Sicherheitspolitik:Japan rüstet für den Ernstfall

Sicherheitspolitik: US-Fallschirmjäger üben eine Luftlandeoperation vor der Kulisse des höchsten und berühmtesten japanischen Berges, des Vulkans Fuji.

US-Fallschirmjäger üben eine Luftlandeoperation vor der Kulisse des höchsten und berühmtesten japanischen Berges, des Vulkans Fuji.

(Foto: Yasuo Osakabe/U.S. Air/dpa)

Weil die autokratischen Nachbarn Russland, China und Nordkorea immer bedrohlicher werden, will Premierminister Fumio Kishida die Verteidigung seines Landes stärken. Sogar eine Änderung der pazifistischen Verfassung scheint nun möglich zu sein.

Von Thomas Hahn, Tokio

Auch an Tag zwei des G-7-Gipfels auf Schloss Elmau versäumte es Japans Premierminister Fumio Kishida nicht, deutliche Zeichen zu setzen in diesen Zeiten des russischen Krieges. Das Tagesprogramm im fernen Deutschland hatte noch gar nicht richtig begonnen, da meldete der japanische Sender NHK in der Heimat schon Kishidas nächste Akte der Solidarität: Umgerechnet 190 Millionen Euro will er gegen die globale Lebensmittelkrise einsetzen, die Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine ausgelöst hat. Außerdem sollen die Ukraine und betroffene Nachbarn eine Finanzspritze von mehr als einer Milliarde Euro erhalten.

Tags zuvor hatte Kishida neue Sanktionen gegen Russland angekündigt. Zudem erklärte er, Japan werde umgerechnet etwa 62 Milliarden Euro zum neuen Infrastruktur-Programm beitragen, mit dem die G 7 eine Alternative zu Chinas Belt and Road Initiative - der "Neuen Seidenstraße" - schaffen will. Fumio Kishida hatte die anderen G-7-Staaten auch dazu aufgerufen, als Einheit zu verhindern, "dass andere Länder falsche Lehren aus der Situation in der Ukraine ziehen".

An diesem Mittwoch wird er ein weiteres deutliches Bekenntnis zum Westen nachlegen: Wenn Kishida nämlich auf Einladung der Nato in Madrid als erster japanischer Premierminister an einem Gipfel des nordatlantischen Sicherheitsbündnisses teilnimmt.

Die Nähe zur westlichen Welt ist ein wichtiger Pfeiler in der neuen Sicherheitspolitik des fernöstlichen Inselstaates. Kishida, seit vergangenem Oktober Premierminister, kappt dabei Verbindungen, in die andere japanische Machtmenschen lange große Hoffnungen gesetzt haben. Shinzo Abe, von 2012 bis 2020 ein prägender Regierungschef, suchte immer die Nähe zu Putin. Er glaubte so, die Südinseln des Kurilen-Archipels vor Hokkaido zurückbekommen zu können, welche die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg besetzt hatte.

Sicherheitspolitik: Japans Premierminister Fumio Kishida, hier beim G-7-Gipfel in Elmau, sucht die Nähe zum Westen.

Japans Premierminister Fumio Kishida, hier beim G-7-Gipfel in Elmau, sucht die Nähe zum Westen.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Aber Russlands Angriff auf die Ukraine hat alles verändert. Auch Japan hat daraus lernen müssen, dass autoritäre Regime sich nicht unbedingt an Grenzen und internationale Regeln halten. Diese Erkenntnis ist für Japan besonders bedrohlich, denn sein schlankes Staatsgebiet im Pazifik ist umzingelt von solchen Regimen: Nordkorea, Russland, China. Alle sind mit Atomraketen bewaffnet, alle spielen ihr eigenes Spiel, und China will eindeutig seine Machtsphäre im Indopazifik erweitern.

Japans Verhältnis zum riesigen Nachbarn ist historisch belastet. Die strategisch wertvollen Senkaku- oder Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer, die Japan verwaltet, aber China beansprucht, sind ein harter Konfliktpunkt. Japan fühlt sich bedroht von chinesischen Schiffen, die ständig in der Region aufkreuzen. Nicht minder fürchtet es die Aussicht, dass China das demokratisch regierte Taiwan, das nicht weit entfernt von den Inseln der japanischen Präfektur Okinawa liegt, in seine Machtsphäre holen könnte.

Die Ambitionen eines Nachbarn beunruhigen die Japaner

Verteidigungsminister Nobuo Kishi, ein Bruder Shinzo Abes, hat erst kürzlich bei der jährlichen Sicherheitskonferenz Shangri-La-Dialog in Singapur einen ungewöhnlich scharfen Ton angeschlagen. Er beklagte "Versuche, die militärische Macht schnell und umfassend auszubauen, ohne dass dies transparent ist". Und er schimpfte: "Der Protagonist hat nie auf den potenziellen Einsatz von Gewalt gegen Taiwan verzichtet." Wen Kishi damit meinte, war klar: China.

Jedenfalls bereitet sich Japan nun konsequenter denn je auf den Ernstfall vor. Kishidas rechtskonservative Regierungspartei LDP hat dazu geraten, den Rüstungsetat nach der Nato-Empfehlung auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben. Außerdem bekennt sie sich neuerdings offiziell zu einer Sicherheitsstrategie, die auf die Fähigkeit zum Gegenschlag bei gegnerischen Angriffen baut. Sie wirbt damit dieser Tage um Stimmen bei der Wahl zum Oberhaus am 10. Juli. Zum Wahlkampfauftakt versprach LDP-Chefstrategin Sanae Takaichi eine lückenlose Verteidigung "auch durch den Einsatz ballistischer Raketen, um Angriffe abschrecken und entsprechend beantworten zu können".

Sicherheitspolitik: Auch in Japan protestieren Menschen gegen Russlands Angriffskrieg.

Auch in Japan protestieren Menschen gegen Russlands Angriffskrieg.

(Foto: Hiro Komae/AP)

Kritiker sagen, dieses Versprechen verstoße gegen Artikel 9 der japanischen Verfassung, die Japan als früheren Aggressor des Zweiten Weltkriegs auf Gewaltlosigkeit verpflichtet und keine Streitkräfte erwähnt. Aber genau deshalb ist die aktuelle Oberhauswahl für die LDP dieses Jahr so wichtig.

Im Grunde geht es dabei nur wie alle drei Jahre um die Hälfte der Sitze im weniger einflussreichen Senat des japanischen Zwei-Kammer-Parlaments. Aber die Aussichten stehen nicht schlecht, dass nach der Wahl der Block aus LDP, deren Koalitionspartner Komeito sowie den beiden rechten Oppositionsparteien Nippon Ishin no Kai und DPP eine Zweidrittelmehrheit stellt. Im Unterhaus ist das seit der jüngsten Wahl im vergangenen Oktober schon der Fall. Wer die Verfassung ändern will, braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Häusern. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine hat der pazifistische, dem Buddhismus nahestehende LDP-Partner Komeito seine strikte Friedensagenda korrigiert.

Ein konservativer Block strebt eine Zweidrittelmehrheit an

"Wir würden gerne die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass es notwendig ist, Japans Verteidigung sowie die Abschreckung und Antwortfähigkeit der japanisch-amerikanischen Allianz zu stärken", sagte Komeito-Chef Natsuo Yamaguchi zuletzt bei der Vorstellung des neuen Wahlprogramms. Vor der Unterhauswahl im vergangenen Oktober war davon noch keine Rede.

Es ist ein langgehegter Wunsch der LDP, den Artikel 9 der Verfassung umzuschreiben. Sie will die Selbstverteidigungskräfte ausdrücklich erwähnen und eine Klausel für den Notfall einfügen. Bisher ist der Wunsch immer gescheitert. Die Zweidrittelmehrheit fehlte. Komeito machte nicht mit. Und Kritiker fanden, dass Japan die eigene Kriegsschuld nicht gut genug aufgearbeitet habe für so einen historischen Schritt. Aber jetzt haben Premierminister Fumio Kishida und die LDP eine historische Chance. Russlands Angriff in der Ukraine hat ihnen ein überzeugendes Argument geliefert, das Japans Bewaffnung rechtfertigt.

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