Jerusalem:So geht es Christen im Nahen Osten

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Besucher entzünden Kerzen in der Geburtskirche in Bethlehem. Hier befindet sich nach biblischer Überlieferung die Geburtsstätte Jesu Christi. (Foto: UPI/laif)

Juden und Muslime streiten erbittert um Jerusalem. Viele Christen fühlen sich allein gelassen und wünschen sich mehr Unterstützung.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem/Bethlehem

Wenn Pater Nikodemus die Weihnachtsmesse zelebriert, dann sitzen fast ausschließlich Menschen in den Kirchenbänken, die nicht dem christlichen Glauben angehören. Der Großteil der Gottesdienstbesucher in der Jerusalemer Dormitio-Abtei am Zionsberg sind Juden, die die Messe in dieser Nacht als mystisches Erlebnis sehen. Die meisten der deutschsprachigen Christen dagegen, um die sich der Benediktinermönch das Jahr über kümmert, verbringen Weihnachten bei ihren Familien in Deutschland.

Im sogenannten Heiligen Land haben es Christen generell schwer, sich zu behaupten. "In der aktuellen Debatte über Jerusalem spielen Christen gar keine Rolle", sagt der katholische Mönch, der seit 2003 in der Stadt lebt. Es sei viel die Rede von den heiligen Stätten der Juden und Muslime am Tempelberg, der Klagemauer und der Al-Aqsa-Moschee. Die Grabes- und Auferstehungskirche, das Ziel vieler christlichen Pilger, liegt dagegen etwas abseits in der Altstadt. Allgemein stellt Pater Nikodemus eine "Entbindung der Christen von Jerusalem" fest: "Das macht mir Sorgen."

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Diese Wahrnehmung hat auch Mitri Raheb, er ist lutherischer Pastor und arabischer Christ. "Viele Christen fühlen sich verlassen", sagt er, "weil die Kirchen im Ausland den Anspruch auf Jerusalem nicht stärker betonen." Dabei seien 45 Prozent der Jerusalemer Altstadt "christliches Gebiet", also Land mit kirchlichen Einrichtungen darauf, erklärt Raheb unter Berufung auf eine Studie, die er selbst erstellt hat; inzwischen ist er Präsident der Dar-al-Kalima Hochschule für Kunst und Kultur in Bethlehem. Jerusalem, sagt er, müsse eine offene Stadt bleiben für zwei Völker und drei Religionen. "Aber die Entwicklung geht in die andere Richtung."

Trumps Jerusalem-Entscheidung hat neue Auseinandersetzungen ausgelöst

Die Auseinandersetzungen sind nach der Erklärung von Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, wieder aufgeflammt, am Freitag gab es den nunmehr zehnten Toten. Kein Frieden in Sicht, bedrückende ökonomische Bedingungen: Das sind die Gründe, warum Christen aus den palästinensischen Gebieten abwandern.

Rahebs Institut hat gerade mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) eine Befragung unter Christen und Muslimen in den palästinensischen Gebieten durchgeführt. Das Ergebnis: 28 Prozent der Christen und 24 Prozent der Muslime überlegen auszuwandern. Und 23 Prozent der Christen und zwölf Prozent der Muslime haben einen Familienangehörigen, der vergangenes Jahr emigriert ist.

"Christen sitzen zwischen allen Stühlen", sagt Marc Frings, Leiter des KAS-Büros in Ramallah. Das zeige sich in den Abwanderungstendenzen, aber auch durch ihren Rückzug aus dem öffentlichen Raum. "Und wie es der kleinen, tapferen Gemeinschaft im Gazastreifen geht, weiß niemand genau." Dort, wo seit 2007 die radikalislamische Hamas regiert, leben rund tausend Christen unter zwei Millionen Muslimen - das sind 0,05 Prozent.

Im Westjordanland liegt ihr Anteil bei 1,7 Prozent. Anfang des 20. Jahrhunderts lag der Wert mit elf Prozent deutlich höher. Insbesondere die Kriege 1948 und 1967 und deren Folgen hätten zu Massenemigration geführt. "Verglichen damit gibt es derzeit keine Auswanderungswelle. Es ist eher wie eine Wunde, die ständig blutet, was nicht zu stoppen ist."

Der Anteil der Christen in Bethlehem sinkt

In Israel wächst dagegen die Zahl der Christen durch den Zuzug von Arbeitsmigranten, insbesondere aus Sri Lanka, den Philippinen und Indien. "Aber diese Christen haben mit den palästinensischen gar nichts zu tun", so beschreibt Pater Nikodemus dieses Nebeneinander.

Ein Nebeneinander von Muslimen und Christen gibt es in Bethlehem seit Jahrhunderten. Aber der Anteil der Christen ging von 90 Prozent zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf 27 Prozent zurück. Neben der Abwanderung sind laut Raheb die niedrige Geburtenrate bei Christen und der Zuzug von Muslimen aus Hebron die Gründe.

Anton Salman hingegen sieht sich nicht in einer Minderheitenposition. Der Anwalt ist Bürgermeister der 30 000-Einwohner-Stadt, seine Liste "Wir sind alle Bethlehem" gewann im Mai acht von 15 Sitzen. Sein Glaubensbekenntnis ist römisch-katholisch, das des Stellvertreters griechisch-orthodox. Das ist per Dekret so (oder umgekehrt) vorgegeben, genau wie in acht weiteren Städten mit einem hohen Anteil an Christen, wo diese jeweils den Bürgermeister stellen.

"Jerusalem wird stets die ewige Hauptstadt von Palästina sein"

"Ich fühle mich von allen akzeptiert", sagt Salman und verweist auf seine Vermittlerrolle bei der Intifada 2002, als palästinensische Militante die Geburtskirche besetzten. Er hofft, dass sich Christen aus aller Welt durch die Ausschreitungen nicht von einem Besuch Bethlehems in der Weihnachtszeit abhalten lassen. Von Bethlehem aus soll eine politische Botschaft in die Welt gesendet werden - und speziell in die USA. Am Platz vor der Geburtskirche verkünden zwei riesige Transparente: "Jerusalem wird stets die ewige Hauptstadt von Palästina sein."

In der nahe gelegenen evangelischen Weihnachtskirche in Bethlehem wird Raheb den Gottesdienst feiern. Er war dort 30 Jahre lang Pastor und ist froh, dieses Jahr erstmals nicht drei Predigten für die Weihnachtsfeiertage ausarbeiten zu müssen. Auch Pater Nikodemus pilgert in der Christnacht nach Bethlehem. Nach der Weihnachtsmesse werden er und ein paar andere wie jedes Jahr die zehn Kilometer von Jerusalem nach Bethlehem marschieren, gegen vier Uhr früh eintreffen und dann die Messe in der Geburtskirche mitfeiern.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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