo kürzlich die "O'Bidens".

Um den Schock über Trumps Wahlsieg zu bewältigen, verbreiteten viele Liberale diverse Memes, in denen Biden sich Streiche ausdenkt (mehr bei jetzt.de), um Trump den Start im Weißen Haus zu erschweren.

Noch beliebter ist es, dem coolen "No Drama" Obama und seinem Stellvertreter Dialoge in den Mund zu legen.

Biden wuchs in Armut in der Industriestadt Scranton in Pennsylvania auf und hat es stets vermocht, von weißen Arbeitern im Rust Belt ernst genommen zu werden - also von jenen Wählern, die Hillary Clinton sehr skeptisch sehen und Trump eine Chance geben wollen.

Seit Jahren sorgen Fotos von ihm online für Aufsehen. Die Satire-Website The Onion hat mit "Diamond Joe" eine Kunstfigur erschaffen, die mit seiner Biografie kokettiert und ihm eine große Liebe zu schnellen Autos und zu Eiscreme unterstellt. Biden reagiert auf so etwas mit Humor - und seine vielen Besuche bei Eisdielen im ganzen Land sind gut dokumentiert.

In Washington war der heute 74-Jährige stets sehr populär, doch erst an der Seite von Obama wurde er zur liberalen Ikone. Biden wurde 1972 in den Senat gewählt und leitete bereits ein Jahrzehnt lang den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, als Obama Anfang 2005 dort auftauchte. Biden hielt den Afroamerikaner für smart, aber für einen Neuling, wie er jüngst der Washington Post sagte. Drei Jahre später war es ausgerechnet dieser Neuling, der Bidens zweite Präsidentschaftskandidatur vorzeitig beendete.

Im August 2008 machte Obama Biden zu seinem running mate, um seine fehlende Washingtoner Erfahrung zu kontern. "Joe, du warst die erste Personalentscheidung, die ich als Kandidat getroffen habe und sie war die beste", rief Obama in Chicago in seiner Abschiedsrede und ergänzte: "Ich habe einen Bruder gewonnen."

Enge Arbeitsteilung im Weißen Haus

Diese Verbundenheit war acht Jahre lang spürbar: Biden übernahm viel Verantwortung in Sachen Außenpolitik, während Obama sich um die Folgen der Finanzkrise kümmerte. Auch wenn Biden emotionaler ist als Obama: In nahezu allen Politikfeldern waren sie sich einig. Gewiss: Biden hat sich oft verplappert und etwa im Frühjahr 2012 seine Unterstützung für die Homo-Ehe verkündet - doch die Hauptkritik richtete sich hier wie in anderen Fällen darauf, dass er etwas früher ausplauderte als beabsichtigt.

Bis zum Schluss blieb Biden ein loyaler Partner, er war ein effektiver Wahlkämpfer und wies 2012 Romneys Vizekandidaten Paul Ryan in seine Schranken, nachdem Obama im ersten TV-Duell gepatzt hatte. Wie eng die Freundschaft zwischen beiden ist, illustriert eine Episode aus dem Frühjahr 2015: Damals erwähnte Biden bei einem Mittagessen, wie teuer die Behandlung des Hirntumors seines Sohns Beau sei und dass er überlege, sein Haus in Delaware zu veräußern. Obamas Antwort: "Verkauf das Haus nicht. Versprich mir, dass du das nicht tust. Ich gebe dir das Geld, aber verkauf das Haus nicht."

Joe Biden musste das Haus nicht verkaufen, aber Sohn Beau verlor im Mai 2015 den Kampf gegen den Krebs. Für Biden war dies ein weiterer Schicksalsschlag: 1972 waren seine erste Ehefrau und die kleine Tochter bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Beau Biden und sein jüngerer Bruder Hunter, die ebenfalls in dem Auto saßen, hatten damals den Unfall überlebt. Dieser Verlust führte dazu, dass Biden sich nicht durchringen konnte, Hillary Clinton herauszufordern und ein drittes Mal fürs Weiße Haus zu kandidieren.

Wie Joe Biden seit Jahrzehnten über die eigene Trauer spricht und zugleich Tausenden Eltern, die ähnliche Situationen durchleiden, Mut zuspricht, hat Millionen imponiert. Seine Rede aus dem Jahr 2012 vor Angehörigen, deren Verwandte als Soldaten getötet wurden, beeindruckt durch ihre enorme Menschlichkeit. Viele US-Politiker gelten als abgehoben und sind dies auch: Joe Biden ist es nicht.

Vizepräsident bedankt sich mit einer Liebeserklärung

Auf die Verleihung der Freiheitsmedaille (sie ist mit einer speziellen Auszeichnung versehen, "with Distinction", die zuvor zum Beispiel Papst Johannes Paul II., Ronald Reagan, die Apollo-11-Astronauten und Colin Powell erhielten) reagiert Biden mit einer sehr typischen und sehr bewegenden Rede. Er verbeugt sich vor dem überaus anständigen Obama, den er einen "einsamen Wolf" nennt, und dessen Familie.

Mit viel Pathos beendet er seine Rede mit Worten voller Zuneigung, die man im polarisierten Washington selten hört: "Solange ich noch einen Atemzug in mir habe, werde ich für dich und deine Familie da sein. Ich weiß, dass dies im Gegenzug genauso ist."

Wenn er in einer Woche aus dem Amt des Vizepräsidenten ausscheidet, will sich Biden dafür engagieren, dass mehr Geld in die Krebsforschung investiert wird. Sein Ansehen ist parteiübergreifend hoch: Die Republikaner wissen, dass sie mit ihm stets Deals machen konnten. Auch Konservativen gefällt, dass sich Biden nicht verbiegt und an seinen Ritualen festhält: Seit 44 Jahren pendelt er mit dem Zug zwischen Washington und seiner Heimat Delaware hin und her.

Und wird das Internet die Freundschaft zwischen Obama und Biden vergessen? Die vielen Bromance-Memes werden sicher noch eine Weile kursieren.

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