Süddeutsche Zeitung

Jerusalem nach Trumps Entscheidung:Tage des Zorns

  • In Jerusalem, dem Westjordanland und im Gazastreifen kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.
  • Am Nachmittag wird ein Toter aus dem Gazastreifen gemeldet, Behörden und Hilfsorganisationen sprechen von mehr als hundert Verletzten.
  • Vor allem Jugendliche suchen die Konfrontation mit der israelischen Armee.
  • Aus dem Gazastreifen werden mehrere Raketen auf Israel abgefeuert. Eine davon trifft die Stadt Sderot, verletzt aber niemanden.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Ahmed Khan Aslan erzählt gerade von den 67 Büchern, die er in seinem Leben geschrieben hat. Das erste habe von Indien gehandelt, das letzte von Pakistan, dazwischen habe er sich mit dem Zusammenhang von Zivilisation und Traditionen beschäftigt. Da prasseln plötzlich Steine nieder, eine kleine Wasserflasche prallt direkt neben dem 77-Jährigen auf. Er zieht den Kopf ein und versucht in Richtung Damaskustor zu gelangen, so schnell er auf den Stock gestützt gehen kann.

Von dort verfolgt der in einen schwarzen Mantel gehüllte Mann mit dem Palästinensertuch und dem weißen Bart das Geschehen weiter. Er sucht Schutz hinter einem Dutzend israelischer Soldaten, die in Kampfmontur Aufstellung genommen haben vor dem Tor, das in die Altstadt von Jerusalem führt - ins Herz jener Stadt also, deren arabische Bevölkerung in Aufruhr ist, seit US-Präsident Donald Trump ihren Wohnort zur Hauptstadt Israels erklärte. "Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut", murmelt der ehemalige Lehrer mit Blick auf das, was sich vor ihm abspielt. "Aber was sollten sie denn tun? Man hat ihnen die Hoffnung und die Zukunft genommen."

Es sind vor allem Jugendliche, die hier die Konfrontation mit den israelischen Soldaten suchen. Immer wieder kommt es zu Handgreiflichkeiten, Männer werden abgeführt. Ein Mann wird am Kopf verletzt, er blutet. Männer des Roten Halbmondes versorgen die Wunde und bringen ihn auf einer orangen Trage weg.

Frauen, viele mit Kopftuch, fangen zu schreien an, wenn sich Soldaten nähern. Sie versuchen die Uniformierten wegzuschubsen, die ihre Waffe im Anschlag haben. Ein Israeli mit schwarzer Uniform versucht sich einzuschalten und zu beruhigen. Immer wieder erschallen Rufe wie "Jerusalem wird immer eine arabische Stadt sein", "Die USA werden dafür bezahlen" und "Gott ist größer". Auch Ahmed Khan Aslan schreit mit, so eine starke Stimme traut man dem kleinen Mann mit dem faltigen Gesicht gar nicht zu.

Die Sprechchöre erheben sich zum Geschrei, das über den Platz hallt, als Palästinenser den israelischen Soldaten davonlaufen. Es sind an die hundert, die nach dem Freitagsgebet in der Nähe des Damaskustores geblieben sind. Die meisten wollten nur rasch weg, in der Hoffnung, nicht in die Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden. Viele wollen nicht gefragt werden, nur einige bleiben stehen und sagen fast wortgleich: "Jerusalem ist unsere Hauptstadt." Andere sind extra hierhergekommen, sogar aus den USA. Aus Wyoming kommt Osama Zeitawi. Er ist als Tourist hier, aber die Rede des US-Präsidenten am Mittwoch hat ihn wütend gemacht. So eilte er zum Damaskustor, um zu sagen: "Nicht ganz Amerika steht hinter dieser Entscheidung."

Auch Ahmad Tibi nutzt die Bühne: "Die US-Entscheidung ist der ultimative Schlag ins Gesicht der Palästinenser, nicht der ultimative Deal", sagt der arabische Knesset-Abgeordnete mit Bezug auf die von Trump angepeilten Friedensverhandlungen.

In die Altstadt geht am frühen Nachmittag kaum mehr jemand. Bis zum Mittag haben auch orthodoxe Juden dieses Tor benutzt, das größte zur Altstadt. Es führt sowohl in das muslimische, als auch in das christliche Viertel. Man muss mehr als dreißig Stufen hinuntersteigen, ehe man durch die Öffnung gehen und den kürzesten Weg zur Klagemauer, Al-Aksa-Moschee und Felsendom nehmen kann. Wer vor dem Tor steht und durch eine Spalte in der Mauer schaut, sieht, wie sich die Sonne auf der goldenen Kuppel spiegelt.

Mindestens ein Toter, zahlreiche Verletzte

Diese Lage nützen viele Steinewerfer aus, weil sie von dort auf die Soldaten zielen und rasch weglaufen können. So verlagert sich am Nachmittag die Jagd zwischen Palästinensern und Soldaten auf die umliegenden Straßen.

Die heftigeren Auseinandersetzungen gibt es aber im Westjordanland, von mehr als 250 Verletzten ist die Rede. Die israelischen Kräfte gehen mit Gummigeschossen, aber auch scharfer Munition vor. Am Nachmittag wird der erste Tote aus dem Gazastreifen gemeldet.

Dort wurden am Freitag auch zwei Raketen abgefeuert, von denen eine jedoch von Israel abgefangen wurde. Eine Rakete erreichte am Abend die israelische Stadt Sderot, Menschen wurden aber offenbar nicht verletzt.

Auch Ahmed Khan Aslan will weiterkämpfen, aber auf seine Weise - mit Büchern und Schriften. Sein Zimmer in der Sheikh-Raihan-Straße gleich hinter dem Damaskus-Tor ist fast bis an die Decke mit Papier und alten Zetteln gefüllt. Er muss einen Sessel erst freiräumen, auf dem handgeschriebene Manuskripte liegen. Geboren wurde er in Nablus, aber seit zwölf Jahren lebt er in der Altstadt, wo auch sein berühmter Großvater begraben ist. Der war ein Scheich, fünf Orte sind nach ihm benannt und hundert Straßen, behauptet der alte Mann und zeigt auf das gerahmte Porträt.

Was er in seinem Leben noch erreichen möchte? "Dass Jerusalem die Hauptstadt des Islam wird." Also nicht nur jene der Palästinenser? "Nein, das reicht nicht." Denn Jerusalem sei viel wichtiger als Mekka und Medina. "Aber das haben noch nicht alle Araber erkannt. Sonst würden sie uns Palästinensern mehr helfen."

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Quelle:
SZ vom 09.12.2017/bemo
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