Juncker und die Griechenland-Krise:Monsieur Euro fürchtet um sein Erbe

Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker hat sich ganz der europäischen Idee verschrieben - er war dabei, als der Euro erfunden wurde, er führte die Feder beim Ringen um die Regeln des Stabilitätspakts. Nun aber gefährdet die Griechenland-Krise den Zusammenhalt der EU und die wirtschaftspolitischen Entscheidungen sind umstritten. "Wir spielen mit dem Feuer", sagt Juncker.

Cerstin Gammelin

Nein, er bekommt den Ruf wohl nicht mehr weg, kann das Geraune nicht ersticken, dass er ein Schwätzer geworden sei, ein Politiker, der zum Lügen auffordere. "Sie haben das auch geschrieben", moniert er, kaum dass er im Fonds seines Dienstwagens sitzt. Durch das Gesicht von Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker ziehen sich tiefe Falten.

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Jean-Claude Juncker gilt als einer der Väter des Euro.

(Foto: AFP)

Am Abend zuvor hat er als Präsident der Euro-Länder gerade wieder eine Krisensitzung geleitet - und wieder waren da die Gerüchte, sie hätten gestritten, sogar einander angeschrien, so dass sie am Ende die Pressekonferenz absagen mussten. "Alles falsch", sagt er verärgert. Es sei gar keine Pressekonferenz geplant gewesen. Also sei auch nichts abgesagt worden. "Verdrießlich" sei es, das ständige Gehetze nach Informationen, dieses Bangen, was dann wieder über den Ticker laufe. "Es muss alles schnell gehen - man hat nicht mehr das Recht zu denken. Das ist eine Schwäche."

Juncker fingert seine erste Zigarette aus dem kleinen schwarzen Etui. Der einstige Kettenraucher versucht, sich zu disziplinieren: Zehn Zigaretten pro Tag sind erlaubt.

Bislang war Juncker als "Monsieur Euro" bekannt. Helmut Kohl nannte ihn einst "ein Glück für Europa". Juncker war dabei, als der Euro erfunden wurde, er führte elegant die Feder, als Franzosen und Deutsche um die Regeln des Stabilitätspakts rangelten. Juncker, so geht die EU-Saga, sei ein europäischer Handwerker, einer, der den Mikrokosmos seines Großherzogtums hinter sich lassen konnte, weil es ihm gelang, sich als Vermittler zwischen den europäischen Egos zu etablieren. "Ich baue Brücken bevor die anderen überhaupt sehen, dass man eine Brücke braucht", sagt er über sich selbst.

Jetzt droht das alles überschattet zu werden von diesem Ärger. Darüber, dass er ein geheimes Treffen in Luxemburg dementieren ließ, nachdem es schon durchgesickert war. Das Dementi sei abgesprochen gewesen mit Berlin und Paris, sagt er. Dann spielte Berlin nicht mehr mit, alles flog auf. Juncker bricht ab, unausgesprochen schwebt ein Vorwurf durch den Wagen: Mit Helmut Kohl oder Jacques Chirac ist so etwas nicht passiert.

Stattdessen kommt er auf den EU-Gipfel im Juni 2004 zu sprechen. Damals habe ihn Angela Merkel selbst zum Wortbruch aufgefordert: "Ich hatte gerade das Angebot abgelehnt, Präsident der Europäischen Kommission zu werden, weil ich meinen Landsleuten versprochen hatte, nach einem Wahlsieg Premier zu bleiben. Während des Mittagessens rief Angela an und sagte: 'Nun musst du springen!'"

Politisch andere Welten

Seit Angela Merkel und Nicolas Sarkozy die beiden größten EU-Länder lenken, fehlen Juncker die Mitspieler. Der 56 Jahre alte Politiker wirkt wie ein Fossil unter Gleichaltrigen. Vom Alter liegen nur sechs Monate zwischen ihm, Merkel und Sarkozy. Politisch aber trennen sie Welten. Juncker ist mit dem Aufbruch Europas aufgewachsen, er vermag sich für die Gemeinschaft zu begeistern. So wirkt er glaubwürdig, wenn er sich aufregt, dass kein Proteststurm über den Kontinent fegt, wenn ein Land wieder Grenzkontrollen einführt, wenn er dafür wirbt, dass die Euro-Länder gemeinsame Anleihen ausgeben oder als starke Gemeinschaft einen gemeinsamen Sitz im Weltwährungsfonds haben sollten oder am Tisch der G-20.

Ganz uneitel ist das nicht, denn Juncker würde mindestens bis Mitte 2012 selbst diesen Platz einnehmen. Doch das ficht ihn nicht an. Es sei "eine Anomalie", dass der Chef der Europäischen Zentralbank, also der "monetäre Vertreter" des Euro an den Beratungen teilnehme, nicht aber der Präsident der Euro-Gruppe als politischer Vertreter. Das klingt logisch, hat aber bisher weder Merkel noch Sarkozy überzeugt.

Denen ist so viel europäische Leidenschaft fremd, sie verteidigen Europäisches nur in nationalen Grenzen. Lediglich Wolfgang Schäuble fühlt sich Juncker verbunden. "Einzigartig und beeindruckend" schaffe Juncker es, "die Mitgliedstaaten der Euro-Zone zu koordinieren und zusammenzuhalten", sagt der deutsche Minister, der selbst als europäisches Fossil gilt. Juncker räumt ein, dass er inzwischen gelegentlich fast verzweifelt, "weil das institutionelle Erinnerungsvermögen so gering ist, dass wir immer wieder mit Inbrunst dieselben Debatten führen und nicht voran kommen".

Da ist diese ewige Diskussion über eine Wirtschaftsregierung. Die laufe seit 1991. Franzosen, Belgier und Luxemburger wollten damals nationale Politiken bündeln. Aus Deutschland und den Niederlanden kam ein entschlossenen Nein. Um das alles zu übertünchen, folgte ein typischer EU-Kompromiss: Man wollte künftig besser koordinieren. 1997 war endlich alles ausformuliert, dann passierte: nichts. Bis 2011. "Jetzt steht das alles wieder in einem Papier, das Euro-Plus-Pakt heißt." Und werde als Durchbruch für eine Wirtschaftsregierung gefeiert.

Juncker schüttelt den Kopf. Viele Regierungschefs haben angesichts des Gipfels kommende Woche aufgeschrieben, wie sie enger kooperieren wollen. "Auf dem Gipfel werden wir das einfach abnicken", sagt er fast zornig. "Die europäische Wirtschaftsregierung verdient diesen Namen nicht. Wäre sie wirklich eine Regierung, müsste sie jetzt vier Tage tagen, weil sich die Regierungschefs intensiv mit jedem Land beschäftigen müssten." Spanien habe sogar darum gebeten. Stattdessen werde der Klub der 27 einfach nicken. "Ich sehe dem Gipfel nicht gespannt, aber entmutigt entgegen."

Von Erinnerungen überwältigt, kann Juncker lustige Episoden erzählen, wie die, als Franzosen die Deutschen aus dem europäischen Währungssystem mobben wollten und es ein britischer Finanzminister war, der das verhinderte - und damit den Euro erst möglich machte. Also: "Es war auf einer Sitzung der Finanzminister im Jahr 1993, auch damals trafen wir uns heimlich, aber das blieb geheim". Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel war bereit, auszutreten, auch der Holländer, und Luxemburg hatte heimlich Geld gedruckt, um notfalls ebenfalls zu gehen. Da habe ihn Kenneth Clarke, damals Londons Schatzkanzler, heute Justizminister, beiseite genommen: "Geht nicht, ihr kriegt das Ding nie wieder zusammen, es wird nie eine Währungsunion geben, aber ich hätte sie gern, damit wir eines Tages beitreten können." Dass London den Euro einführen werde, ist für Juncker klar. "An dem Tag, an dem sie begreifen, dass das britische Pfund zu einer regionalen Währung ohne internationalen Einfluss geworden ist, werden sie der Euro-Zone beitreten."

Wenn Angela kommt, muss Brandt weg

Junckers Fahrer biegt von der Autobahn ab, der schwere Hybrid-BMW hält vor einem schwarzen Metallzaun, dahinter steht ein schlichtes Wohnhaus, kein Name an der Tür. "Es wissen sowieso alle, wo der Premier wohnt", sagt der Fahrer. Die Polizei residiert in Rufweite. Juncker trägt den Koffer ins Haus und warnt vor dem Hund. Plato, ein griechischer Straßenköter, von Tierfreunden gekauft, die herrenlose Hunde auf Samos vermitteln, belle gelegentlich Besucher an. Jetzt wedelt er mit dem Schwanz. Junckers Frau Christiane Frising bringt Kirschen, dann geht's in Büro.

Ein hübsches Haus, mitten im Zentrum von Luxemburg. Die kleine Klingel ist neben der schweren Holztür, der Besucher macht drei Schritte gerade aus, dann ein paar nach rechts - und steht vor dem mit Akten, Zeitungen und einem riesigen Telefon bepackten Schreibtisch des Premiers. Der Hausherr bittet in die gemütliche Ecke, zwei Sofas, auf dem Tisch ein Aschenbecher und eine Eieruhr ("gelegentlich ermüdet die Regierungsarbeit"). Direkt davor steht Willi Brandt, gegossen, eine kleinere Ausführung des lebensgroßen Originals aus der Berliner SPD-Zentrale. Ist das nicht die falsche Partei? Juncker lacht. Keiner seiner Gäste störe sich daran, dass ein Sozialdemokrat im Büro eines konservativen Premiers stehe. "Nur wenn Angela kommt, lasse ich sie wegräumen", grinst er.

Jetzt, kurz vor dem nächsten EU-Gipfel, machen Banken-Chefs ihre Aufwartung. Martin Blessing von der Commerzbank, Yves Mersch von der Luxemburger Zentralbank, Bundesbankchef Jens Weidmann. Sie treibt der deutsche Wunsch um, private Banken, Versicherungen oder Rentenfonds an den Kosten der Krise in Griechenland zu beteiligen. "Wir spielen mit dem Feuer", sagt Juncker. Im schlimmsten Fall könnten die Ratingagenturen dann auf "zahlungsunfähig" plädieren, mit extremen Folgen für die Währungsgemeinschaft. "Die Pleite kann Portugal anstecken und Irland, und dann wegen der hohen Schulden auch Belgien und Italien, noch vor Spanien." Juncker wird wieder ungehalten. Und das sei nicht alles. Weil die griechischen Banken am stärksten von einer Umschuldung betroffen seien, müssten sie ein zusätzliches Finanzpaket erhalten. "Weil wir aus deutschen innenpolitischen Gründen private Gläubiger beteiligen sollen, wird alles noch teurer."

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