Jesse Klaver auf dem Grünen-Parteitag in Berlin:Was die Grünen jetzt brauchen

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Jesse Klaver, Chef von GroenLinks, während des Wahlkampfes in den Niederlande im März 20017. (Foto: REUTERS)

Die Grünen in Deutschland sind in der Krise. In den Niederlanden hat Parteifreund Jesse Klaver dagegen großen Erfolg. Er setzt auf Empathie und schlägt vor, auch mit AfD-Anhängern zu reden.

Interview von Stefan Braun, Berlin

Den Grünen geht es schlecht, in Umfragen hängen sie bei sieben bis acht Prozent fest. Es sieht düster aus für die bevorstehende Bundestagswahl. Umso wichtiger wird der Parteitag, der an diesem Freitag in Berlin beginnt. Mit Blick auf den Parteitag betont der grüne Parteifreund Jesse Klaver, jüngst strahlender Wahlsieger in den Niederlanden, wie wichtig der Kampf gegen den Klimawandel und eine progressive Sozialpolitik weiterhin seien. Den deutschen Grünen empfiehlt er mehr Mut zu einer sozialen Vision - und mehr Mitgefühl, auch für Anhänger von Rechtspopulisten.

SZ: Herr Klaver, was muss man tun, um Wahlen zu gewinnen?

Klaver: Dafür gibt es kein Rezept. Aber ich denke, man darf keine Angst haben. Auf gar keinen Fall Angst. Man muss gewissenhaft sein, und man braucht gute Ideen, um reale Probleme anzugehen. Kein Schnickschnack. Es muss um reale Probleme gehen.

Was meinen Sie mit "keine Angst"?

Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Das einzige, was zwischen Dir und Deinen Träumen steht, ist die Angst zu scheitern. Sie brachte mir bei, dass man so ziemlich alles erreichen kann, wenn man es wirklich will und bereit ist, dafür hart zu arbeiten. Immer noch ein bisschen mehr.

Das klingt sehr pathetisch.

Das mag sein. Aber es geht um das innere Gefühl, das einen trägt und das man ausstrahlt. Dazu gehört auch, dass man weiß, dass es nicht alleine zu schaffen ist. Man braucht hart arbeitende, leidenschaftliche und fähige Leute, die die eigenen Ziele und Ideale teilen. Und die ganz klar bereit sind, einem zu helfen. Unsere Kampagne war ein Erfolg für alle, nicht nur für mich. Für den Kampagnenmanager genauso wie für die tausend jungen Leute, die an den Türen geklingelt haben.

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Am Wochenende kämpft die Partei gegen das Umfragetief an. Dabei soll ihnen auch der Niederländer Jesse Klaver helfen. Der weiß, wie man Wahlkämpfe erfolgreich gestaltet.

Von Stefan Braun

Ihnen ist es gelungen, eine breite grüne Bewegung zu starten. Wie?

Wir hatten keinen kleinen Kreis von Leuten, die alle anderen in der Partei überzeugen wollten, dass ihre Pläne die besten sein müssen. Ganz im Gegenteil öffneten wir unsere Kampagne für jeden, der eine positive Veränderung in unserem Land wollte. Beides ist wichtig: Der Optimismus und der Veränderungswille. Wir hatten Tausende Freiwillige Wahlkampfhelfer. Wir hatten Großveranstaltungen mit Tausenden Leuten. Immer wieder mit dem Ziel, klar zu machen: Wo wollen wir hin? Was wollen wir verändern? Das erzeugte das Gefühl, dass Wandel wirklich möglich ist.

Was war der Kern Ihrer Erzählung?

Die Botschaft, dass sich was ändern muss. Als absolute Notwendigkeit. Überall in Europa haben wir traditionelle Parteien, die den neoliberalen Weg eingeschlagen haben, mit weniger Regeln, weniger sozialer Sicherheit und der immer lauteren Betonung, jeder sei zuallererst für sich selbst verantwortlich. Nicht die Botschaft von Empathie und dem Willen, aufeinander Acht zu geben. Zur gleichen Zeit haben wir immer mehr Menschen, bei denen das Gefühl wächst, dass sich ein Graben auftut zwischen der Politik und der Bevölkerung.

Welcher Graben?

Globalisierung hat das Leben nicht für jeden von uns besser gemacht. Viele Menschen sind verunsichert, sie sorgen sich um ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Sie haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle verloren haben über ihr Schicksal. Und das zu einem großen Teil durch die Globalisierung. Sie dient denen nicht, die ihren Job verloren haben und ihre Arztrechnungen nicht bezahlen können. Und die traditionellen Parteien liefern keine Lösungen gegen diese Unsicherheiten.

Konservative wie Margaret Thatcher, Ronald Reagan und Ruud Lubbers haben in den achtziger Jahrenden den Boden für den sozialdemokratischen Dritten Weg bereitet - mit mehr Markt, mehr wirtschaftlicher Globalisierung und weniger Staat. Für 30 Jahre hieß das Mantra: Was der Wirtschaft hilft, führt unweigerlich auch zu mehr Wohlstand für die Leute, für jeden. Dieses Versprechen hat sich als falsch erwiesen. Dreißig Jahre Globalisierung, Deregulierung und mehr Markt hat zur größten Banken- und Finanzkrise der letzten 80 Jahre geführt.

Und was machen Sie jetzt anders?

Wir haben den Menschen gesagt, dass wir es nicht zulassen werden, andere, zum Beispiel Einwanderer oder Muslime, zu den Sündenböcken zu machen. Wir bieten den Menschen eine soziale linke Agenda. Wir kämpfen für Vollbeschäftigung, eine gute soziale Absicherung und eine kluge Steuerpolitik, die Arbeit belohnt und das Kapital fair besteuert.

Damit wehren wir uns auch gegen all jene Politiker, die das Land mit Angst und Spaltung fesseln wollen. Politiker, die auf Gruppen von vermeintlich Schuldigen zeigen und sie für Dinge verantwortlich machen, die in Wahrheit einzelne, ganz andere Personen zu verantworten haben. Politiker, die behaupten, die Probleme würden verschwinden, in dem man die Grenzen schließt, statt sinnvolle Antworten für die wirklichen Ungerechtigkeiten im Land zu suchen.

Was war der wichtigste Grund für Ihren Wahlerfolg?

Unsere Wahlen fanden in einer sehr interessanten Zeit statt. Wir hatten gerade gesehen, wie eine Politik der Spaltung beim Brexit-Referendum und bei der US-Wahl gewonnen hatte. Insbesondere letztere wirkte bei vielen wie ein dramatischer Weckruf. Wir können es nicht zulassen, dass Politiker unser Land zum eigenen Nutzen spalten; wir müssen uns das Land zurückholen, das wir kannten. In den Niederlanden bedeutet das, Empathie und Mitgefühl zurückzubringen.

Dazu die Freiheit, dass Du sein darfst, wer Du sein willst. Und eine Gesellschaft, in der wir uns gegenseitig helfen. Ich glaube, wir waren gut. Die Menschen haben den Optimismus und die Hoffnung auf Wandel gewählt, nicht den Hass.

Gibt es bei der Frage, wie gute Kampagnen aussehen sollten, Unterschiede zwischen den traditionellen Volksparteien und den kleineren, so genannten Interessenparteien?

Überall in Europa haben traditionelle Parteien Stimmen verloren. Ich glaube, sie haben verloren, weil die Menschen Veränderung wollen. Emmanuel Macron, Donald Trump, Alexander van der Bellen - sie alle verkörpern auf ihre eigene Art Veränderung.

Ich glaube nicht, dass die Tradition einer Partei am wichtigsten ist; ich glaube, am wichtigsten ist, dass immer mehr Menschen den Status quo nicht mehr haben wollen. Die Parteien gewinnen, die den Wandel verkörpern.

Große Parteien wollen in der Regel auf jede Frage Antworten geben. Müssen die Grünen das genauso machen? Oder sollten sie sich auf eine Botschaft konzentrieren?

Ich würde sagen: Fühle und handele nie wie eine kleine Partei. Verhalte Dich wie eine Große. Außerdem brauche ich, braucht jede Partei eigentlich für alle Probleme Lösungsansätze. Aber in einer Kampagne muss man sich konzentrieren, sich fokussieren.

Sie haben in Holland als unumstrittener Chef Wahlkampf geführt. Die Grünen in Deutschland agieren seit Jahrzehnten mindestens formal mit Doppelspitzen. Ist das Stärke oder Schwäche?

Einer? Zwei? Das interessiert mich nicht. Wichtig ist erstens eine Vision. Zweitens ein Plan, um diese Vision zu erreichen. Drittens ein Team, das wirklich die besten einer Partei aufbietet. Und viertens die absolute Entschlossenheit, die eigene Geschichte zu erzählen.

Das ist es, was wir getan haben: Wir haben nicht auf andere geantwortet, wir waren fokussiert auf unsere eigene Botschaft. Du darfst keine Angst haben, eine klare Position zu vertreten, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung erst mal anders denkt.

Was ist der größte Unterschied zwischen den Grünen und anderen Parteien?

Was alle Grüne auf der Welt eint, ist die Kombination aus dem Kampf gegen den Klimawandel und einer progressiven Sozialpolitik. Deshalb heißt unsere Partei Greenleft. Wir zeigen, dass es möglich ist, wirtschaftliches Wachstum zu erreichen und gleichzeitig Entscheidungen zu treffen, um den Planeten zu retten. Andere Parteien denken oft: Entweder-oder. Ich sehe das ganz anders.

Es gibt nicht wenige, die behaupten, die Grünen hätten sich selbst überflüssig gemacht - durch den eigenen Erfolg. Ist das falsch?

Grüne Parteien kümmern sich nicht nur ums Klima. Sie bekämpfen auch den so genannten Ökonomismus. Also die Behauptung, dass am Ende alles auf eine finanzielle Rechnung reduziert werden könne. Das ist falsch; das Leben ist viel mehr als ein gutes Bruttosozialprodukt.

Welche Rolle haben die deutschen Grünen für die Grünen in anderen Staaten?

Sie kommen aus dem mit Abstand größten Land in Europa. Einem Land, auf das alle Menschen in Europa schauen, wenn es darum geht, wichtige Entscheidungen zu treffen. Deshalb sind die deutschen Grünen sehr wichtig. Außerdem gehörten sie zu den ersten, die je regiert haben. Denken Sie nur an so herausstechende Politiker wie Joschka Fischer.

Während Ihrer Kampagne haben Sie auch Anhänger des Rechtspopulisten Geert Wilders getroffen. Warum?

Am Ende gibt es, egal was der einzelne wählt, mehr Übereinstimmung als Spaltung. Wenn Du mit Menschen sprichst, die für Wilders gestimmt haben, dann starten sie für gewöhnlich bei der Einwanderung. Aber nach wenigen Minuten wechseln die Themen zu Jobs, Gesundheitssystem, Bildung. Wir wollen alle arbeiten, wir wollen alle einen Beitrag leisten, wir wollen alle dazu gehören.

Wir wollen alle, dass unsere Eltern eine gute Betreuung bekommen und unsere Kinder alle Chancen haben, um sich ihre Träume zu erfüllen. Es gibt also viel mehr, das uns verbindet; es gibt viel weniger Dinge, die uns trennen. Dass wir also miteinander sprechen, trägt dazu bei, dass unser Land ein bisschen geeinter ist. So ein Verständnis kann Gutes hervorbringen.

Würden Sie den deutschen Grünen empfehlen, ähnliches zu versuchen?

Ich denke, Du musst jeden als Teil der Gesellschaft akzeptieren. Tust Du das nicht, begehst Du einen schweren Fehler. Es ist einfach falsch zu sagen, dass Leute, die Wilders wählen oder die AfD, so genannte "angry white men", also zornige weiße Männer, seien. Und es ist falsch zu behaupten, wer die wähle, habe alles einfach nicht verstanden.

Jesse Klaver nach den gescheiterten Koalitinsgesprächen in den Niederlande am 12. Juni. (Foto: AFP)

Demokratie heißt: Mit jedem zu reden, selbst wenn man dramatisch anderer Meinung ist. Nicht dass sie mich falsch verstehen: Ich habe in vielen Fragen eine komplett andere Meinung als Wilders. Aber wenn ich mit seinen Wählern spreche, sehe ich viele Dinge, die alle Menschen sich wünschen: Ausbildung, sichere Straßen, eine gute Gesundheitsversorgung.

Wie wichtig ist in einem Wahlkampf Mitgefühl?

Extrem wichtig. Ich glaube nun mal, dass wir alle empathische Menschen sind. Und die Menschen sind im Herzen offen, auch für andere Meinungen. In den Niederlanden haben wir manchmal sehr aufgeheizte Debatten. Aber Du tötest jede Debatte, wenn Du einen, der harte Positionen vertritt, mal eben einen Rassisten nennst. Wir dürfen nicht gleich urteilen und verurteilen. Wir müssen versuchen, Fragen zu stellen, um deren Sorgen zu verstehen. Und wenn Du das tust, merkst Du schnell, dass es oft um soziale Ängste geht.

Die Grünen in Deutschland leiden gerade sehr daran, dass der Trend gegen sie ist. Was müssten sie jetzt tun?

Eine gute Kampagne heißt: eine Geschichte von Optimismus und Hoffnung erzählen. Es ist nichts falsch daran, sich über ein Wahlprogramm auch aufzuregen. Es ist nichts falsch daran, es mit Leidenschaft zu verbinden. Wenn Du das nicht kannst, wie sollen es andere tun? Wenn Du Dein Programm mit Leidenschaft vertrittst, wird das anstecken.

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