Japan und USA:Pazifische Partnerschaft

Barack Obama and Shinzo Abe visit Lincoln Memorial in Washington

Der Geschichte verpflichtet: US-Präsident Obama (links) und Japans Premier Abe besuchen am Montag das Lincoln Memorial in Washington.

(Foto: Kevin Lamarque/Reuters)
  • Die USA und Japan wollen militärisch enger zusammenarbeiten. Eine neue Vereinbarung sieht vor, dass die japanischen Streitkräfte zu Hilfe eilen können, wenn etwa amerikanische Schiffe angegriffen würden.
  • Die neue Vereinbarung ist Teil einer sicherheitspolitischen Neuausrichtung, die Premierminister Shinzo Abe seit Jahren anstrebt.
  • Japan ist eigentlich bekannt für seinen in der japanischen Gesellschaft und in der Nachkriegsgeschichte tief verwurzelten Pazifismus.
  • Abe jedoch will jedoch das sicherheitspolitische Gewicht Japans im Pazifik erhöhen und treibt deshalb eine Öffnung des Landes für Militäreinsätze an.
  • Der Premierminister arbeitet auf einen Neuauslegung des neunten Verfassungsartikels hin, hat dafür derzeit aber keine Mehrheit im Parlament.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die USA und Japan haben sich auf neue Regeln für ihre militärische Zusammenarbeit geeinigt und nähern sich außerdem dem Abschluss ihrer Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. US-Präsident Barack Obama bescherte damit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe ein wichtiges politisches Geschenk zum Auftakt eines mehrtägigen Staatsbesuchs, der am Mittwoch seinen Höhepunkt mit einer Rede des Premiers vor dem Kongress erreichen soll. Japan erhielt mit der Visite die langersehnte Aufwertung als strategische Schlüsselnation für die USA und den Beleg, dass die Obama-Regierung tatsächlich ihr sicherheitspolitisches Gewicht im Pazifik erhöht.

Die Vereinbarung sieht vor, dass die japanischen Streitkräfte zu Hilfe eilen können, wenn etwa amerikanische Schiffe angegriffen würden. Japan dürfte nun auch eine Langstreckenrakete abfangen, die etwa von Nordkorea aus in Richtung USA abgeschossen würde. Bisher waren die japanisch-amerikanischen Sicherheitsabkommen rein defensiv ausgerichtet und sollten allein der Verteidigung Japans dienen.

Das Abkommen ist nach Aussage von US-Präsident Barack Obama nicht gegen China gerichtet. "Wir glauben nicht, dass ein starkes US-japanisches Bündnis als Provokation gesehen werden sollte", sagte Obama nach einem rund zweistündigen Treffen mit Abe im Weißen Haus. Ein "friedlicher Aufstieg" Chinas sei zu begrüßen, sagte Obama, es gebe aber konkrete Probleme wie den Inselstreit im Ostchinesischen Meer. Die USA stünden weiterhin hinter dem japanischen Anspruch auf die Senkaku-Inseln.

Die neue Vereinbarung ist Teil einer sicherheitspolitischen Neuausrichtung, die Abe seit Jahren anstrebt. Dabei geht es im Kern um eine Neuinterpretation der Verfassung, mit dem Ziel, dass die japanischen Streitkräfte Verbündeten, vor allem den USA, in der unmittelbaren japanischen Nachbarschaft zu Hilfe eilen können.

Die Amerikaner sind auf 312 Quadratkilometer japanischem Land stationiert

Mit dem neuen Abkommen setzt Abe im Prinzip die Politik seines Großvaters Nobusuke Kishi fort, der 1960 als Premierminister gegen den Willen der meisten Japaner den bestehenden Verteidigungspakt mit Washington erneuerte. Hunderttausende Japaner demonstrierten damals gegen die Allianz. Kishi musste Präsident Dwight Eisenhower wieder ausladen, der zur Besiegelung des Abkommens Tokio besuchen wollte. Er könne seine Sicherheit nicht garantieren. Kishi selbst musste nach der Ratifikation abtreten.

Den ersten Militärpakt unterzeichneten Japan und die USA 1951 parallel zum Friedensvertrag von San Francisco. Damals war Japan noch besetzt. In dem Vertrag garantierte Tokio den USA das exklusive Recht, Truppen in Japan zu stationieren. Zu deren Aufgaben gehörte die Verteidigung Japans, aber auch die "Sicherung des internationalen Friedens" und die "Niederschlagung interner Aufstände". Seit 1960 kommt Tokio für den wesentlichen Teil der Stationierungskosten von 47 000 US-Soldaten - jährlich etwa vier Milliarden US-Dollar - selbst auf. Die Amerikaner sind auf 312 Quadratkilometer Land stationiert, drei Viertel davon auf der strategisch bedeutsam gelegenen südlichen Insel Okinawa. Dort gibt es auch den stärksten Widerstand gegen die US-Präsenz.

Premier Shinzo Abe betreibt die Neuauslegung der Verfassung in Fragen der Sicherheitspolitik seit 2007. Seit 2013 liegen zwei Schlüsseldokumente vor - eine nationale Sicherheitsstrategie und Verteidigungsrichtlinien. Darin hat Abe den Begriff des "proaktiven Pazifismus" etabliert, der die Brücke schlagen soll zwischen dem in der japanischen Gesellschaft und in der Nachkriegsgeschichte tief verwurzelten Pazifismus und der seit Jahren praktizierten Öffnung des Landes für Militäreinsätze.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Japan lehnt die Neuauslegung ab

Vor allem geht es Abe um eine neue Interpretation des neunten Verfassungsartikels, in dessen ursprünglicher Fassung Japan auf das Recht zur Kriegsführung verzichten musste. In den 1950er-Jahren wurde der Artikel neu ausgelegt, und Japan gestand sich das Recht auf Selbstverteidigung zu. Die von Abe angestrengte Neuauslegung mündete im Juli 2014 in einen Kabinettsbeschluss. Danach kann Tokio in einem Bündnis militärisch aktiv werden, wenn ein Staat angegriffen wird, der in enger Beziehung zu Japan steht und wenn Japans Existenz oder Leben und Freiheit seiner Bürger gefährdet sind. Eine Teilnahme an Militäreinsätzen wie etwa dem Irak-krieg ist ausgeschlossen. Denkbar ist aber, dass Japan hilft, wenn etwa US-Schiffe im Pazifik angegriffen oder von Nordkorea aus Raketen abgefeuert würden.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Japan lehnt die Neuauslegung ab. Auch würde Premier Abe mit einer offiziellen Verfassungsänderung an den Mehrheiten im Parlament scheitern. Deswegen strebt er eine Abstimmung frühestens nach der Oberhauswahl 2016 an. Die Vereinbarung mit den USA ist nun eine Art Begleitdokument für diese Sicherheitspolitik. Die USA hatten von Japan einen stärkeren Beitrag für die regionale Verteidigung gefordert. Heute hat Japan das sechstgrößte Verteidigungsbudget der Welt, seine Armee ist eine der bestausgerüsteten. Abe will mit Hilfe des neuen Beistandspaktes Japans Rolle im Westpazifik stärken. Dafür erfüllt er etwa Washingtons Wünsche und setzte den Neubau eines US-Stützpunkts auf Okinawa gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durch.

Überlagert wird der Besuch in Washington von Forderungen aus den USA, Abe möge sich klar für die Vergangenheit seines Landes entschuldigen und seine zweideutige Geschichtspolitik hinter sich lassen. Veteranenverbände verlangten von dem Premier eine eindeutige Haltung, wenn er vor den beiden Häusern des Kongresses spricht. Die Rede gilt als Test für die Erinnerungsfeierlichkeiten zum Ende des Zweitens Weltkriegs in diesem Sommer.

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