Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht:"Ein Meilenstein für die Überlebenden"

  • In München steht eine junge Frau vor Gericht, weil sie als Ehefrau eines IS-Kämpfers im Irak ein kleines Mädchen nicht vor dem Verdursten gerettet haben soll.
  • Sie ist wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt.
  • Nun wurde auch ihr damaliger Ehemann geschnappt. Ihm droht eine Anklage wegen Völkermordes.

Von Annette Ramelsberger

Die Frau muss sich seit Monaten wegen Mordes durch Unterlassen verantworten. Sie soll ein fünfjähriges Mädchen verdursten haben lassen, im Sommer 2015, in der sengenden Sonne von Falludscha, als der sogenannte Islamische Staat über die irakische Stadt herrschte.

Jennifer W., 28, aus Lohne in Westfalen, war damals die Ehefrau eines IS-Kämpfers. Sie war als junge Frau zum Islam konvertiert und wollte sich dem IS anschließen. Gemeinsam hielten sie und ihr Mann eine Jesidin und ihre kleine Tochter als Haussklaven gefangen. Als der Mann sich über das Kind ärgerte, bestrafte er es in schier unglaublicher Weise: Er schleifte das Kind bei rund 50 Grad im Schatten in den Hof, band es an ein Fenstergitter und ließ es in der prallen Sonne hängen. Das Kind starb.

Seit April steht Jennifer W. vor dem Oberlandesgericht München - weil sie ihren Mann nicht von der Tat abgehalten und dem Kind nicht geholfen hat. So beschuldigt sie die Bundesanwaltschaft. Ihr Mann war nach der Tat untergetaucht, sie selbst schwanger nach Deutschland zurückgekehrt. Die Justiz hatte lange nur Jennifer W., um die Tat aufzuklären.

Nun aber wurde ihr früherer Ehemann in Griechenland festgenommen, der mutmaßliche Mörder des Kindes, und in der vergangenen Woche nach Deutschland ausgeliefert. Noch im November soll er in dem Verfahren gegen Jennifer W. gehört werden, als Zeuge. Als er in Karlsruhe dem Ermittlungsrichter vorgeführt wurde, schwieg Taha al-J., 27, ein gebürtiger Iraker. Er hat dieses Recht zu schweigen, wenn er sich durch eine Aussage selbst belasten würde. In Griechenland soll er angegeben haben, er habe Angst vor seiner Frau, die seinen Tod wolle. Das Zusammentreffen der beiden vor Gericht in München könnte aufschlussreich werden.

Die Bundesanwaltschaft bereitet bereits eine eigene Anklage gegen ihn vor: wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Menschenhandel sowie natürlich wegen der Ermordung des kleinen Mädchens. Er wird sich dann nächstes Jahr vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten müssen.

Weltweit erste Anklage gegen IS-Mitglied wegen Völkermord

Für die Anwältin der ehemaligen Sklavin und Mutter des getöteten Kindes ist die Festnahme von Taha al-J. ein großer Erfolg. Diese Anwältin ist die weltweit tätige Menschenrechtsanwältin Amal Clooney, die dieses Verfahren als Pilotverfahren gegen den IS sieht, auch wenn sie bisher nicht im Gerichtssaal in München erschienen ist. "Die Verhaftung von Taha al-J. ist ein Meilenstein für die Überlebenden der brutalen Verbrechen des IS", erklärt Amal Clooney. "Es ist weltweit das erste Mal, dass ein IS-Mitglied wegen Völkermordes vor Gericht gestellt wird." Sie beglückwünsche die deutschen Behörden zu ihrem Engagement und forderte, IS-Täter müssten weltweit vor Gericht gebracht werden.

Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter wird auch die Mutter der Fünfjährigen wieder auftreten. Sie hat ihre Versklavung durch den IS überlebt und ist jetzt in Deutschland. "Seit ihrer Befreiung hätte sie nie gedacht, dass sie ihm (dem mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter; d. Red.) eines Tages vor Gericht gegenüberstehen würde", erklärt ihre deutsche Anwältin Natalie von Wistinghausen.

Die ehemalige Sklavin hat bereits über elf Tage im Prozess gegen Jennifer W. ausgesagt. Allerdings gestaltete sich das sehr schwierig. Denn die Frau kann nicht lesen und schreiben, sie kennt die Uhr nicht und kann auch nur sehr eingeschränkt Zeitangaben machen. Ihre Befragung drehte sich immer wieder im Kreis, zunächst war der Mann am Tod des Kindes schuld, dann soll hinter allem die Frau gestanden haben. Ihre Aussagen wechselten nahezu täglich. Diese Zeugin allein wäre als Beweismittel kaum ausreichend.

Aber es gibt da eben auch noch die Äußerung der Angeklagten Jennifer W. selbst. Die wollte mit ihrer eigenen erst zwei Jahre alten Tochter im Juni 2018 wieder zurück zum "Islamischen Staat". Sie vertraute sich einem angeblichen Glaubensbruder an, der sie in die Türkei bringen sollte. Und im Auto erzählte sie dem "Bruder" dann, sie und ihr Mann hätten eine Sklavin und ihre Tochter bei sich im Haus gehalten. Und ihr Mann habe das kleine Mädchen "mit Sonne bestraft" und sie verdursten lassen. Der "Bruder" war ein Spitzel, das Auto verwanzt.

Was damals in Falludscha allerdings genau vorgefallen ist, ist schwer aufzuklären. Die Mutter hatte sich mehrmals widersprochen, wie das Kind am Fenster hing. Der Rechtsmediziner geht davon aus, dass das Kind wie bei einer Kreuzigung am Fenster hing und schnell erstickte. Die Mutter hatte erklärt, sie habe nicht gedacht, dass ihr Kind sterbe. Dann aber könnte auch Jennifer W. nicht erkannt haben, in welcher Gefahr das Kind schwebte.

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SZ vom 18.10.2019/jael
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