Japan:Umbruch rückwärts

Die Regierungspartei LDP sucht nach einer Formel für die Wahl 2021 und die Zukunft des Landes. Allerdings bedient sie dabei eher Bedürfnisse von gestern und wirft die Frage auf, wo Japan seinen Platz in der Welt findet.

Von Thomas Hahn

Japans Zukunft ist in Arbeit. In der Regierungspartei LDP sammeln Arbeitsgruppen dieser Tage Ideen für die Zeit nach der Pandemie. Beobachter gehen davon aus, dass Ex-Außenminister Fumio Kishida dabei nicht nur wegen seiner Funktion als Parteipolitik-Chef einer der Wortführer ist. Sondern weil er Anhänger gewinnen will im Wettbewerb um die Nachfolge von Parteichef und Premierminister Shinzō Abe. Im September 2021 wird gewählt, Abe gilt als angeschlagen, die Opposition ist zersplittert. Was in der LDP derzeit entsteht, entscheidet darüber, wie es weitergeht mit der drittgrößten Volkswirtschaft der Erde.

Schön wäre es, wenn die rechtskonservativen Herrschaften ihr Land dabei auch im größeren Zusammenhang denken. Denn gerade fehlt eine klare Vorstellung davon, welche Rolle Japan eigentlich in der Weltgemeinschaft spielen will. Will das Land ein Wertepartner des Westens sein? Oder ein Wirtschaftspartner Chinas? Oder beides? Oder irgendwas ganz anderes, ein Inselstaat von eigenen Gnaden, der ohnehin alles besser weiß?

In der Coronavirus-Krise hat man über die Japaner gelernt, dass sie am liebsten nach ihren eigenen Regeln spielen. Lange ließ Japans Regierung die Welt darüber rätseln, warum sie sich dem Trend verschloss, mit möglichst vielen Tests auf Covid-19 möglichst viele Ansteckungen zu verhindern. Erst seit Kurzem sprechen Japans regierungsnahe Virologen anschaulicher über ihre intelligente Anti-Coronavirus-Strategie, nach der sie gezielt jene Infizierten isolieren, die besonders ansteckend sind. Genie oder Glück gehabt? Jedenfalls hat Japan offiziell so wenige Covid-19-Tote wie kein anderer G-7-Staat und erklärt fast gönnerhaft, man könne seine Erfahrungen jetzt teilen. Allerdings riegelt sich Japan gerade auch so konsequent wie kein anderes G-7-Land gegen das Coronavirus ab: Ausländer mit Aufenthaltstitel dürfen nicht an ihre Wohnorte zurück, Handelsreisende können sich nicht bewegen. Gerade die EU wundert sich. Und zwischendurch verprellte Nippon ein Bündnis aus USA, Großbritannien, Australien und Kanada, das sich gegen Chinas Sicherheitsgesetze für Hongkong positionierte: Japan machte nicht mit.

Die Regierungspartei LDP sucht in der Vergangenheit nach der Formel für morgen

Andere neigen auch zur Besserwisserei. Gerade die EU sollte Japan Belehrungen ersparen. Zumal es das Land nicht leicht hat als Nachbar der Atommächte China und Nordkorea - und als Exportnation in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Trotzdem: Japans Demokratie muss mehr ausstrahlen als vornehme Zurückhaltung und Lust auf gute Geschäfte. Die Folgen der Pandemie bekommt man mit Alleingängen nicht in den Griff. Die Welt braucht Japan, auch bei den Themen Klimawandel und Migration. Und Japan braucht die Welt - sofern das Land nicht stecken bleiben will in Selbstzufriedenheit und Kaiserzeit-Verklärung.

Vielleicht will die Regierungspartei aber genau das. Die LDP hat durch Abe einen nachhaltigen Rechtsruck erfahren. Ihre Vorstellung von der Zukunft dürfte darauf abzielen, Altes neuer aussehen zu lassen und nichtjapanische Einflüsse zu vermeiden. Finanzminister Tarō Asō hat zuletzt erzählt, was er auf Fragen aus dem Ausland zu Japans geringen Covid-19-Toten geantwortet hat: "Ich habe diesen Leuten gesagt: Der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Land ist das Niveau der Leute." Mit dieser Haltung wird die LDP Japan nicht zum prägenden Partner der Weltgemeinschaft machen.

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