Jemen:Versorgung unter Beschuss

Drohende Hungersnot im Jemen

Verteilung von Hilfsgütern in Jemens Hauptstadt Sanaa. Die meisten Lebensmittel kommen über den Hafen von Hodeidah ins Land.

(Foto: Mohammed Mohammed/dpa)

Angesichts der saudischen Offensive auf Hodeidah warnen die UN vor Hungersnot und Cholera-Epidemie. US-Senatoren dro­hen Abu Dhabi und Riad mit Kürzung der Militärhilfe.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Jemenitische Milizen haben unterstützt von emiratischen Truppen, Kriegsschiffen und Luftangriffen ihren Vorstoß auf Hodeidah fortgesetzt. Bewohner berichten von schweren Kämpfen am Flughafen südlich der Hafenstadt am Roten Meer, der noch von den Huthi-Rebellen gehalten wird. Die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition erklärte, sie wolle den Flughafen, die Verbindungsstraße in die Hauptstadt Sanaa und vor allem den Seehafen unter ihre Kontrolle bringen, jedoch einen Einmarsch in die Stadt vermeiden. Dennoch warnen die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen eindringlich vor einer Katastrophe in Jemen, sollte der Hafen im Zuge der Gefechte unbrauchbar werden oder sollten wichtige Verbindungen in den Nordjemen unterbrochen werden.

Die Nothilfe-Koordinatorin der UN für Jemen, Lise Grande, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Jede Schließung des Hafens wird unmittelbare und katastrophale Folgen für das Leben der Menschen im Norden Jemens haben, deswegen muss der Hafen offen gehalten werden!" Die UN versuchen derzeit mit allen Mitteln, eine neue Cholera-Epidemie abzuwenden. Dafür müssen Wasserstellen regelmäßig desinfiziert werden. Wenn die über den Hafen importierten Chemikalien dafür fehlten oder die Quellen wegen Kämpfen nicht mehr zugänglich seien, werde sich die Seuche sehr schnell ausbreiten, warnt Grande. Schon im vergangenen Jahr erkrankten die meisten Menschen in Hodeidah und Sanaa. Die Zahl der Infizierten übersteigt bis heute 1,1 Millionen, 2300 Menschen starben.

Überdies sei die Versorgung mit Lebensmitteln gefährdet, auch wenn die UN in Hodeidah und anderen Landesteilen Vorräte vorhalten. "Wir ernähren derzeit sieben Millionen Menschen, die sonst verhungern würden", sagt Grande. Weitere 11,4 Millionen, von denen 1,4 Millionen akut eine Hungersnot droht, sind aber von den kommerziellen Importen abhängig, die größtenteils über Hodeidah ins Land kommen. "Wenn sie keine Lebensmittel mehr bekommen, werden sie an unsere Türen klopfen", warnt Grande. Abweisen werden die UN sie nicht können, aber dann sind die Vorräte, die für sieben Millionen reichen sollten, binnen Wochen aufgebraucht.

Die UN haben deswegen internationales Personal zurück nach Hodeidah geschickt. "Derzeit laden wir mit Granatfeuer und Luftangriffen in wenigen Kilometern Entfernung 18 000 Tonnen Lebensmittel ab", sagte Grande. Allerdings sind die Lebensmittelimporte laut Hilfsorganisationen bereits vor Ausbruch der Kämpfe auf das niedrigste Niveau seit Beginn des Konfliktes im März 2015 gesunken, die Preise für Grundnahrungsmittel nochmals um ein Drittel gestiegen. Aus Sanaa und anderen Orten gibt es Berichte über Hamsterkäufe.

Die Vereinigten Arabischen Emirate, treibende Kraft hinter der Offensive, versichern, alles zu tun, um den Hafen offenzuhalten. Die Huthis versuchten, den UN-Sondergesandten Martin Griffiths in langwierige Diskussionen über technische Details zu verstricken, sagte der Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten, Anwar Gargasch, der SZ am Telefon. "Das einzige, was wir akzeptieren, ist ein bedingungsloser Rückzug der Milizen, die eine ganze Stadt und den Hafen als Geisel halten." Wenn die Huthis dazu nicht bereit seien, werde man sie militärisch vertreiben. Das sei unausweichlich, weil die Situation seit einem Jahr ein Patt sei und die Huthis sich dem UN-Friedensprozess verweigerten.

"Wenn sie Hodeidah verlieren, werden sie einsehen, dass sie keine Wahl haben, als an den Verhandlungstisch zu kommen", prophezeit Gargasch. Stämme, die derzeit noch auf Seiten der Huthis stünden, würden sich abwenden. Zudem würden sie ihre wichtigste Einnahmequelle verlieren und den Zugang zu modernen iranischen Waffen, die laut den Emiraten und Saudi-Arabien trotz Kontrollen immer wieder durch den Hafen geschmuggelt werden.

Die Sorgen über die Folgen der Offensive seien berechtigt, sagte Gargasch - sollten aber nicht übertrieben werden. Die Emirate hätten Notfallpläne ausgearbeitet, um in Konvois über Land Lebensmittel nach Jemen zu bringen und auch einzufliegen oder aus der Luft abzuwerfen. Zudem habe man Vorkehrungen getroffen, um den Hafen entminen und eventuell beschädigte Infrastruktur wie Kräne schnell reparieren oder ersetzen zu können. Der Hafen werde "nicht über Wochen außer Betrieb sein", versicherte er, und die Militäroperation "nicht Monate dauern, sondern kürzer".

Westliche Diplomaten zeigen sich skeptisch, dass dies gelingt. "Wir haben keinen Einblick in die tatsächlichen Pläne der Huthis", sagte eine mit der Situation vertraute Person. "Wir wissen nicht, ob sie kämpfen werden, ob sie den Hafen vor einem Abzug beschädigen oder verminen, ob sie einen taktischen Rückzug in Erwägung ziehen." Ein Sprecher der Rebellen warnte, Schiffe sollten sich von der emiratischen Marine vor der Küste fernhalten. Man habe eine versuchte Landungsoperation mit Raketen zurückgeschlagen. Bewohner der Stadt berichten, die Huthis hätten ihre Stellungen am Hafen verstärkt und Scharfschützen an Zugangsstraßen positioniert. Die Menschen versuchten, sich in den nahegelegenen Bergen in Sicherheit zu bringen.

US-Senatoren drohen Abu Dhabi und Riad mit Kürzung von Militärhilfe

Am Abend beschäftige sich der UN-Sicherheitsrat in einer Sondersitzung mit der Krise und forderte unter anderem, dass der Hafen Hodeidahs zur Versorgung des Landes offen gehalten werde. Diplomaten sagten, es gebe weiter Verhandlungen über eine Lösung, an denen sich auch die Emirate beteiligten. Druck auf Abu Dhabi und Saudi-Arabien kommt derzeit vor allem aus dem US-Kongress. In einem Brief drohen neun Senatoren der Demokraten und der Republikaner, die Militärhilfe für die beiden engsten US-Alliierten am Golf zu kappen. Unterzeichnet haben ihn unter anderem der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der Republikaner Bob Corker, und sein demokratischer Vize, Robert Menendez.

Die Regierung von Präsident Donald Trump hat sich dem Angriff nicht offen entgegengestellt. Während Weißes Haus und das Außenministerium sich davon mehr Druck auf Iran versprechen, ist das Pentagon skeptisch und sieht die Militär-Kooperation in der Region durch die kritische Haltung etlicher Senatoren gefährdet. Laut dem Wall Street Journal übermittelte das US-Militär Saudi-Arabien und den Emiraten Koordinaten wichtiger Infrastruktureinrichtungen, die sie keinesfalls bombardieren sollen.

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