Es sagt vielleicht schon viel über die Corona-Lage in den USA aus, dass Joe Biden bei seiner ersten Pressekonferenz als Präsident keine einzige Frage dazu gestellt wurde. Die Zahl der Impfungen steigt, die Zahl der Neuansteckungen sinkt, die Arbeitslosenquote geht ebenfalls zurück - zumindest im Moment stehen alle Zeichen auf Entspannung. Aus Sicht der Korrespondenten im Weißen Haus ist die Pandemie also nicht mehr das wichtigste Thema. Keine Kontroverse, wie sonst mit Donald Trump - keine News.
Der Einzige, der Corona erwähnte, war deshalb Biden selbst, gleich zu Beginn. Er gab bekannt, dass in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit 200 Millionen Impfungen verabreicht werden sollen - das ist eine Verdopplung des bisherigen Impfziels und für die USA inzwischen problemlos erreichbar. Danach ging es am Donnerstag um all die Themen, über die Biden weniger gerne reden wollte. Allen voran: Die Situation an der Südgrenze, über die derzeit Tausende unbegleitete Migrantenkinder kommen, von denen viele in überfüllten Lagern untergebracht werden.
Die Bedingungen in den Lagern, zu denen die US-Regierung den Medien faktisch keinen Zutritt gewährt, seien "inakzeptabel", räumte er ein. Er bestritt, dass die Zunahme von Migranten mit seinem Amtsantritt zu tun habe. "Sie kommen nicht, weil ich ein netter Typ bin." Auch unter Trump, der Migranten "ohne Würde" behandelt habe, hätten sich jeden Frühling Tausende Menschen aus Zentralamerika auf den Weg in den Norden gemacht. Das Problem sei, dass unter Trump die Auffanglager und Durchgangszentren abgebaut worden seien, sagte der Präsident.
Es war nicht das einzige Mal, dass sich Biden von seinem Vorgänger abgrenzte. Einen scharfen Kontrast zog er, als er auf eine Frage zum Verhältnis zu China antwortete. Chinas Staatschef Xi Jinping glaube wie auch Russlands Präsident Wladimir Putin, dass "die Autokratie die Welle der Zukunft" sei - und die Demokratie ein Auslaufmodell. Im Gegensatz zu Trump werde er aber im Umgang mit China auf die Einhaltung von Menschenrechten dringen. "Der Moment, an dem ein Präsident davor zurückschreckt, so wie es der letzte tat, ist der Moment, an dem wir unsere Legitimität in der Welt verlieren", sagte Biden.
Viele Medien hatten erwartet, dass Biden sich verhaspelt oder verrennt
Vor der Pressekonferenz war in den US-Medien von einem "Minenfeld" die Rede gewesen, das auf ihn warte. Dabei ist es nicht so, dass Biden zuvor abgetaucht wäre. Der Präsident reist derzeit durch das Land, um sein Corona-Rettungspaket zu bewerben. Er hat TV-Interviews gegeben, er beantwortet fast täglich aktuelle Fragen, die ihm von Reportern zugeworfen werden. Doch was bisher gefehlt hatte, war eine formelle Pressekonferenz, die Journalisten Gelegenheit zu Nachfragen gibt. Biden ließ sich dafür 64 Tage Zeit - so lange wie keiner seiner Vorgänger.
Es ist fraglich, ob die meisten Amerikaner sich daran gestört haben. Doch für die Washingtoner Medien war dies eines der wichtigsten Themen, für manche sogar ein Skandal. Die landläufige Meinung war, dass Bidens Berater den Präsidenten deshalb so lange nicht vor die Presse schickten, weil er in solchen Situationen selten glänzt. Biden verhaspelt und verrennt sich oft und vergisst gelegentlich auch Namen. Bei Fox News und in anderen rechten Medien wird Biden nicht selten unterstellt, der 78-Jährige sei senil und amtsunfähig.
In gewisser Hinsicht taten diese Stimmen Biden einen Gefallen: Sie senkten die Erwartungen. Denn Biden stolperte nur selten, er antwortete meistens diszipliniert und solide, manchmal sogar angreifend, etwa, als er die Republikaner für ihre "unamerikanischen" und "kranken" Versuche kritisierte, vielerorts das Wahlrecht einzuschränken. Nach einer Stunde war die Pressekonferenz vorbei. Ohne, dass eine Mine hochgegangen wäre.