Die Verbeugung der Woche in Japan kam diesmal von Takayoshi Tsuda. Der Polizeichef der Präfektur Shizuoka entschuldigte sich damit bei Iwao Hakamada. Und zwar für jene Ermittlungsarbeit, mit der die Polizei Hakamada vor 58 Jahren wegen vierfachen Mordes ins Gefängnis gebracht hatte. Iwao Hakamada wurde danach zum Tode verurteilt, jahrzehntelang saß er in Isolationshaft – bis moderne Nachweismethoden seine Unschuld zeigten. Kürzlich wurde er freigesprochen, mit 88. Polizei und Staatsanwaltschaft mussten Fehler einräumen. Tsuda zeigte eine klassische 90-Grad-Verbeugung mit durchgedrückten Knien und Händen an der Hosennaht.
Es steckt viel drin in den Verbeugungen der Japaner. Sie grüßen damit, sie danken, zeigen Respekt und vieles mehr. Den Oberkörper zu neigen, ist im Inselstaat meistens keine Geste der Unterwürfigkeit wie in anderen Kulturen, sondern eine Handlung des gesellschaftlichen Umgangs. Man verbeugt sich voreinander, quasi auf Augenhöhe. Und es ist keineswegs egal, wie man das tut. Die ersten Anleitungen zum richtigen Verbeugen stammen von den Samurai der Kamakura-Periode (1185 bis 1333). Jahrhunderte später erreichte die Etikette das Volk. Heute verbeugen sich schon die Kinder in der Schule zum Morgengruß. Firmen geben Mitarbeitern Fortbildungen, damit Winkel und Körperspannung stimmen.
Die öffentliche Verbeugung wird von Firmen und Behörden gezielt eingesetzt
Die Verbeugung zur Entschuldigung ist eine Sonderform. Bei ihr geht es doch um Unterwürfigkeit. Oft ist sie eine öffentliche Aufführung, bei der Firmen und Amtsträger die Folgen eines Fehlers tilgen wollen. In vielen Fällen gelingt das. Der Polizeichef Tsuda zum Beispiel erreichte mit seiner technisch hochklassigen Entschuldigungsverbeugung, dass Iwao Hakamada die Polizei der Präfektur Shizuoka nicht wegen ihrer fehlerhaften Ermittlungen verklagen wird.
Aber es gibt auch Missbrauch. Viele Unternehmen berichten von unzufriedenen Kunden, die Mitarbeiter zu Verbeugungen zwingen. Und zwar nicht nur zum 90-Grad-Bückling, sondern zur tiefsten Form der Demutsgeste. Auf Japanisch heißt sie Dogeza. Der oder die Verbeugende kniet sich dabei hin, legt die Hände vor sich ab und beugt sich über sie, bis die Stirn fast den Boden berührt. Laut einer Onlineumfrage des Callcenters „After Call Navi“, über die die Zeitung Mainichi berichtete, hatten 46,8 Prozent der japanischen Firmen schon mit Kunden zu tun, die von Mitarbeitern die Dogeza-Haltung verlangten. Rund 70 Prozent von diesen folgten der Aufforderung, meistens, um die Situation schnell zu bereinigen.
Japan gilt als Dienstleistungsparadies, der Kunde ist hier nicht nur König, sondern ein unfehlbares Wesen. Einzelne nutzen das aus. In Japan gibt es einen Begriff dafür: Kasu-Hara, abgeleitet vom englischen customer harrassment, Belästigung durch Kunden. Das Problem ist erkannt. Die Hauptstadtpräfektur Tokio hat gerade eine Verordnung verabschiedet, die Kunden unangemessene Forderungen verbietet. Allerdings ohne Strafen und klare Angaben dazu, ab wann ein Kundenwunsch zu weit geht. Es dürfte also noch eine Weile dauern, bis ein Kunde sich vor denen verbeugen muss, die sich vorher vor ihm verbeugen mussten.