Süddeutsche Zeitung

Japan:Regierung wegen Olympia abgestraft

Nur 42 Prozent der Bürger gehen in Tokio zur Wahl. Die rechtskonservative LDP gewinnt zwar die meisten Sitze, aber verfehlt die absolute Mehrheit und fühlt sich wie ein Verlierer gegen die Partei der bauernschlauen Gouverneurin Yuriko Koike.

Von Thomas Hahn, Tokio

Spät am Abend hatte Japans rechtskonservative Regierungspartei LDP genug Klarheit, um eine Niederlage zuzugestehen. Die Hochrechnungen zeigten da schon, was später Gewissheit wurde: Bei den Wahlen zum Präfekturparlament in Tokio gewann sie zwar die meisten der 127 Sitze und löste die lokale Tokiobürger-First-Partei von Gouverneurin Yuriko Koike als stärkste Kraft ab. Aber Tomin First verlor letztlich nur knapp, mit 31 zu 33 Sitzen. Die absolute Mehrheit erreichte die LDP deshalb nicht einmal gemeinsam mit der kleinen, buddhismusnahen Komei-Partei, mit der sie auf nationaler Ebene die Regierungskoalition bildet.

Damit verfehlte die LDP ihr Ziel bei dieser Wahl in Japans wichtigster Metropole, die als Test für die nationale Unterhauswahl im Herbst gilt. Premierminister Yoshihide Suga wurde abgestraft für seine zaghafte Coronavirus-Politik und seinen unbedingten Willen, trotz Pandemie ab 23. Juli in Tokio die Olympischen Spiele durchzuziehen. Chefwahlstratege Taimei Yamaguchi gab sich einsichtig. "Wir müssen mit Blick auf die Unterhauswahl prüfen, warum wir verloren haben", sagte er, "wir nehmen das Ergebnis ernst und als Treibstoff für das nächste Mal."

Es war ein Punktsieg für Tokios Governeurin Yuriko Koike, 68, die mit mehr Geschick als Argumenten an ihrer politischen Karriere arbeitet. Sie gründete Tomin First nach ihrer Wahl zur Gouverneurin 2016 und feierte 2017 einen Triumph. Dass die Partei diesen nicht wiederholen würde, war klar. Der Zauber des Anfangs ist verflogen. Mit ihrem Koike-Zuschnitt verprellte Tomin First in den vergangenen vier Jahren manches liberale Mitglied. Und Koike, mittlerweile Sonderberaterin, schielt aus strategischen Gründen durchaus auch wieder zu ihren früheren Parteikollegen von der LDP.

Die wenigen Wähler gaben den Populisten ihre Stimmen

Aber vor der Präfekturwahl stärkte sie mit wenigen Handgriffen ihre Position - und auch die der Tomin First. Zu Beginn des Wahlkampfs meldete sie sich wegen Erschöpfung ab. Um am Freitag vor der Wahl plötzlich wieder eine Pressekonferenz als souveräne, selbstlose Tokio-Chefin zu geben. Zu Tomin First sagte sie dabei nur: "Offensichtlich wünsche ich Ihnen alles Beste, nachdem sie eine bedeutende Rolle gespielt haben bei der großen Tokio-Reform." Das reichte, um der LDP die absolute Mehrheit zu vermasseln. Yuriko Koike ist so etwas wie ein Politik-Star in Japan, schon qua Prominenz beliebt. Wer sie auf seiner Seite hat, hat gute Karten.

"Es ist, als hätte sie uns im Alleingang geschlagen", zitierte die Nachrichtenagentur Kyodo ein früheres Kabinettsmitglied der LDP. Schwang da auch Bewunderung mit? Neben dem matten Suga wirkte Koike jedenfalls wie die schlaue Siegerin.

Die linke JCP (19 Sitze) und die Mitte-Partei CDP (15 Sitze) erzielten Achtungserfolge. Sie hatten im Wahlkampf darauf geachtet, sich als Opposition gegenseitig keine Sitze wegzunehmen. Festzuhalten blieb, dass die Mehrheit ihre Stimmen im populistischen Lager verteilte, denn dazu gehört Koike auch. Allerdings die Mehrheit einer Minderheit. Denn die Wahlbeteiligung war schwach. Sie lag letztlich bei 42,39 Prozent, um fast neun Prozent schlechter als vor vier Jahren. Die Kluft zwischen Macht und Menschen scheint tiefer zu werden in Japan.

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