Die Art, wie jemand seine Faust reckt, sagt auch etwas über den Charakter. Japans neuer Oppositionsführer Yoshihiko Noda ist demnach kein Mann, dessen Temperament so leicht überschießt. Nach seiner Wahl am Montag zum Chef der Konstitutionell-Demokratischen Partei (CDP) reckten alle Parteifreunde ihre Faust, die auf dem Abschlussfoto des außerordentlichen Parteitags in Tokio waren. Alle machten dazu ein Gesicht, das Begeisterung und Energie ausstrahlte. Yoshihiko Noda, 67, hingegen stand mit fast unbewegter Miene in der Mitte und hob die Faust nicht mit der Anspannung eines Kämpfers, sondern eher staatsmännisch, bedächtig. Wie ein weiser Häuptling, der sich nicht zu früh freut.
Deshalb hat ihn seine Partei wohl auch für den bevorstehenden Wahlkampf gegen die rechtskonservative Regierungspartei LDP gewählt: Weil Yoshihiko Noda kein junger Wilder ist, der Japans Politik-Establishment mit kühnen Ideen verstört. Weil er sogar Erfahrung als Regierungschef mitbringt. Und weil er konservativ genug ist, um Chancen bei enttäuschten LDP-Wählern zu haben. Nach einem großen Schmiergeldskandal ist die LDP in der Krise. Am Freitag stimmt sie unter neun Kandidatinnen und Kandidaten über die Nachfolge des scheidenden Premierministers Fumio Kishida ab. Danach dürfte es Unterhauswahlen geben. Yoshihiko Noda ist für die CDP-Mitglieder der Mann, der der Regierungspartei dabei wehtun könnte.
Opposition auf dem Drahtseil
Die CDP ist die zweitstärkste Kraft in Japans Zweikammerparlament. Sie ist so etwas wie eine gemäßigt konservative Alternative mit leichter sozialdemokratischer Färbung. Ihr fehlt die klare nationalistische Orientierung, die man der LDP zusprechen kann. Viele Mitglieder sind etwa gegen Atomkraft und für die gleichgeschlechtliche Ehe.
Gleichzeitig wirkt ihre Oppositionsarbeit oft wie weichgespült von der Einsicht, dass man gegen den rechten Mainstream im Inselstaat nichts machen könne. Nodas Wahl an die Parteispitze passt dazu. Er gab sich vor der Abstimmung Mühe, konservativen Menschen zu gefallen. Ein klares Nein zur Atomkraft wagte er zum Beispiel nicht, lieber schlug er Reformen gegen den Missbrauch von Parteispenden vor. In der Stichwahl setzte er sich gegen den liberaleren Parteigründer Yukio Edano durch.
Sehnsucht nach alten Zeiten
Gewonnen hat Noda wohl auch, weil er für eine Zeit steht, in der die LDP ausnahmsweise mal nicht die Regierung stellte. Zweimal erst war das seit der LDP-Gründung 1955 der Fall. Zunächst für ein paar Monate zwischen 1993 und 1994, als eine brüchige Koalition aus acht Parteien die Mehrheit im Unterhaus hatte. Dann zwischen 2009 und 2012, als die LDP nach verschiedenen Skandalen gegen die Demokratische Partei Japans (DPJ) verlor. Drei Premierminister stellte die DPJ in diesen drei Jahren, der dritte war Noda.
Er war ein Regierungschef, der Veränderung zuließ. Mit Blick auf Japans Kriegsvergangenheit hielt er zwar die nationalistische Linie früherer LDP-Regierungen. Versprach aber den Atomausstieg, nachdem das Große Ost-Japan-Erdbeben mit Tsunami im März 2011 zur dreifachen Kernschmelze im Nuklearkraftwerk Fukushima Daiichi geführt hatte. Und gegen Widerstände von Parteifreunden erhöhte er die Mehrwertsteuer von fünf auf zehn Prozent. Abgelöst wurde er nach der Unterhauswahl im Dezember 2012. Der Rechtspopulist Shinzo Abe führte die LDP damals zum Sieg.
Die DPJ gibt es nicht mehr. Teile davon finden sich heute in der CDP wieder. Yoshihiko Noda soll nun den Geist ihrer besten Zeit wiederbeleben. Ob das gelingt? Fraglich. Denn die CDP ist in den vergangenen Jahren nicht nur erfolgreich gewesen. Die rechte Oppositionspartei Nippon Ishin no Kai hat aufgeholt. Bei der Gouverneurswahl in Tokio gab es zuletzt eine böse Schlappe für die CDP-Frau Renho Saito. Immerhin: Die LDP-Abgeordneten werden an den erfahrenen Noda denken, wenn sie am Freitag über ihre Präsidentschaft abstimmen. Für die Jüngsten in der Kandidaten-Riege ist das keine gute Nachricht.