Zank um Masken:Wie sich die Vorwürfe gegen Jens Spahn häufen

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Der Koalitionsstreit um Corona-Schutzmasken ist der aktuellste einer nicht allzu kurzen Liste von Kritikpunkten, mit denen sich Gesundheitsminister Jens Spahn konfrontiert sieht. Ein Überblick.

Von Joshua Beer

Der beliebteste Politiker Deutschlands: Dass sich Gesundheitsminister Jens Spahn damit schmücken konnte, scheint lange zurückzuliegen. Dabei war dies das Ergebnis einer Umfrage Ende Dezember. Noch im Januar galt der CDU-Politiker vielen als erfolgreichster Minister in Angela Merkels Kabinett und wurde sogar als möglicher Nachfolger der Bundeskanzlerin gehandelt, etwa von Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union (JU). Heute sorgen die noch immer holprig verlaufende Impfkampagne, der Koalitionsstreit um möglicherweise minderwertige Masken oder auch die Betrugsfälle in Testzentren dafür, dass solche Überlegungen realitätsfern anmuten. Wie konnte es dazu kommen?

Seit mehr als einem Jahr kommt dem Gesundheitsministerium deutlich mehr Aufmerksamkeit zu als in normalen Zeiten. Seitdem das Coronavirus in Deutschland nachgewiesen ist, sind fast 90 000 Menschen in Deutschland im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben und es gab 3,7 Millionen bestätigte Fälle. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Spahn trägt nicht die alleinige Verantwortung für die Corona-Politik. Im föderalen Deutschland sprechen die Länder in Sachen Gesundheit auch in der Ausnahmesituation der Pandemie mit. Dennoch: Die Liste von fragwürdigen Entscheidungen eröffnete Spahns Ministerium schon gleich zu Beginn der Pandemie.

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Ein kostspieliger Maskendeal

Im Frühjahr 2020, als das Coronavirus sich erstmalig in der Bundesrepublik ausbreitete, kündigte sich ein Maskennotstand an. Um die Beschaffung anzukurbeln, bot Jens Spahn im März durch das sogenannte Open-House-Verfahren (OHV) Zulieferern einen Festpreis von 4,50 Euro pro genormter Maske, unabhängig von der gelieferten Menge. Der lukrative Deal lockte Glücksritter an. Manche Firmen lieferten Millionen von Masken, viele darunter wiesen Mängel auf. Der Bund blieb mit Zahlungen zurück und musste Klagen abwehren, die wiederum selbst Geld beanspruchten. Die von Anwälten, Verfahren und Zinszahlungen verursachten Kosten sollen sich auf mehr als 20 Millionen Euro belaufen. CDU und CSU sahen sich im Frühjahr 2021 mit scharfen Vorwürfen konfrontiert, weil zahlreiche Abgeordnete der beiden Parteien Masken-Deals vermittelt und dafür hohe Provisionen eingestrichen hatten.

Lückenhafte Testversorgung

Neben Masken mangelte es am Anfang der Pandemie zudem an Coronatests. Spahn versprach im vergangenen Sommer Bürgertests und Massentests vor allem in Pflegeheimen, doch die Versorgungslücken blieben. Auch wo Tests da waren, fehlte oftmals geschultes Personal, um diese auch zu nutzen. Bei der Auswertung der PCR-Tests kamen die Gesundheitsämter zunächst kaum hinterher und benötigten teilweise viele Tage, um ein Ergebnis an die Getesteten zu übermitteln. Die Möglichkeit, sich kostenlos und flächendeckend testen zu lassen, kam für die Mehrheit der Bevölkerung erst im Laufe dieses Jahres.

Das Digitalisierungsdefizit

Das anfangs verzögerte Übermitteln von Testergebnissen zeugt von einem weiteren Missstand: der mangelhaften, lange überfälligen Digitalisierung der Gesundheitsämter. Dieses schwerwiegende Versäumnis ist bei weitem nicht allein Spahn zuzurechnen. In der Krise versucht der Minister jedoch, die Digitalisierung im Eiltempo nachzuholen. Viele Diskussionen, etwa um Datenschutz, fallen dabei unter den Tisch. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnte vor einer "zu engen Taktung" bei der Digitalisierung. Der Bund solle vorrangig den Investitionsstau im Gesundheitswesen abbauen und dort nicht weiter einsparen.

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Eine kaum genutzte Bundes-Warn-App

Etwa 20 Millionen Euro flossen in die Corona-Warn-App, die unter der Planung des Bundesgesundheitsministerium (BMG) und des Robert-Koch-Instituts (RKI) viel beachtet im Frühjahr 2020 ausgespielt wurde. Ihre Datensicherheit war vom Chaos Computer Club abgesegnet und Millionen Deutsche luden sie herunter. Sie hätte die zentrale App der Krise sein können, doch das Potenzial ist vertan. RKI und BMG lieferten kaum Updates nach und benötigte Funktionen wie die Datenerfassung in der Gastronomie übernahmen bald andere Apps wie Luca. Die wenig entwickelte Corona-Warn-App ist heute kaum in die Pandemie-Strategie eingebunden.

Ein stockender Impfstart

Ähnlich schleppend wie die Maskenbeschaffung lief die Impfkampagne an. Dabei startete sie aufgrund der beschleunigten Impfstoff-Zulassung schon Ende Dezember 2020. Die Aufbruchsstimmung verflog jedoch schnell, als die ersten Meldungen zu Lieferengpässen und -ausfällen eintrafen.

"Wir tun alles, glauben Sie es mir", versicherte Spahn einer enttäuschten Öffentlichkeit. Dass es zu wenig Vakzine gibt, liege nicht daran, dass Deutschland zu wenig eingekauft hat, sondern an den fehlenden Produktionskapazitäten der Unternehmen, so der Gesundheitsminister. Die Kampagne kam nur langsam ins Rollen, was an den Zahlen abzulesen war: Großbritannien, welches nach dem Brexit unabhängig von der EU Impfstoff beschaffte, hatte gegen Ende Februar 26,4 Prozent der Britinnen und Briten erstgeimpft, Deutschland dagegen zur selben Zeit nur 4,2 Prozent der eigenen Bevölkerung.

Jetzt, da die Impfpriorisierung wegfällt, es aber an Vakzinen für die Erstimpfung fehlt, deutet sich an, dass immer noch viele Menschen lange warten dürften, bis sie an der Reihe sind. Jens Spahns Versprechen von Anfang 2021, dass im zweiten Jahresquartal alle Willigen ein Impfangebot erhalten, ist schon längst von der Kanzlerin auf das Sommerende verlegt worden.

Durcheinander um die Kinder-Impfung

Verwirrung stiftete der Gesundheitsminister in den vergangenen Wochen auch bei der Impfung für Kinder, indem er den Eindruck erweckte, dass da eine groß angelegte Kampagne anstehe. Ein Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz vom 6. Mai stellte Reihenimpfungen in Schulen, zusätzliche Dosen und Einladungen von Jugendlichen in Aussicht. Davon blieb auf dem Impfgipfel vom 27. Mai nichts übrig. Die Ständige Impfkommission, die gerade noch zu dem Thema berät, wird voraussichtlich keine allgemeine Corona-Impf-Empfehlung für Kinder und Jugendliche aussprechen. Nur: Vom 7. Juni an dürfe man sich um einen Impftermin für Kinder ab zwölf "bemühen". Das mit den zusätzlichen Dosen für Schulen will Spahn anders gemeint haben.

Betrugsfälle in Testzentren

Parallel dazu schlägt sich das Gesundheitsministerium mit einem weiteren Skandal herum, den Recherchen der SZ, des NDR und des WDR aufgedeckt haben: der mutmaßliche Betrug in Testzentren.

Eigentlich wollte Jens Spahn mit der neuen Corona-Testverordnung vom 8. März das Testen in Deutschland entbürokratisieren und fördern. Pro Bürgertest durften die Zentren 18 Euro abrechnen. Kontrollen gab es zunächst nicht. Auch erleichterte Spahn mit der Verordnung das Einrichten von Testzentren; deren Zahl stieg sprunghaft an. Es entstand ein lukratives Millionengeschäft, das auch Betrug mit sich brachte. Die Firma MediCan etwa strich Gelder für tausende Tests ein, die sie mutmaßlich nie vornahm. Inzwischen hat das BMG die Kontrollen verschärft und die Verordnung angepasst.

Befremdliches Geschäft

Als sei die Corona-Politik nicht heikel genug, irritierte Spahn auch noch mit einem privaten Fehltritt. Es geht um ein fragwürdiges Immobiliengeschäft rund um eine Wohnung in Berlin-Schöneberg. Spahn soll sie einem ehemaligen Pharma-Manager, Markus Leyck Dieken, abgekauft haben. Später dann berief Spahn Dieken zum Geschäftsführer der Gematik GmbH, die zu fünfzig Prozent dem Bund gehört. "Es gibt da keinen Zusammenhang", ließ Spahn von seinem Sprecher Hanno Kautz verlauten. Dem Tagesspiegel zufolge aber habe Spahn nachforschen lassen, welche Journalisten zu dem Fall recherchieren.

Und wieder: Fragwürdige Beschaffung von Masken

Der jüngste Streit um Corona-Schutzmasken schließt den Kreis zum Beginn der Pandemie. Der Vorwurf lautet, das Gesundheitsministerium habe im Frühjahr 2020 minderwertige Schutzmasken ohne EU-Zertifikat gekauft, um den Maskenmangel zu beseitigen. Die bestellte Ware sei unzureichend geprüft worden. Das BMG plante dem SPD-geführten Arbeitsministerium zufolge, nicht zertifizierte Masken an Obdachlose und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zu verteilen. Daraus entbrannte ein Koalitionsstreit, in dessen Zentrum Arbeitsminister Hubertus Heil und Jens Spahn stehen. Zuletzt nahm die Bundeskanzlerin ihn in Schutz: "Wir alle unterstützen Jens Spahn."

Die Beliebtheitswerte des angeschlagenen Ministers aber sind längst aus ihrem Höhenflug abgesunken. Laut dem ARD-Deutschlandtrend vom Mai landete Spahn mit 36 Prozent Zustimmung nur noch auf Platz 6 statt wie im Dezember auf Platz 2 hinter Angela Merkel.

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