Terrorprozess:"Zum Unmenschen degradiert"

Lesezeit: 3 Min.

Jennifer W. mit ihrem Anwalt vor Gericht in München. (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Der Angeklagten Jennifer W. wird vorgeworfen, den Tod eines jesidischen Kindes nicht verhindert zu haben. In ihrem letzten Wort wirft sie dem Gericht vor, sein Urteil auf Spekulationen zu stützen.

Von Annette Ramelsberger, München

Es ist der letzte Tag vor dem Urteil in diesem seit zweieinhalb Jahren währenden Prozess, der weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat: der erste Prozess wegen der Unterjochung der Jesiden durch den Islamischen Staat. Und es ist die letzte Chance für die Angeklagte, ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. Jennifer W., heute 30, hat das letzte Wort, die deutsche Islamistin, der vorgeworfen wird, nicht verhindert zu haben, dass ihr Mann in Falludscha ein jesidisches Kind tötete.

Doch das, was die Angeklagte mit klarer, fester Stimme sagt, ist mehr als ein letztes Wort, es ist fast ein eigenes Plädoyer. Und es ist eine selten zu hörende Breitseite einer Angeklagten gegen das Gericht. "Es ist für mich unbegreiflich, zu welchem Unmenschen ich hier degradiert wurde", sagt sie. Das Urteil gegen sie beruhe auf "Spekulationen, Mutmaßungen und Fehleinschätzungen". Normalerweise herrsche das Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten. Bei ihr gelte dieses Prinzip nicht.

SZ PlusKindermord-Prozess
:Die Sklavenhalterin

Die deutsche IS-Kämpferin Jennifer W. ist wegen Mordes durch Unterlassen angeklagt. Sie soll ein angekettetes fünfjähriges Mädchen verdurstet haben lassen. Deren Mutter Nora B. wurde wie eine Sklavin gehalten und musste zusehen, wie ihr Kind starb.

Von Lena Kampf und Annette Ramelsberger

Die Anklage wirft Jennifer W. nicht nur Beihilfe zum versuchten Mord vor, sondern auch Sklavenhaltung mit Todesfolge, was eine lebenslange Freiheitsstrafe bedeuten könnte. Und das Gericht hat bereits deutlich gemacht, dass es dem folgen könnte. Sie dagegen sagt, ihr Mann sei an der Misshandlung des Kindes schuld gewesen, er müsse zur Verantwortung gezogen werden. Ihr Mann steht derzeit in Frankfurt vor Gericht.

Was unbestritten ist in diesem Prozess: Jennifer W. aus dem Münsterland war 2014 zum Islamischen Staat gegangen, sie ist überzeugte Islamistin, sie wollte dort den strengen Islam leben. Sie heiratete einen Iraker, mit dem sie mehrere Wochen in Falludscha wohnte - mit ihnen im Haushalt eine Frau und ihr fünfjähriges Mädchen, beide Jesidinnen, die vom IS versklavt worden waren.

"Es war für mich nicht leicht mit meinem Ex-Mann"

An einem heißen Sommertag im Jahr 2015 band der Mann von Jennifer W. das Kind an ein Fenstergitter im Hof und ließ es dort hängen - zur Strafe, weil das Kind ins Bett gemacht hatte. Als er es abnahm, war das Kind schon nicht mehr ansprechbar. Die Anklage geht davon aus, dass es spätestens im Krankenhaus starb. Jennifer W. hat bestätigt, dass es diesen Vorfall gab, doch sie sagte auch, sie habe nichts tun können.

Die Bundesanwaltschaft sagt, Jennifer W. sei es zumutbar gewesen, das Kind loszubinden oder Hilfe zu holen, und wirft ihr versuchten Mord durch Unterlassen vor. Jennifer W. verweist das in ihrem letzten Wort nun in den Bereich der Phantasie. "Es war für mich nicht leicht mit meinem Ex-Mann", sagt sie. Sie hätte nicht Hilfe holen können. Das Gericht habe keine Vorstellung von einer islamischen Ehe unter dem IS-Regime. "Ich war an meinen Mann gebunden, an einem fremden Ort und ohne, dass ich die Sprache konnte. Er hätte mich massiv attackiert und davon abgehalten, das Haus zu verlassen." Hätte sie es dennoch getan, wäre das ein "Gesichtsverlust" für ihn gewesen.

In einer Mischung aus Verbitterung und Stolz wirft Jennifer W. dem Gericht vor, sie solle für etwas bestraft werden, was sie nicht getan habe. "An meiner Person soll ein Exempel statuiert werden für alles, was unter dem IS geschah. Es ist schwer vorstellbar, dass das in einem Rechtsstaat möglich ist." Die Angeklagte ist weit über den Punkt hinaus, wo Diplomatie noch eine Rolle spielen könnte.

Sie rechnet damit, zu lebenslanger Haft verurteilt zu werden. Und sie wirft dem Gericht in seltener Offenheit vor, nicht einmal einem Attest des Krankenhauses Falludscha nachgegangen zu sein, das bestätigt, dass vom 24. bis zum 28. Juli 2015 ein fünfjähriges Mädchen in Behandlung war, das aber wieder entlassen worden sei. Paratyphus habe es gehabt. Das Gericht hatte erklärt, auf dieses Attest komme es nicht an, denn es bestätige einen anderen, früheren Aufenthalt des Kindes im Krankenhaus. Von so einem Aufenthalt war aber zuvor nie die Rede gewesen.

Jennifer W. erklärt nun, sie wisse genauso wenig wie die Mutter des Kindes, die als Zeugin im Prozess aufgetreten war, ob das Mädchen die Tortur überlebt habe. Und sie empfindet es als ungerecht, dass sie nun als die Böse hinter ihrem Mann dargestellt werde und ihr sogar ein Dienst bei der IS-Sittenpolizei Hisba angelastet werde, den sie nie verrichtet habe. "Für den Rest meines Lebens trage ich nun das Stigma der Sittenpolizistin und Mörderin."

Am Ende bittet Jennifer W. die Vertreterin der Nebenklägerin, der Mutter ihre Sätze auszurichten: "Es tut mir von ganzem Herzen leid, was ihr angetan wurde. Es tut mir leid, dass ich nicht in der Lage war, sie und das Mädchen zu schützen. Ich werde nicht aufhören zu hoffen, dass das Kind doch noch gefunden wird."

Am 25. Oktober ergeht das Urteil.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungIslamischer Staat
:Das war höchste Zeit

Kommentar von Stefan Braun

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: