Süddeutsche Zeitung

Israel:Schneller zur Klagemauer

Der geplante Bau einer Seilbahn vom jüdischen Westen zum arabischen Osten erhitzt die Gemüter in Jersualem. Das Projekt befeuert uralte Konflikte.

Von Peter Münch, Jerusalem

Zu den höheren Mächten in Jerusalem zählt zweifellos auch der Oberste Gerichtshof. Zumindest in manchen irdischen Dingen ist er die letzte Instanz. Nun haben die Richter in einem Fall geurteilt, der in der heiligen Stadt ungefähr in der Mitte zwischen Himmel und Erde angesiedelt ist - also da, wo es immer heikel wird: Es geht um eine Seilbahn, die vom jüdischen Westen hinauf zur Altstadt im arabischen Ostteil führen soll. Seit Jahren schon wird darüber gestritten. Jetzt aber hat das Gericht alle gegen den Seilbahnbau eingereichten Petitionen zurückgewiesen. Es gibt damit grünes Licht für das Lieblingsprojekt der Stadtverwaltung und Tourismusbehörden. Der Jerusalemer Bürgermeister Mosche Leon jubelt. Die Stadt, so kündigt er an, werde den Bau der Seilbahn nun "energisch vorantreiben".

Auf 1,4 Kilometer Länge soll die Seilbahn vom Alten Bahnhof über den Zionsberg zum Dungtor führen. 3000 Fahrgäste könnten so pro Stunde in die unmittelbare Nähe der Klagemauer transportiert werden. Gepriesen wird das umgerechnet knapp 60 Millionen Euro teure Vorhaben als kommende Touristenattraktion und zugleich als Lösung der dramatischen Verkehrsprobleme rund um die Altstadt. Dies werde "das Gesicht Jerusalems verändert", prophezeite der damalige Tourismusminister 2017 bei der Vorstellung der Pläne.

Genau das jedoch fürchten auch die Kritiker. Der Widerstand gegen die Seilbahn speist sich aus vielen Quellen. Da sind zum einen jene Kulturbewahrer, die eine "Disneyfizierung" rund um die heiligen Stätten von Judentum, Christentum und Islam befürchten. Prominente wie der Architekt Daniel Libeskind haben die israelische Regierung aufgefordert, das Projekt zu stoppen. Durch die Kabinen, Drahtseile und bis zu 26 Meter hohen Stützpfeiler würde "das Bild Jerusalems mit einer an einen schweizerischen Berghang erinnernden Technologie verunstaltet". Zudem gibt es noch die jüdische Religionsgemeinschaft der Karaiten, deren Friedhof an der geplanten Strecke liegt und die den Seilbahnbau als Störung der Totenruhe empfinden.

Wuchtiger noch als all dies ist jedoch der politische Streit. Die Palästinenser und linken israelischen Gruppierungen sehen hier ein weiteres Beispiel dafür, wie die Stadtplanung gezielt genutzt wird, um die jüdische Präsenz und Kontrolle im arabischen Ostteil zu stärken. Erstes Indiz dafür war, dass das Projekt von der israelischen Regierung exakt zum 50. Jahrestag der Eroberung Ostjerusalems im Sechstagekrieg von 1967 vorgestellt wurde. Ein weiterer Punkt: Das an der Endstation nahe den Altstadtmauern geplante Besucherzentrum soll von einer rechten Siedler-Organisation namens Elad betrieben werden, die berüchtigt ist für die Verdrängung arabischer Einwohner aus dieser Gegend.

Die Seilbahn könnte also schnell zu einem neuen Kampfplatz im alten Nahostkonflikt werden. Die israelische NGO Emek Shaveh, die in Jerusalem die Politisierung von Kulturorten verhindern will und federführend die Petitionen eingereicht hatte, spricht von einer "beklagenswerten Entscheidung" des Obersten Gerichts - und gibt sich nicht geschlagen. "Unser Kampf", so kündigt die Organisation auf Twitter an, "geht weiter."

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