Japans Verbrechen im Zweiten Weltkrieg:Eine Umkehr von historischer Dimension

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Leben mit schrecklichen Erinnerungen: frühere "Trostfrauen" Estelita B. Dy (li.) und Cheng Chen-tao

(Foto: dpa)

Japan will sich dafür entschuldigen, dass es im Zweiten Weltkrieg Koreanerinnen zu Sexsklavinnen machte. Stellen sich auch Nippons Nachbarn ihrer Vergangenheit?

Kommentar von Christoph Neidhart, Tokio

Premier Shinzo Abe hat im Streit um die japanische Geschichte im Zweiten Weltkrieg eine Kehrtwende vollzogen. Er will alles umwerfen, was er bisher über die Versklavung von bis zu 300 000 jungen Frauen, vor allem aus Korea, in japanischen Feldbordellen als Tatsachen und Überzeugungen vertrat. Japans Nachbarn verlangen seit Jahrzehnten, Tokio müsse sich "ernsthaft" für die Gräueltaten seiner Armee im Zweiten Weltkrieg entschuldigen.

Im Fall der sogenannten Trostfrauen will Abe dem nun nachkommen. Noch zum 70. Jahrestag des Kriegsendes im August sprach er zwar, wie allseits gefordert, von Reue, vermied aber mit gewundenen Formulierungen eine ausdrückliche und persönliche Entschuldigung.

Tokio hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach entschuldigt, schickte aber jedes Mal bald danach halbe Dementis hinterher. Konkrete Fälle wie das Massaker von Nanking, bei dem die kaiserliche Armee Zehntausende chinesische Zivilisten ermordete, oder die Giftgas- und Bio-Waffenversuche an lebenden Menschen in der Mandschurei, wurden dagegen stets geleugnet oder geschmälert.

Japans Schul-Geschichtsbücher ignorieren die Übeltaten seiner Armee oder spielen sie herunter. Das hat Abe einst persönlich durchgesetzt. Wenn er nun konkret und explizit die Verantwortung der japanischen Regierung für die Sex-Versklavung von Koreanerinnen anerkennt, ist das eine Umkehr von historischer Dimension.

Nie die Lebenslügen hinterfragt

Japan hat sich den düsteren Seiten seiner Geschichte nie wirklich gestellt. Die Tokioter Prozesse, bei denen japanische Kriegsverbrecher abgeurteilt wurden, gelten hier als üble Siegerjustiz.

Nachdem die chinesischen Kommunisten 1949 in Peking an die Macht gelangt waren, haben die USA von Japan keine Aufarbeitung der Vergangenheit mehr gefordert. Sie brauchten Japan als Verbündeten, nicht als funktionierende Zivilgesellschaft.

Außerdem setzten die Vereinigten Staaten auf die alte Elite, die Japan in den Krieg geführt hatte, auch auf Abes Großvater Nobusuku Kishi, der im Krieg Munitionsminister war. Diese Männer hatten keine Veranlassung, ihre Lebenslügen zu hinterfragen. Für ihre Enkel, die Japan nun regieren, sind deren Geschichtsklitterungen Fakten geworden.

Überdies verliert man mit einer Entschuldigung in Asien sein Gesicht, man unterwirft sich; das wollen die Enkel ihren Großvätern und den eigenen Familien nicht antun. Dass es sich, wie Deutschlands Beispiel zeigt, wirtschaftlich sogar lohnt, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, erkennt Japan erst allmählich.

Schamloses Ausnutzen der Geschichte

Anders als der (bisherige) Überzeugungstäter Abe nutzen die chinesische Führung und die südkoreanische Präsidentin Park Geun Hye die Geschichte schamlos aus. Park hat mehrfach gezeigt, wie wenig Mitgefühl sie für persönliche Schicksale hat, zum Beispiel nach dem Untergang der Fähre Sewol, bei der mehr als 300 Menschen umkamen. 2005 hatte der damalige südkoreanische Präsident Roh Moo Hyun eine "Wahrheits- und Versöhnungskommission" einberufen, sie sollte Verbrechen des südkoreanischen Staates an seinen Bürgern aufklären.

Sein Nachfolger Lee Myung Bak drehte der Kommission den Geldhahn zu. Park geht noch weiter: Sie will die Kontrolle über die Geschichtsbücher und fordert eine Beschönigung der Militärdiktatur. Das darf niemanden verwundern. So voreingenommen wie Abe das Erbe seines Großvaters bisher hochhält, so blind ist Park als Tochter des langjährigen Militärdiktators Park Chung Hee für humanitäre Fragen.

Sollte Premier Abe nicht, wie Tokio in früheren Fällen und wie einige Kritiker befürchten, bald einen Rückzieher machen, könnte die Vereinbarung von Seoul zum Auftakt für einen neuen Umgang mit der Geschichte in Ostasien werden.

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