Süddeutsche Zeitung

Joachim Gauck:Erst lesen, dann reden

Der Alt-Bundespräsident wird beschimpft, weil er sich an­geb­lich für Toleranz gegen­über Rechtsextremen stark macht. Das ist Unsinn, Gauck hat das nie so gesagt. Aber in der Erregungs­gesellschaft häufen sich grobe Fehl­interpretationen. Das ist misslich.

Von Detlef Esslinger

An manchen Debatten ist wirklich ärgerlich, dass Menschen, die eine andere Meinung äußern und sich womöglich ungeschickt artikuliert haben, in eine Ecke gedrängt werden, in die sie überhaupt nicht gehören. Derzeit geschieht dies dem früheren Bundespräsidenten Gauck, weil er im Spiegel-Interview "für eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts" geworben hat.

Gauck will kein Verständnis für Rechtspopulisten erheischen. Wer ihm so etwas allen Ernstes unterstellt, sollte wenigstens das Interview im Ganzen lesen, bevor er ihm die Worte verdreht. Gauck bringt darin seinen Ekel vor der AfD zum Ausdruck, er verlangt Intoleranz gegenüber Intoleranten. Worum es ihm ging: mit all jenen ins Gespräch zu kommen, die nicht hoffnungslos an die Höckes verloren sind. Er wollte "rechts" als Synonym zu konservativ verwenden und zwischen rechts und rechtsextrem unterscheiden.

Das ist eine Rabulistik, die derzeit nicht einmal im Uni-Seminar interessiert. Zudem müsste Gauck wissen, dass in der Erregungsgesellschaft oft nicht Interviews, sondern Interview-Fetzen Karriere machen. Aber diesen integren Mann deshalb bei den Populisten einordnen? In Sachsen-Anhalt wollen zwei CDU-Fraktionsvizes gerade "das Soziale mit dem Nationalen versöhnen". Wer echte Gefährder sucht: Hier sind zwei.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2019
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