Süddeutsche Zeitung

Japan:Schönheit mit Schatten

Die alte Kaiserstadt Kyoto erlebt einen Boom bei Touristen, doch dies hat auch seine Kehrseiten. Deshalb befürchtete Bürgermeister Kadokawa nun, die Wähler könnten ihm die überfüllten Straßen und Busse übel nehmen - zu Unrecht.

Von Thomas Hahn, Kyoto

Daisaku Kadokawa, 69, hat es sich denken können, dass er Kyotos Bürgermeisterwahl zum vierten Mal gewinnen würde. Ein buntes Bündnis aus Parteien unterstützte den unabhängigen Amtsinhaber, unter anderen die konservative LDP, die liberale CDPJ und die Sozialdemokraten. Zudem eine Bürgerinitiative, die in der Lokalzeitung eine Anzeige gegen den Kandidaten der kommunistischen JCP, Kazuhito Fukuyama, geschaltet hatte: "Kein JCP-Bürgermeister für unser geliebtes Kyoto."

Trotzdem jubelte Kadokawa wie ein Fußballtorschütze, als am späten Sonntagabend feststand, dass 45,1 Prozent der Wählerschaft ihn vor Fukuyama (34,6 Prozent) als Rathauschef bestätigt hatten. Man weiß ja nie. Außerdem prägte den Wahlkampf ein für ihn gefährliches Thema: die Schattenseite seiner erfolgreichen Fremdenverkehrspolitik.

Kyoto ist Japans Touristenhauptstadt. Kaum ein Nippon-Reisender wird die frühere Kaiserstadt auslassen. Denn anders als die Wolkenkratzerwelt des Regierungssitzes Tokio gilt Kyoto mit seinen niedrigen Häusern und großzügigen Tempelanlagen als eine Metropole, in welcher der Charme des Ursprünglichen neben der Betonstarre des Fortschritts eine Chance bekommt. Mit Regeln und Verboten hat Bürgermeister Kadokawa Teile Kyotos freigehalten von kalter Zweckarchitektur sowie blinkenden Leuchtreklamen und den historischen Baubestand bewahrt.

Dass Kadokawa Kyoto in eine seelenlose Bettenburg verwandelt hätte, kann ihm also keiner vorwerfen. Aber wahrscheinlich erfreut sich die Stadt genau deshalb einer erstickenden Beliebtheit. Als Kadokawa nach einer Karriere als Erziehungsmanager im Rathaus 2008 erstmals zum Bürgermeister seiner Geburtsstadt gewählt wurde, kamen laut Japan Times etwa 940 000 ausländische Gäste. 2018: 4,5 Millionen.

Übertourismus ist deshalb ein wichtiges Schlagwort im Wahlkampf gewesen. "Anwohner von Kyoto kommen nicht mehr in überfüllte Busse, und es gab Probleme mit Privatwohnraum, weil die Zahl der Hotels so schnell steigt", hat Herausforderer Fukuyama im Wahlkampf gesagt. Es gibt Beschwerden über ungehobelte Gäste, die Lärm und schlechte Manieren in die Stadt trügen. Kleinere Geschäfte außerhalb der Touristenorte beklagen, dass sie die Ausläufer des Booms nicht erreichten.

Daisaku Kadokawa hat die vollen Straßen schlecht leugnen können. Aber der Tourismus bringt der Stadt eben Einnahmen und Arbeitsplätze. Und er passt zum Trend. Die Zentralregierung in Tokio hat den Fremdenverkehr als einträgliches Geschäft entdeckt und fördert ihn nach Kräften. Kadokawa ist ein beredter Freund des Bewährten. Öffentlich tritt er meistens im Kimono auf. Und im vergangenen Jahr hat er sich bei dem amerikanischen Reality-TV-Star Kim Kardashian darüber beschwert, dass diese eine Unterwäsche-Marke "Kimono" nennen wollte.

Andererseits mag Kadokawa den Fortschritt. Er fördert Kyoto als gut vernetzten Innovationsstandort. Sein Politikstil hat die Stadt zu einer spannenden Kreuzung aus Alt und Neu gemacht. Das zieht Gäste an. Soll er das ändern? "Ich höre die Kritik mit Demut", hat er nach seinem Sieg gesagt und Besserung gelobt. Im Wahlkampf hat er versprochen, die behutsame Stadtentwicklung fortzuführen und Touristen mit Schildern und Personal zu mehr Rücksicht anzuhalten. An Kyotos Schönheit wird er nicht rütteln.

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SZ vom 04.02.2020
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