Mord an Ján Kuciak:Angeklagter ließ Journalisten bespitzeln

First anniversary of the murder of the investigative reporter Jan Kuciak and his fiancee Martina Kusnirova in Bratislava

Der slowakische Journalist Ján Kuciak wurde nur 27 Jahre alt.

(Foto: REUTERS)
  • Der mutmaßliche Auftraggeber der Mordes an Reporter Ján Kuciak hat systematisch Journalisten ausspähen lassen.
  • Vier Monate, bevor er zusammen mit seiner Verlobten erschossen wurde, hatte Kuciak Anzeige gegen den Geschäftsmann erstattet.
  • Die Polizei wies den Reporter damals ab: Was er schildere, sei nicht einmal ein Bagatelldelikt.

Von Tobias Zick

Ein Mann sitzt im Auto, es ist der 19. September 2017. Der Mann fährt aus dem Zentrum der slowakischen Hauptstadt Bratislava in das nahe gelegene Dorf Nová Dedinka, wo er wohnt. Doch er fährt nicht direkt nach Hause. Er parkt zunächst vor der Kneipe und unterhält sich mit einem anderen Mann, Mitte sechzig, nicht näher identifiziert.

Der Mann, dessen ansonsten ereignislose Fahrt nach Nová Dedinka so detailreich protokolliert ist, ist der Vater von Adam Valček, einem bekannten slowakischen Investigativ-Journalisten. Fünf Seiten umfasst der Bericht über Valček, seine Angehörigen, sein Familienleben. Die Zeitung SME, für die Valček arbeitet, zitiert aus diesem und anderen Dokumenten; sie sind Teil der Ermittlungsakten zu jenem Fall, der vor gut einem Jahr das Vertrauen vieler Slowaken in ihren Staat erschüttert hat: dem Mord an Ján Kuciak, der ebenso wie Valček als Investigativjournalist arbeitete.

Die Dokumente zeigen: Der mutmaßliche Auftraggeber der Mordes, gegen den die Staatsanwaltschaft kürzlich Anklage erhoben hat, der Geschäftsmann Marian Kočner, hat von Anfang 2017 bis Mai 2018 systematisch Journalisten ausspähen lassen. Darunter auch der ermordete Kuciak. Mindestens sechs Leute spannte Kočner dafür ein, darunter einen Ex-Geheimdienstagenten namens Peter Tóth. Der hat laut Protokoll im Polizeiverhör erklärt, er sei davon ausgegangen, Kočner brauche die Informationen für seine Facebook-Seite, auf der er regelmäßig Schmähungen über Journalisten verbreitete, die kritisch über ihn berichteten.

Die Polizei wies Kuciak ab

Vier Monate, bevor er zusammen mit seiner Verlobten erschossen wurde, hatte Ján Kuciak Anzeige gegen Marian Kočner erstattet, weil er sich von ihm bedroht fühlte. "Ich werde anfangen, Herr Kuciak, mich für Ihre Mutter zu interessieren", hatte der ihm gesagt, "für Ihren Vater, für Ihre Geschwister, ich werde mich um sie alle kümmern, und ich werde alles veröffentlichen, was ich über Sie finde, Herr Kuciak." Die Polizei wies den Reporter ab: Was er schildere, sei nicht einmal ein Bagatelldelikt.

Wie die Zeitung Dennik N berichtet, prahlte Kočner drei Monate vor dem Mord an Kuciak in einer von Ermittlern abgefangenen SMS, er habe bis dato 200 000 Euro für die Bespitzelung von Journalisten ausgegeben. Er wisse nun, wer mit wem Beischlaf pflege, "wer eine Schwuchtel ist, ein Säufer, ein Tyrann. Komplett mit Bildern und Videodokumentation." Bei diesem so akribisch gepflegten Projekt kamen dem Multimillionär möglicherweise auch seine Kontakte in die Sicherheitsbehörden zugute. Dem Bericht zufolge ermittelt die Polizei gegen einen früheren Abteilungsleiter der Finanzpolizei, weil dieser an der Ausspähung von Ján Kuciak beteiligt gewesen sein soll. Der hat demnach ausgesagt, er habe den Auftrag dazu vom damaligen Polizeipräsidenten Tibo Gašpar erhalten.

Gašpar bestreitet dies - und gerät zugleich weiter ins Zwielicht: Unter Berufung auf übereinstimmende Informationen von Europol und anderen Behörden berichtet der italienische Fernsehsender Rai Uno, Gašpar habe bereits 2013 davon gewusst, dass ein italienischer Geschäftsmann namens Antonino Vadalà dabei war, im Osten der Slowakei eine Zelle der kalabrischen 'Ndrangheta aufzubauen. Kuciak hatte vor seinem Tod zu Vadalà und dessen Beziehungen in höchste Regierungskreise recherchiert. Kurz nach Kuciaks Ermordung erklärte Gašpar, der slowakischen Polizei lägen keine Informationen über derartige 'Ndrangeta-Umtriebe in ihrem Land vor. Eine Aussage, die der Rai-Bericht nun klar widerlegt.

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