Einsam steht ein knapp zwei Meter großes Holzkreuz am Beginn der Via Dolorosa. Die Familie Kanaan hat es hier postiert, die sich vor Generationen schon das Verleihgeschäft auf der Straße der Schmerzen sicherte. Zwar hat sich heute noch niemand gefunden, der gegen Gebühr das Kreuz auf sich nehmen und in der Nachfolge Christi durch die Jerusalemer Altstadt bis hinauf nach Golgatha schleppen wollte. Doch ein paar potenzielle Kunden immerhin schnüren herum, und das ist eine frohe Botschaft: Die Pilger sind zurück in Jerusalem. Nach zwei Jahren der pandemiebedingten Stille wird wieder richtig Ostern gefeiert im Heiligen Land.
Es ist schon ein Kreuz gewesen mit Corona: An Ostern 2020 war sogar die Grabeskirche wegen des Lockdowns geschlossen. 2021 war immer noch der Ben-Gurion-Flughafen dicht für ausländische Besucher. Doch nun ist alles wieder offen, und zum Fest der Auferstehung ist das Leben wieder erwacht in der Jerusalemer Altstadt.
Wer nun auf Spurensuche geht auf der Via Dolorosa, die sich mit ihren 14 Stationen als Keimzelle aller Kreuzwege bis hin zur Grabeskirche schlängelt, der merkt allerdings schnell: Vom frommen Trubel der früheren Jahre ist das noch weit entfernt. Nach Auskunft des israelischen Tourismusministeriums kommen in diesem Jahr rund um Ostern 30 000 ausländische Gäste nach Israel. Das sind 70 Prozent weniger als vor der Pandemie, und es sind längst nicht alles Christen, weil zeitgleich von Freitag an auch das jüdische Pessachfest gefeiert wird.
Im Österreichischen Hospiz, das seit 1863 an der Via Dolorosa unter der Hausnummer 37 die Pilger beherbergt, ist man dennoch "durchaus positiv gestimmt". Zwar sind selbst in der Karwoche noch ein paar der 107 Betten frei geblieben. "Das ist absolut unüblich", sagt Gästehaus-Manager Lucas Maier. Aber insgesamt liege die Auslastung wieder bei 60 bis 70 Prozent. "Für viele ist das ein langes Fasten, das zu Ende geht."
Das gilt auch für die zahllosen Fremdenführer, die nun wieder ihre Reisegruppen vor jeder Station des Kreuzwegs versammeln und erklären, wo Jesus auf seinem Leidensweg gefallen ist, wo er seiner Mutter Maria begegnete und wo Veronika ihm das Schweißtuch reichte. Und selbst die vielen Händler, bei denen das Klagen zum Geschäft gehört, atmen hörbar auf in diesen Tagen. Saisonbedingt haben sie die Dornenkronen ganz nach vorn gelegt in ihren Auslagen. Für 30 Schekel das Stück, acht Euro umgerechnet, sind sie bei Ghassan Attieh zu haben. Vom Plastikstuhl vor seinem Laden aus ruft er den Pilgern auf dem Weg zur Grabeskirche nun wieder hinterher: "Wollt ihr Kerzen, etwas heiliges Öl?"
In der Kirche selbst herrscht babylonisches Sprachgewirr rund um die Grabkammer, aus der Jesus der Überlieferung zufolge auferstanden ist. "Die Kar- und Ostertage", das sind für uns immer Großkampftage", sagt gut gelaunt der hier lebende Franziskanerpater Jakobus-Maria. "Natürlich ist es gut, dass die Menschen wieder hier sein können", erklärt er. "Aber ganz so viele wollen wir eigentlich gar nicht. Jetzt ist es gerade schön, sodass man noch atmen kann."