Es war ein Brief, der an Deutlichkeit kaum zu übertreffen war. Er enthielt sogar ein Ultimatum. Bis Freitag, 18 Uhr, sollten alle Unionsabgeordneten eine Art Ehrenerklärung abgeben, dass sie keinen Profit mit Corona-Geschäften gemacht haben. Der Brief datiert vom 10. März 2021 – unterschrieben ist er vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus und seinem ersten Stellvertreter, das war Alexander Dobrindt. Mehrere Unionsabgeordnete waren seinerzeit in Affären verstrickt – und hatten CDU und CSU damit schwer in Bedrängnis gebracht. Brinkhaus und Dobrindt entschieden sich deshalb für eine Art Vorwärtsverteidigung. Sie kündigten damals auch einen strikten Verhaltenskodex für ihre Abgeordneten an. Und sie sprachen sich für umfassendere Transparenzregeln aus.
Die Vorgänge damals sind zwar mit dem Corona-Masken-Beschaffungsfall Jens Spahn, der der Union gerade zu schaffen macht, nicht richtig vergleichbar. Spahn wird viel vorgeworfen – aber keine persönliche Bereicherung. Trotzdem stellt sich die Frage, warum die Union heute anders als damals kein besonders großes Interesse an Aufklärung zeigt. Nina Warken, die christdemokratische Bundesgesundheitsministerin, will den sogenannten Sudhof-Bericht, der die Vorwürfe gegen Spahn enthält, jedenfalls immer noch nicht veröffentlichen. Das bekräftigte ihr Sprecher am Montag.
Dabei hat inzwischen sogar Spahn selbst gesagt, dass er gegen eine Veröffentlichung nichts habe. Und Passagen, die datenschutzrechtlich problematisch wären oder der Bundesregierung bei Prozessen mit Maskenanbietern schaden würden, könnte man vor der Veröffentlichung ja schwärzen.
Kamen die Warnungen an? Spahn sagt: „Bei mir persönlich nicht“
Die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR hatten am Sonntag über Teile des Berichts der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof (SPD) berichtet. Darin heißt es, „fehlendes ökonomisches Verständnis“ und „politischer Ehrgeiz“ hätten am Ende dazu geführt, dass in der Pandemie als „Team Ich“ und nicht als „Team Staat“ gehandelt worden sei. So habe Spahn im März 2020 beschlossen, „die Beschaffung allein meistern zu wollen“. Daraufhin stieg das damals von ihm geführte Bundesgesundheitsministerium (BMG) in die Maskenbeschaffung ein. Am Ende ließ Spahn Corona-Masken im Wert von knapp sechs Milliarden Euro kaufen. Etwa zwei Drittel davon wurden nie gebraucht, was noch Prozesskosten in Milliardenhöhe nach sich ziehen kann.
Dem Sudhof-Bericht zufolge wollte die Fachebene im BMG Spahn noch davon abbringen, die Maskenbeschaffung ins Haus zu holen, da es dort keine fachliche Expertise in dem Bereich gebe. „Dies jedoch vergeblich“, schreibt Sudhof. Demnach habe Spahn in der Pandemie in vielerlei Hinsicht eigenmächtig und „nachweislich gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ gehandelt. Darauf angesprochen, ob derlei Ratschläge oder Warnungen bei ihm angekommen seien, antwortete Spahn am Sonntagabend im Fernsehsender ARD: „Bei mir persönlich nicht.“
Haushälter laden Ministerin Warken in ihren Ausschuss ein
Um schnell die Aufklärung im Parlament anzustoßen, hatte die Grünen-Fraktion im Bundestag in der vergangenen Woche eine Sondersitzung sowohl des Haushalts- als auch des Gesundheitsausschusses für den 13. Juni bei den jeweiligen Ausschussvorsitzenden beantragt – ohne Erfolg. Anschließend wandte sich die Fraktion direkt an Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU). Die ließ jedoch telefonisch mitteilen, dass sie Sonderausschuss-Sitzungen nicht genehmige.
Die nächste Sitzung des Haushaltsausschusses findet nun regulär am 25. Juni statt, und zwar mit Besuch aus dem Kabinett: Der Ausschuss hat Gesundheitsministerin Warken eingeladen, um mit ihr über den Sudhof-Bericht und die Information der Parlamentarier in der Sache zu sprechen. „Dieser Einladung wird die Ministerin auch nachkommen“, sagte ein Sprecher am Montag.
Grüne, Linke und auch einzelne Politiker der SPD fordern von der Ministerin die Offenlegung des gesamten Berichts. Warken lehnt dies jedoch ab. Sie lässt derzeit in ihrem Ministerium einen eigenen Bericht erarbeiten, in den Sudhofs Erkenntnisse einfließen, sagte ein BMG-Sprecher. Dieser werden dem Haushaltsausschuss „wie gewünscht zur Verfügung gestellt“. Einige Haushälter wünschen sich allerdings mehr als das.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Die Haushälter hatten die Bundesregierung im September 2024 lediglich dazu aufgefordert, die Gründe für die Überbeschaffung von Schutzmasken „umfassend und transparent aufzuarbeiten“ und dem Ausschuss bis zum 15. Januar 2025 einen Bericht vorzulegen, der „unter anderem über die (vorläufigen) Erkenntnisse der Arbeit von Frau Dr. Margaretha Sudhof“ Auskunft gibt. Diese Frist ist zwar verstrichen. Von einer Zuleitung des vollständigen Berichts war damals aber tatsächlich keine Rede.