Premier vor dem Aus:Was Sugas Rückzug für Japan bedeutet

Premier vor dem Aus: Macht Platz für einen neuen Parteichef und damit auch für einen anderen Premierminister: Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga.

Macht Platz für einen neuen Parteichef und damit auch für einen anderen Premierminister: Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga.

(Foto: BEHROUZ MEHRI/AFP)

Sogar Parteifreunde sind überrascht: Suga gibt das Amt des LDP-Chefs auf. Damit sind auch seine Tage als Premier gezählt. Warum die japanische Wirtschaft jubiliert - und wer ihm nachfolgen könnte.

Von Thomas Hahn, Tokio

Dass in der japanischen Regierungspartei LDP etwas Bedeutendes passieren würde, hatte sich in dieser Woche schon angekündigt. LDP-Präsident und Premierminister Yoshihide Suga hatte für Anfang nächster Woche einen Umbau der Parteiführung angekündigt. Der mächtige, greise Generalsekretär Toshihiro Nikai, 82, habe schon zugestimmt, seinen Posten zu verlassen, berichteten japanische Medien. Dass Suga bei diesem Umbau dann allerdings mit sich selbst anfangen würde, war nicht abzusehen - im Gegenteil: Der vorgesehene Personalwechsel wirkte wie ein verzweifelter Versuch Sugas, vor der parteiinternen Präsidentenwahl am 29. September seine murrende Partei hinter sich zu bringen.

Und nun also das: Am Freitag teilte Suga dem LDP-Vorstand mit, er werde nicht wieder kandidieren. "Ich wollte eigentlich antreten", sagte er anschließend zu Reportern, "aber Covid-19-Bekämpfung und die Wahl gleichzeitig würden zu viel Energie kosten." Deshalb habe er entschieden, sich auf die Anti-Corona-Maßnahmen zu konzentrieren, so der Noch-Regierungschef.

Yoshihide Suga macht damit letztlich auch Platz für einen neuen Premierminister. Denn in Japans Politik wird der Präsident der Regierungspartei auch der Chef der Regierung, über die noch in diesem Herbst bei den nationalen Unterhauswahlen abgestimmt wird.

Mit dem Kabinett boxte er die Olympischen Spiele gegen jede Expertenmeinung durch

Der Rückzug passt auch zur allgemeinen Lage im Inselstaat. Das Management der Corona-Krise ist dieser Tage in Japan der wichtigste Maßstab für gutes Regierungshandeln. Und in dieser Hinsicht ist Suga nicht erfolgreich gewesen. Die Olympischen und Paralympischen Spiele hat sein Kabinett gegen diverse Expertenmeinungen und gegen alle Trends in Umfragen durchgeboxt, ohne Zuschauer, Flair und hinter hohen Zäunen. Er hat in diesem Jahr schon mehrere Male den Notstand ausgerufen und verlängert. Aber die nächste Krise bekam er nicht in den Griff: Die sogenannte fünfte Corona-Welle setzt das Gesundheitssystem immer noch unter Druck.

Sugas matte Ausstrahlung, seine abgelesenen Erklärungen, seine ausweichenden Antworten haben seinem Ansehen auch nicht genutzt. Bei diversen Regional- und Parlamentswahlen hatte die LDP zuletzt schlecht ausgesehen. Sogar die Bürgermeisterwahl in Yokohama hat die Partei verloren - dort liegt Sugas Wahlkreis.

Yoshihide Suga, 72, übernahm im September 2020 die Führung der LDP - und kam so letztlich auch an die Regierungsspitze. Davor war Shinzo Abe aus gesundheitlichen Gründen überraschend zurückgetreten. Suga war Abes Chefkabinettssekretär gewesen. Mit ihm kam die leibhaftige Fortsetzung des rechtskonservativen, sehr wirtschaftsfreundlichen Abe-Kurses an die Macht. Toshihiro Nikai fädelte seine Wahl ein. Suga galt als beliebter Neuankömmling - mit mehr als 60 Prozent Zustimmung in den Umfragen.

Das hat sich geändert. Eine Erhebung der Nachrichtenagentur Kyodo stellte im August fest, dass nur noch 31,8 Prozent der Befragten zufrieden mit dem Kabinett seien. Als Suga am Freitag seinen Rücktritt ankündigte, machte der Nikkei-Index an der Tokioter Börse gleich einen Satz nach oben. Es sah aus wie ein Freudensprung der japanischen Wirtschaft. Der Grund: "Hohe Erwartungen, dass eine neue Regierung neue wirtschaftliche Maßnahmen einführt gegen die Corona-Folgen", analysierte in Kyodo der private Wirtschaftsstratege Maki Sawada.

Toshihiro Nikai, die Nummer zwei der LDP, sagte, er sei "ehrlich gesagt überrascht". Und fügte hinzu: "Wir möchten die Überlegungen des Präsidenten akzeptieren und sie bei der künftigen Führung der Partei berücksichtigen." Seine eigene Ablösung könnte damit vom Tisch sein, was kein Beitrag zur Verjüngung der Partei wäre, sondern die alten internen Machtklüngel stärken würde. Der Sender NHK berichtete, Suga habe angedeutet, es werde keinen neuen Parteivorstand geben. Wenn Nikai im Amt bleibt, wäre er sicher wieder die Schlüsselfigur auf der Suche nach Sugas Nachfolger. Nikai sagte, Suga habe selbst keinen Nachfolger benannt. Die Präsidentenwahl finde am 29. September wie geplant statt.

Es wird schon spekuliert, der zweimalige Regierungschef Abe plane ein Comeback

Immerhin, es gibt schon Kandidaten für die Wahl des neuen LDP-Chefs. Der frühere Außenminister Fumio Kisihida, 64, bei der Wahl vor einem Jahr von Suga bezwungen, will wieder antreten. Zuletzt stellte er einen Plan vor, wie er Japans Wirtschaft aus der Corona-Krise leiten möchte. Kisihida versprach mehr Transparenz und "zweistellige Billionen-Yen-Summen".

Sanae Takaichi, 60, einst Ministerin für Allgemeine Angelegenheiten und dem Ex-Premier Abe nahestehend, war bisher auch fest entschlossen, sich um die Parteispitze zu bewerben. LDP-Chefstratege Hakubun Shimomura hatte seine Kandidatur eigentlich schon zurückgezogen, aber sagte nun: "Die Situation hat sich verändert." Er wolle sich mit Parteifreunden beraten. Am Freitag bekundete außerdem der gewandte Reform-Minister Taro Kono, 58, sein Interesse am LDP-Chefposten. Kono war vor seinem jetzigen Kabinettsposten Außenminister und Verteidigungsminister. Dass ihn die Macht interessiert, hat er schon bei früheren Gelegenheiten gesagt.

In den vergangenen Wochen waren auch immer wieder Spekulationen zu lesen, dass Shinzo Abe sich hinter den Kulissen auf ein Comeback vorbereite. Abe, 66, war schon zweimal Premier; einmal nur kurz von September 2006 bis September 2007, dann so lange wie noch keiner vor ihm, von 2012 bis 2020. Allerdings ist Abe jedes Mal aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Seine Beliebtheitswerte waren am Ende seiner letzten Amtszeit nach diversen Skandalen und mittelprächtiger Corona-Politik auch nicht besonders hoch.

Yukio Edano, der Chef der größten Oppositionspartei CDPJ, sagte zu Sugas überraschendem Rücktritt natürlich auch etwas. Die LDP sei nicht mehr in der Lage, die Regierung zu führen. Er strebe bei der Unterhauswahl den Machtwechsel an. Mit Suga als LDP-Chef wäre der wohl leichter zu erreichen gewesen.

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