Japan:Scharlatane, Wichtigtuer

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Eine Plakatwand im Bezirk Ikebukuro in Tokio. (Foto: Thomas Hahn)

Tokio sucht einen Gouverneur, und 56 Bewerber haben sich registrieren lassen. Der Demokratie erweisen sie damit keinen Dienst, der Wahlkampf wirkt verstörend.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die Gouverneurswahl in Tokio am Sonntag ist kein Lokaltermin wie jeder andere. Wenn Japans Hauptstadt, die offiziell eine Präfektur ist, über die Besetzung ihres höchsten Verwaltungspostens abstimmen lässt, geht das den ganzen Inselstaat was an, im Grunde sogar die ganze Welt. Immerhin ist Tokio das Zentrum des größten Metropolgebiets auf Erden mit 37 Millionen Menschen. Hier müsste es relevante Ideen zur modernen Stadtentwicklung geben. Allerdings war der Wahlkampf in dieser Hinsicht bisher nicht lehrreich. Stattdessen zeigt er, wie eine Demokratie sich selbst unterwandern kann, wenn sie nicht aufpasst.

56 Kandidatinnen und Kandidaten haben sich registrieren lassen, so viele wie noch nie, trotz der happigen Teilnahmegebühr von umgerechnet 17 300 Euro. Tokios Wahlkommission musste neue Plakatwände aufstellen mit Feldern für 48 Wahlplakate. Bewerber, die kein Feld bekommen haben, dürfen ihre Plakate in Klarsichthüllen an die Holzrahmen der Wände tackern.

Die Aussichtsreichsten ficht das nicht an: Amtsinhaberin Yuriko Koike, unterstützt von der rechten Regierungspartei LDP, gilt als Favoritin. Renho, die lange für die Mitte-Links-Partei CDP im Oberhaus saß, ist ihre stärkste Gegnerin. Aber in der Masse der Mitbewerber tummeln sich Scharlatane und libertäre Wichtigtuer. Das passt zur Politikverdrossenheit und zur fehlenden Debattenkultur im Land. Niemanden scheint es zu stören, dass ein namenloser „KI-Bürgermeister“ antritt oder ein Mann, dessen Partei das Shogunat wiedereinführen will.

Japan hat kein Verfassungsgericht wie Deutschland, das demokratiefeindliche Strömungen verbieten könnte. Und weil nur lax geregelt ist, was auf Wahlplakaten stehen darf, ist vorerst auch nichts zu machen gegen den Streich des Aktivisten Takashi Tachibana. Tachibana ist der Gründer der Anti-NHK-Partei, die das Gebührensystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abschaffen will. 19 Kandidaten hat seine Partei für die Gouverneurswahl aufgestellt, fünf weitere unterstützt sie. Aber nicht, weil sie an Debatten teilnehmen will, sondern weil sie so 24 Felder auf den Plakatwänden bekommt. „Kapert die Plakatwand“ heißt die Aktion. Gegen eine Spende vergibt die Anti-NHK-Partei die Felder sogar an Leute, die mit der Wahl gar nichts zu tun haben.

Ein Hund auf den Plakaten – er steht nicht zur Wahl

Das Ergebnis ist unübersehbar. Zum Beispiel im Bezirk Shibuya: Auf den Plakatwänden sind 24 der 48 Felder mit demselben Konterfei beklebt, wobei das Konterfei von Wand zu Wand wechselt. Eine Kickboxerin bekommt einen Wahlauftritt, eine Beauty-Salon-Vertreterin, Tachibanas Hund. Tachibana erklärt, er wolle so Menschen zum Wählen motivieren. Skrupel hat er nicht. „Wenn die Leute mich deswegen hassen, kann man nichts machen.“

Die Polizei verwarnte Tachibana, weil eine Plakatserie für ein Sex-Geschäft warb. Die Wahlkommission erreichten Beschwerden. Und in der Zeitung Asahi mahnt der Politikwissenschaftler Hiroshi Shiratori „dringende Maßnahmen“ gegen den Missbrauch des Wahlkampfs an. Selbst aus der LDP ist zu hören, dass man Gesetzeslücken schließen wolle. Das immerhin bewirkt Tachibanas Frechheit: Japans Demokratie denkt über sich nach.

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