Japans Premier Abe besucht umstrittenen Schrein:Kalkulierte Provokation

Er selbst nennt sein Pilgern zwar ein Gelöbnis für den "ewigen Frieden", aber mit seinem Besuch im umstrittenen Yasukuni-Schrein hat Japans Premier Abe die Nachbarn des Landes brüskiert. China und Südkorea kritisieren seine "Schamlosigkeit", und die Spannungen in einer ohnehin schon unruhigen Region wachsen weiter.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Japans Premier Shinzo Abe hat alle Zweifel beseitigt: Ein Ausgleich mit Südkorea und China interessiert ihn nicht, und die Erholung der Wirtschaft hat nur eine nachgeordnete Priorität. Am Donnerstag besuchte der nationalistische Regierungschef den Yasukuni-Schrein, mit dem Japan der 2,5 Millionen in seinen Kriegen gefallenen Soldaten und Beamten gedenkt. In dem Heiligtum unweit des Kaiserpalastes in Tokio werden auch verurteilte Kriegsverbrecher geehrt. Abe ist der erste japanische Ministerpräsident, der seit 2006 dort gebetet hat. Sein Besuch fällt in eine Phase erhöhter Spannungen zwischen Tokio und Peking wegen des Streits um eine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer.

Gewunden und indirekt entschuldigt

Seoul und Peking protestierten umgehend gegen Abes "Schamlosigkeit", wie Chinas Außenamt es formulierte. Auch das US-Außenministerium kritisierte Japans Premier: Der Besuch verschärfe die Spannungen mit Japans Nachbarn. Abe dagegen nannte sein Pilgern ein Gelöbnis für den "ewigen Frieden". Beim Gebet am Yasukuni sei ihm bewusst geworden, wie wertvoll der Frieden für Japan sei. Die Gefühle der Chinesen und Koreaner habe er damit nicht verletzen wollen, die Beziehungen zu den beiden Nachbarländern seien wichtig.

Die japanische Armee hat in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg, Teile Chinas unterworfen und Korea kolonisiert; sie hat Menschenversuche mit chemischen und biologischen Waffen durchgeführt, Hunderttausende junge Frauen in ihre Feldbordelle verschleppt und Zivilisten massakriert. Tokio hat sich dafür schon mehrmals, aber stets halbherzig, gewunden und indirekt entschuldigt.

Kein Kaiser seit 1978

Peking und Seoul haben den Yasukuni-Schrein deshalb zum Lackmus-Test für Japans Ernsthaftigkeit stilisiert. Solange die Staatsspitze, besonders der Premier, ihn nicht besuche, belasteten Besuche rangniedriger Politiker die Beziehungen kaum, haben sie Tokio bedeutet. Mehrere japanische Premiers haben daher auf einen Yasukuni-Besuch verzichtet, auch Abe selbst während seiner ersten Zeit als Regierungschef vor sechs Jahren. Seit 1978 geht der Kaiser nicht mehr zum Yasukuni. Allerdings betrachte die Regierung diese Vereinbarung als hinfällig, seit der Inselstreit mit Peking ausgebrochen ist.

Visitor takes pictures at Yasukuni shrine in Tokyo

Der Yasukuni-Schrein in Tokyo

(Foto: REUTERS)

Abe wusste genau, dass weder die Führung in Peking noch jene in Seoul künftig zu einem Gipfeltreffen mit ihm bereit sein würden, wenn er den Yasukuni besuchte. Da hilft es auch nicht, dass sein Außenminister betont, er sei als Privatmann, nicht als Premier zum Schrein gepilgert. China ist Japans wichtigster Handelspartner, die beiden Wirtschaften sind eng verflochten, Südkorea ist die Nummer drei. Die Exporte in diese Nachbarländer sind für Japans Wirtschaft überlebenswichtig. Doch Abe belastet mit seinem Kurs nicht nur die gegenwärtigen Wirtschaftsbeziehungen und damit Japans Exporte, sondern mehr noch deren Ausbau. Seit Jahren wird von einem Freihandelsabkommen der drei Staaten gesprochen, aber mit einem Premier, der den Yasukuni-Schrein besucht, werden Peking und Seoul nicht verhandeln.

Nimmt man Abe beim Wort, dann scheint er zu glauben, sein Rechtsnationalismus und seine offen zur Schau gestellte Nostalgie nach dem militaristischen Japan der Vorkriegszeit lasse sich mit guten Wirtschaftsbeziehungen zu China und Südkorea vereinbaren. In Tokio gibt es Beobachter, die ihn deshalb für naiv halten. Andere behaupten, zuweilen packe ihn ein fanatischer Nationalismus. Eine dritte Schule unterstellt dem Premier, er sei ein kühler Rechner. Die Beziehungen zu Peking und Seoul seien so schlecht, dass er mit seinem Besuch, der mit dem ersten Jahrestag seines Amtsantritts zusammenfiel, kein zusätzliches Geschirr zerschlagen habe. Hingegen habe er den japanischen Rechtsradikalen, denen er persönlich nahesteht und die seine Wählerbasis bilden, ein Versprechen erfüllt.

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