Jemen:Der Tod kommt aus dem Exil

Sanaa leidet unter den Bombenangriffen Saudi-Arabiens, des Landes, in das Jemens Präsident vor den Huthi-Rebellen geflohen ist. Die Opfer sind zumeist Zivilisten.

Von Paul-Anton Krüger, Sanaa

Seit acht Tagen harrt Mohammed Ali al-Askari, 35, jetzt in seinem Taxi aus. Es soll morgen Sprit geben, hat er gehört. Aber solche Gerüchte gibt es viele dieser Tage in Sanaa, und allzu oft werden sie nicht wahr. Seit vier Wochen gibt es in Jemens Hauptstadt kein Benzin und keinen Diesel mehr, zumindest nicht an den Tankstellen. Nur auf dem Schwarzmarkt ist noch Treibstoff zu bekommen. Der Liter Diesel für vier Dollar, Benzin für fünf. Auf der 60. Straße, einer der sonst viel befahrenen Arterien der Stadt, stehen die Autos - drei Kilometer, vier Spuren, Stoßstange an Stoßstange. Selbst während der Stoßzeiten steht man nirgends im Stau; nur wenige Autos fahren.

Für Taxifahrer al-Askari, Vater von sieben Kindern und Mann zweier Frauen, heißt das, dass er kein Einkommen hat. Er zeigt seine leeren Hände, wenn man ihn fragt, wovon er jetzt lebt. Für ein bisschen Qat, die berauschenden Blätter, reicht es noch. Die dämpfen den Hunger. Er passt noch auf fünf andere Autos auf, die Kollegen geben ihm ein paar Hundert Rial dafür. Früher hat er 2500 Rial verdient am Tag, etwas mehr als zehn Euro. Er könnte seine 60 Liter Sprit für 25 000 Rial weiterverkaufen auf dem Schwarzmarkt, wenn er tanken könnte, doch das findet er "haram", von der Religion verboten. Man müsse auf Gott vertrauen, dann werde es schon weitergehen.

Für Sanaa und den Norden Jemens bedeutet der Sprit-Mangel aber noch mehr. Er stranguliert das Leben. Ohne Benzin oder Diesel gibt es keinen Strom - und ohne Strom kein Wasser. Eine teuflische Verkettung. Die Versorgung über die Stromleitungen liegt schon seit dem Frühjahr lahm. Immer weniger Menschen können es sich leisten, die Generatoren zu betreiben, mit denen sie hofften, den Engpass zu bestehen. Ohne Strom gehen die Wasserpumpen nicht. Vielerorts müssen die Menschen mit Kanistern an Tankwagen anstehen.

Jemen muss 90 Prozent aller Lebensmittel einführen

Die vom mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien geführte Militärkoalition hat eine Luft-, See und Landblockade über das ohnehin ärmste Land der arabischen Welt verhängt. Offiziell verfolgt sie das Ziel, den international anerkannten Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi wieder zum Herrscher über Jemen zu machen. Er war im Frühjahr vor Huthi-Rebellen aus dem Norden erst nach Sanaa und später ins Exil nach Riad geflohen. Doch die allermeisten Menschen in Jemens Hauptstadt wollen von ihm nichts mehr wissen, auch wenn sie nicht mit den Huthis oder Ex-Präsident Abdullah Ali Saleh sympathisieren. Sie sehen Saudi-Arabiens Vorgehen als Aggression.

Ohne Genehmigung der Allianz gelangt kein Flugzeug, kein Schiff, kein Lastwagen nach Jemen. Die Versorgungslage spitzt sich immer weiter zu. Mitte August haben saudische Kampfjets den Hafen von Hodeidah bombardiert. Erstmals sahen sich die USA genötigt, das Vorgehen des Verbündeten zu kritisieren. Über den Hafen kamen drei Viertel der Importe für den von den Huthis und mit ihnen alliierten Armee-Einheiten kontrollierten Norden ins Land. Er ist unersetzlich für die Versorgung.

Jemen muss 90 Prozent aller Lebensmittel einführen. Seit Wochen lebt das Land von Vorräten; die Preise steigen immer weiter. In den Straßen Sanaas begegnet man Hunderten ausgemergelten Menschen, die um Essen betteln. Wenn sich nicht bald etwas tut, befürchten die Helfer eine Katastrophe. "6,5 Millionen Menschen sind akut von einer Hungersnot bedroht", sagt Tariq Riebl, Programmdirektor der Hilfsorganisation Oxfam für Jemen. Noch einmal 6,5 Millionen haben nicht ausreichend zu essen. 21 der 26,7 Millionen Jemeniten sind auf Hilfslieferungen angewiesen.

Schon vor der Bombardierung Hodeidahs gingen die Importe verglichen mit der Zeit vor der Intervention um mehr als die Hälfte zurück. Millionen Menschen zu versorgen, damit sind auch die Hilfsorganisationen überfordert. Das ist nur möglich, wenn der Handel wieder in Gang kommt und die Blockade gelockert wird, sagen Helfer und manche europäischen Diplomaten.

Kaum noch Betäubungsmittel und Antibiotika

Die medizinische Notfallversorgung steht vor dem Kollaps. Es gebe kaum noch Betäubungsmittel und Antibiotika, sagt Ahmed al-Haifi, Chirurg und technischer Direktor des Republican Teaching Hospital in Sanaa. Es ist das zweitgrößte Krankenhaus in Jemen, 1000 bis 1500 Patienten muss es pro Tag versorgen. Verbands- und Nahtmaterial ist knapp, alles was al-Haifi zur Versorgung von Brüchen, Wunden oder Verbrennungen braucht - den typischen Verletzungen des Krieges. Wenn al-Haifi operiert, dann "mit der Mindestdosis an Anästhetikum", wie er sagt. "Was sollen wir machen?" Das größte Kinderkrankenhaus Jemens steht vor der Schließung, weil es keinen Treibstoff für die Generatoren mehr hat, auch für al-Haifi eines der größten Probleme. "Ich bin damit beschäftigt, Sprit aufzutreiben, statt zu operieren."

Am Wochenende kamen besonders viele Verletzte. Wütend bombardierten saudische und emiratische Kampfjets die Stadt so heftig wie nie zuvor in diesem Krieg, es gab Dutzende Tote. Zuvor hatte eine Rakete der Huthi-Rebellen ein gegnerisches Waffenlager in die Luft gejagt und 60 Soldaten getötet, 45 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, zehn aus Saudi-Arabien, fünf aus Bahrain. Von den Bomben getroffen wurden dagegen zivile Ziele, darunter ein Waisenhaus. Die Straßen von Sanaa waren leer, die Menschen trauten sich nicht aus ihren Häusern.

Besonders zu leiden haben die Flüchtlinge. Etwa 300 000 Familien, zwei Millionen Menschen, sind vor den Kämpfen geflohen, sagt Abdelkarim Hamid, Direktor des Informationszentrums für Binnenvertriebene in Sanaa. Aus dem Land kommen sie kaum, also versuchen sie sich innerhalb Jemens in Sicherheit zu bringen. Die tatsächlichen Zahlen dürften höher liegen, den viele Jemeniten retten sich aufs Land zu ihren Familien, ohne sich als Flüchtlinge zu registrieren.

Zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht - innerhalb des Landes

Khalid Ali al-Wahid, 32, hat sich aus Shabwa im Süden in eine Schule in Sanaa retten können. Als er von einem Luftangriff auf sein Dorf hörte, eilte er von der Arbeit, drei Stunden entfernt, nach Hause. Sein Haus war zerstört und leer, die Familie verschwunden. Er fürchtete das Schlimmste. Nach einer Odyssee von zehn Tagen fand er seine Frau und seine drei Kinder; der Nachbar hatte sie in Sicherheit gebracht. "Ich will nur, dass wir zurückkönnen" sagt er. In Sanaa kennt er niemanden, findet keine Arbeit. "Wir sind keine Huthis, was haben wir getan?", fragt er.

Wie so oft in Kriegen leiden die Zivilisten am meisten. Mehr als die Hälfte der etwa 5000 Getöteten sollen Zivilisten sein, viele davon Frauen und Kinder. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) werfen beiden Seiten vor, internationales Recht zu brechen und Kriegsverbrechen zu verüben. Viele der Luftschläge träfen zivile Ziele, moniert HRW. Auch kritisiert die Organisation, dass Saudi-Arabien und die Koalition international geächtete Streumunition eingesetzt habe - deren Sprengkörper sind in Jemen gefunden und dokumentiert worden.

Den Huthis werfen die Menschenrechtler ebenfalls den Beschuss ziviler Gebiete mit schweren Waffen vor, darunter Mörsergranaten. Zudem sollen sie bei ihrem Abzug aus Aden geächtete Landminen gelegt haben. In Sanaa berichten Bewohner überdies von willkürlichen Verhaftungen von Anhängern der Islah-Partei, dem lokalen Ableger der Muslimbruderschaft, der mit den Saudis verbündet ist.

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