Süddeutsche Zeitung

Joachim Gauck in Bautzen:Jenseits der Komfortzone

Hier johlten neulich erst die Anwohner, als ein Flüchtlingsheim brannte. Jetzt trifft der Bundespräsident auf Menschen, die endlich mal was loswerden wollen.

Von Constanze von Bullion, Bautzen

Irgendwann kommt sie natürlich, diese Frage, ob der Bundespräsident nicht "etwas ganz anderes" über die Flüchtlinge gesagt habe als die Bundeskanzlerin. Da guckt Joachim Gauck ein bisschen unbehaglich, schweigt noch ein Weilchen und dann sagt er: "Natürlich." Freitag im Sorbischen National-Ensemble Bautzen, hier hängen keine Trachten und es gibt keine kitschige Folklore. Dafür haben sich ein paar Hundert Menschen in einen schmucklosen Saal gesetzt, mehr Junge als Alte und auch solche, die endlich mal was loswerden wollen.

Der Bundespräsident ist da, um sich mit den Bautzenern zu unterhalten. "Demokratie geht auch mich etwas an", heißt das Thema, das klingt nach Plaudern über Politikverdrossenheit. Eigentlich geht es aber um Flüchtlinge und die Frage, was eigentlich los ist in Bautzen, wo neulich ein Asylbewerberheim angesteckt wurde, wo Schaulustige das toll fanden und sich johlend der Feuerwehr in den Weg stellten.

Bautzen, das ist nur einer von vielen Orten in Sachsen, die bundesweit für Verstörung gesorgt haben, weil Menschen sich brüllend Flüchtlingen in den Weg stellten, Krawalle vor Asylbewerberheimen inszenierten oder mit dem Feuerzeug zu verstehen gaben, dass sie für Fremde nichts übrig haben.

Ob er hier "Dunkeldeutschland" besucht? Da hebt es den Gast ein bisschen aus dem Stuhl

"Guten Tag, Bautzen", ruft der Bundespräsident also in den Saal, aber so fröhlich, wie er wirkt, ist Gauck wohl nicht zumute. Der Name Bautzen, sagt er, hatte in der DDR "unguten Klang", weil hier ein berüchtigtes Gefängnis für politische Abweichler stand. 1989 aber hätten die Menschen in Sachsen mehr Mut bewiesen als anderswo. Heute könne man das "bisweilen" nicht mehr behaupten.

Um Mut oder Ängstlichkeit geht es bei diesem Besuch und darum, dass der Mensch sich auch mal raustrauen soll, wie Gauck findet, raus zum Andersdenkenden. "Wir müssen unser Komfortzonen auch mal verlassen und ertragen, uns zu begegnen", sagt er. Außer sich selbst meint er auch den Bürger, der sich einmischen soll, mit anderen streiten statt abseits zu stehen. Doch für Hetze sei das Land nicht zu haben, "und wir wollen auch nicht akzeptieren, dass Brandsätze fliegen."

Ob er "Dunkeldeutschland" einen Besuch abstatten wolle, wird der Bundespräsident als Erstes gefragt, und da hebt es ihn schon ein Stückchen aus dem Stuhl. "Ich bin nicht der große Ossi-Basher, nichts da", gibt Gauck in schönstem Neudeutsch zurück. Straftaten gegen Asylbewerberheime gebe es "überall in Deutschland", das habe "nichts mit Region zu tun". Es wird aber nicht lange dauern, bis Gauck dann doch auf ein paar ostdeutsche Besonderheiten zu sprechen kommt. Ein Erbe der Diktatur etwa sei dieses Gefühl, dass es weit sei von "uns da unten" zu "denen da oben"; zu denen, die ohnehin machten, was sie wollten. Viele Ostdeutsche schleppten bis heute "eine Angst mit aus alten Zeiten, ein Ohnmachtsgefühl". Und oft sei die Furcht auch da, ohne dass je irgendetwas Schlimmes passiere.

Jetzt meldet sich Christian Haase zu Wort, er war Maschinenbauer und lebte neben einem Firmengebäude. Eines Tages wurden 200 Stühle vor der Tür abgeladen. Die Firmen sollten aus- und Asylbewerber einziehen, erfuhren die Leute, auf Umwegen. Haase gehörte zu denen, die Ärger machten. "Wir erwarten, dass mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation einzieht", sagt er. Und dass er in "alternativen Blättern" wie der rechtslastigen Jungen Freiheit eben manchmal Informationen finde, "die man anderswo nicht findet".

"Ja", schaltet sich Uta Deckow ein, "da finden Sie Meinungen, die Ihre bestätigen." Deckow ist Politikredakteurin im Landesfunkhaus Sachsen, sie kenne die Skepsis gegenüber Medien, sagt sie. "Was neu ist, sind die Anfeindungen." Mit Pegida wachse die Aggression gegen Journalisten. Eine Kollegin sei von Demonstranten ins Gesicht geschlagen worden, einer anderen sei das Auto mit "Lügenpresse"-Stickern zugeklebt worden, wieder andere würden wüst beschimpft. Die Menschen schließen sich mit Gleichgesinnten ein, sagt Deckow, auch auf Facebook, wo nur noch denen gefolgt werde, die ohnehin die gleiche Meinung hätten.

Och, sagt jetzt wieder Christian Haase, der Anwohner des Flüchtlingsheims, er lebe ganz gut mit Gegenwind. Er habe auch mal die Reden des Bundespräsidenten durchgelesen. Die Gesellschaft sei nur begrenzt belastbar, habe Gauck gesagt, das sei doch etwas ganz anderes als der Kurs der Kanzlerin. Natürlich, wird Gauck antworten. "Natürlich, Sie haben gemerkt, dass ich mitunter andere Sätze bringe als die Kanzlerin. Aber Sie würden sie falsch interpretieren, wenn Sie meinen, dass ich eine Gegenpolitik mache."

Haase sieht nicht wirklich überzeugt aus, und Gauck ist es offenbar auch nicht, er wird später noch einmal ansetzen. Ja, in anderen Ländern wollten viele den deutschen Weg nicht gehen, die Bundesregierung aber eben schon.

Es dauert nicht lange, da steht ein Herr im Publikum auf. "Wir in Deutschland leben mit der Flüchtlingspolitik nicht nur in Verzug, wir leben in Gefahr", sagt er. Häuser brennen, Menschen könnten sterben. Er will dann wissen, warum die Parteien nicht endlich aufhörten zu streiten und mit der AfD eine Lösung finden. "Waffenruhe, einfach Waffenruhe", ruft er. Hm, sagt Gauck, die würde wohl nicht lange halten. Wieso werden wir als Rechte beschimpft, nur weil wir Einwände gegen die Flüchtlingspolitik haben, fragt eine Frau, sie ist zornig.

Bevor er geht, wird der Bundespräsident noch einmal sagen, dass die Menschen ruhig sagen sollen, was sie bedrückt, und was schief läuft im Land. Er ist kaum draußen auf der Straße, da hört man "Buh!" und "Hau ab!" Es sind junge Leute, die Gauck offenbar für allzu flüchtlingsfreundlich halten. "Refugees Welcome!", schallt es ihnen von der anderen Straßenseite entgegen. In Bautzen ist jetzt ziemlich viel los.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hatten wir die Wortmeldungen von Christian Haase einer anderen Person zugeschrieben. Wir haben die entsprechenden Passagen geändert.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2016
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