Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Für Trump ist es vorbei - jetzt wirklich

Lesezeit: 4 min

Selten war eine Formsache so aufgeladen: Das Electoral College bestätigt Bidens Wahl zum Präsidenten - und erhöht damit den Druck auf die Republikaner, sich von Trump zu distanzieren.

Von Alan Cassidy, Washington

Sie trafen sich in den Landesparlamenten, in Turnhallen und - wegen der Corona-Pandemie - in Videokonferenzen. Die 538 Mitglieder des Electoral College kamen am Montag in den 50 Bundesstaaten sowie der Hauptstadt Washington zusammen, um die Stimmen abzugeben, die das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl vom 3. November offiziell machen. Es gibt jetzt keinen Zweifel mehr: Joe Biden ist mit 306 Stimmen zum neuen und 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Und noch bevor die letzten Wahlleute abgestimmt hatten, sagte Biden: "Im Kampf um die Seele Amerikas hat die Demokratie obsiegt."

In einem normalen Wahljahr finden die Treffen des Electoral College kaum Beachtung. Sie sind bloß der formale Vollzug der Präsidentschaftswahl - ein eher langweiliges Verfahren, bei dem die Wahlleute schriftlich ihr Votum für den Kandidaten abgeben, der die Wahl in ihrem jeweiligen Bundesstaat gewonnen hat. Diesmal war jedoch vieles anders. Die Kabelsender begleiteten das Prozedere den ganzen Tag über live, mit Bildern aus Parlamentssälen und Sitzungszimmern, mit zugeschalteten Reportern und Gästen im Studio, die ständig Sätze sagten wie: "Wir erleben hier Demokratie im Einsatz."

Sogar John King war wieder da, der CNN-Moderator, der in der Wahlnacht und in den Tagen danach ungezählte Stunden an einer bunten Bildschirmwand verbracht hatte. Statt Zwischenergebnisse aus den Wahlkreisen zählte er nun die eintreffenden Wahlleute-Stimmen aus den Bundesstaaten. Nicht, dass all dies mit irgendeiner Spannung verbunden gewesen wäre: In den meisten Bundesstaaten sind die Elektoren gesetzlich verpflichtet, sich an das Wahlergebnis in ihrem Bundesstaat zu halten. Und auch dort, wo dies nicht der Fall ist, halten sie sich in aller Regel an das Mandat, das sie von den Wählern erhalten haben.

Es war Donald Trump geschuldet, dass dem Tag überhaupt so eine große Bedeutung zukam. Der unterlegene Amtsinhaber hat die Wochen seit der Wahl mit der Aussichtslosigkeit verbracht, gegen seine Niederlage anzukämpfen, rhetorisch und vor Gericht. Mit seinen Klagen ist Trump auf ganzer Linie gescheitert, aber es ist ihm immerhin gelungen, die meisten führenden Republikaner dazu zu bringen, so zu tun, als wäre die Wahl noch nicht entschieden - als gäbe es noch eine realistische Chance, dass Trump doch noch Präsident bleibt.

Davon kann spätestens jetzt nicht mehr die Rede sein. Biden erhielt 306 Wahlleute-Stimmen, Trump 232 - es ist vorbei. "Das Vertrauen in unsere Institutionen hat gehalten. Die Integrität unserer Wahlen bleibt intakt", sagte der designierte Präsident, als er sich am Abend aus seinem Wohnort in Delaware an die Amerikanerinnen und Amerikaner wandte. Es war das erste Mal seit längerem, dass sich Biden ausführlich zur Wahl äußerte. Er lobte die lokalen Wahlhelfer und Offiziellen, die in den vergangenen Wochen von Trump beschimpft und von seinen Anhängern mit Gewalt bedroht wurden: "Unsere Demokratie hat dank ihnen überlebt."

Trumps Gerede hat dessen Anhänger radikalisiert

Auch Biden weiß, dass Trumps Gerede von einem angeblichen systematischen Wahlbetrug Teile von dessen Anhängerschaft radikalisiert hat. Das führte dazu, dass sich die Elektoren am Montag in mehreren Bundesstaaten nur unter verschärftem Schutz treffen konnten, weil es auch gegen sie Drohungen gegeben hatte. In Michigan, wo rechtsextreme Milizen im Sommer die Entführung der demokratischen Gouverneurin geplant hatten, ließ die Regierung nach Warnungen der Polizei gleich das ganze Parlamentsgebäude absperren.

Biden wies in seiner Rede darauf hin, dass Trump jede erdenkliche Möglichkeit genutzt habe, das Wahlresultat gerichtlich anzufechten - und dabei Dutzende Male gescheitert ist. Das Land müsse nun zusammenkommen und heilen, forderte der Demokrat: "Es ist Zeit, das nächste Kapitel aufzuschlagen."

Es gab am Montag vorsichtige Anzeichen dafür, dass dies tatsächlich geschehen könnte - zumindest, wenn man die ersten Reaktionen von republikanischen Politikern zum Maßstab nimmt. Senator Mike Braun, ein treuer Unterstützer Trumps, bezeichnete die Abstimmung des Electoral College als "Wendepunkt" und rief dazu auf, nun den Prozess zu respektieren, der über den Ausgang der Präsidentschaftswahl entscheide - was man als Kritik am Präsidenten lesen kann. Auch Senator Lindsey Graham, einer von Trumps eifrigsten Verteidigern, räumte gegenüber Journalisten im Kapitol erstmals ein, dass Biden der nächste Präsident sein werde.

Andere Republikaner wurden noch deutlicher. Paul Mitchell, ein Abgeordneter im Repräsentantenhaus, gab am Montag aus Protest seinen Austritt aus der Partei bekannt. Er könne es nicht länger mitverantworten, dass die Republikaner Trump dabei unterstützten, "langfristige Schäden an unserer Demokratie" anzurichten, indem sie dessen unbegründete Vorwürfe tolerierten oder beförderten. Und auf dem TV-Sender Fox News rief der Kommentator Geraldo Rivera "meinen Freund, den Präsidenten" dazu auf, seine Niederlage einzugestehen: "Je länger das noch andauert, desto mehr beschädigen wir unsere Demokratie."

Die kommenden Tage werden zeigen, ob sich solche Stimmen unter den Republikanern mehren oder ob sie die Ausnahme bleiben. Für Trump ist die Wahl jedenfalls immer noch nicht vorbei, und es war wohl auch kein Zufall, dass der Präsident ausgerechnet am Montagabend bekannt gab, dass sein Justizminister William Barr noch vor Weihnachten sein Amt zurückgeben werde - ganz so, als wolle Trump davon ablenken, dass das Electoral College Bidens Sieg bestätigt hat.

Über einen vorzeitigen Abgang Barrs war in den US-Medien schon seit einiger Zeit spekuliert worden. Trump ist nach diesen Berichten verärgert darüber, dass der Justizminister in einem Interview erklärt hat, dass er keine Anzeichen für einen umfassenden Wahlbetrug gesehen habe. Zudem wirft der Präsident Barr vor, ihn ihm Stich gelassen zu haben, weil er schon vor der Wahl über die Ermittlungen des FBI gegen Bidens Sohn Hunter Biden wusste - diese aber geheim hielt. Barr habe Trump verraten, schimpfen konservativen Medien deshalb seit Tagen.

Biden wird es egal sein. Er will womöglich noch diese Woche bekannt geben, wen er nach seinem Amtsantritt am 20. Januar zum neuen Justizminister ernennen will. Auch wenn es Trump noch nicht einsieht, auch wenn er und seine Verbündeten am 6. Januar im Kongress noch ein letztes, aussichtsloses Manöver planen, um Trumps Niederlage noch irgendwie abzuwenden: Trumps Zeit im Weißen Haus ist am 20. Januar zu Ende.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5148127
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.