Süddeutsche Zeitung

Jean-Bertrand Aristide:Haitis Präsident mit Hang zum Despoten

Einst war er der Liebling der Armen und der Schrecken der Reichen. Dann begannen seine Schlägertrupps, Opposition und Bevölkerung zu terrorisieren. Doch seine Gegner wehren sich und kontrollieren inzwischen große Teile des Inselstaates.

Von Rudolph Chimelli

Im luxuriösen Wohnsitz von Jean-Bertrand Aristide steht eine Säule, hinter der man alle Gespräche im Salon belauschen kann, aber nicht gesehen wird.

Ausgewählten Besuchern zeigt Haitis Präsident diesen Horchposten. Er lebt in Tabarre, nördlich der Hauptstadt Port-au-Prince, hinter hohen Mauern, beschützt von amerikanischen Wächtern.

Zwar hat er Gefallen an großen Autos gefunden, aber er bewegt sich fast nur noch im Hubschrauber zu seinem Weißen Haus oder über die Slums hinweg, in denen die meisten Haitianer leben. Gern lässt sich der 50-Jährige als "Exzellenz" ansprechen.

In Salines, einem dieser Elendsviertel der Hauptstadt, hatte der Befreiungstheologe Aristide seine politischen Erweckungspredigten gehalten, die ihn zum Liebling der Armen machten.

"Titide" nannten sie ihn zärtlich. Er sprach nicht Latein und nicht Französisch, sondern die Volkssprache Kreolisch, wenn er gegen seine Kirche wetterte: "Sie ist reich dank der Armen in einem Land, das arm ist wegen der Reichen."

Sein anderes Angriffsziel war die "tödliche wirtschaftliche Infektionskrankheit Kapitalismus, deren Abfälle die Slums vollstopfen".

Als er 1990 mit 67 Prozent der Stimmen gewählt wurde, träumten die Armen von einem besseren Leben, das ihr Messias bringen würde. Radikale erhofften sich Sozialismus.

Mit brennenden Autoreifen um den Hals ermordet

Aristides Bewegung Lavalas (kreolisch: Flutwelle) sollte alles fortschwemmen. Die Reichen hatten Angst. Nicht ohne Grund, denn eine Reihe von Gegnern wurde von Anhängern Aristides mit brennenden Autoreifen um den Hals ermordet.

Er war noch nicht ein Jahr an der Macht, als Militärs gegen ihn putschten. Aristide ging in die USA. Die Paten seiner Wiederkehr waren Bill Clinton und Jimmy Carter: Der amtierende Präsident gab seinem Vorgänger die Aufgabe, die haitianischen Generäle zum Abzug ins Exil zu bewegen.

Im Gepäck amerikanischer Truppen kehrte Titide 1994 zurück. Als seine erste Amtszeit 1995 abgelaufen war, trat sein Weggefährte René Preval als Platzhalter an. Im Jahr 2000 wurde Aristide wiedergewählt.

Mit seiner Bewegung hatte sich der neue Titide bereits völlig der despotischen Tradition Haitis angepasst. Die Schlägertrupps der "Chimären" oder die "Brigades Speciales" terrorisieren Opposition und Bevölkerung. So kam es auch am Tag der 200-jährigen Unabhängigkeit zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern des Präsidenten.

Politische Morde sind an der Tagesordnung. Die Armee hatte Aristide schon bei seiner Heimkehr aufgelöst. Dafür ist die Polizei - nur 3500 Mann für acht Millionen Einwohner - Teil des Unterdrückungsapparats. Und sie ist am Geschäft beteiligt.

Titide ist reich geworden, drei Vertraute dürfen wegen des Verdachts auf Rauschgifthandel nicht in die USA reisen. Seine Doktorarbeit als Salesianer-Pater hatte Aristide einst über "Autoritarismus und Neurose im Alten Testament" geschrieben. Von der Theologie hat er sich seither selber befreit. Im Frühling verfügte er die Gleichstellung von Vodou mit dem Katholizismus. Mit seiner Frau Mildred, genannt Manouche, einer Advokatin aus den USA, hat er zwei Kinder.

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SZ vom 3.1.2004
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