Japan:Suga will bleiben

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Tokio zwischen den Spielen: Die Vorbereitungen für die Paralympics laufen. (Foto: Yuichi Yamazaki/Getty Images)

Der Premier hofft auf seine Wiederwahl als Vorsitzender der Regierungspartei LDP. Doch seit Olympia schwindet der Rückhalt für ihn.

Von Thomas Hahn, Tokio

Es herrscht eine seltsame Stimmung zwischen Abschied und Aufbruch an Tokios Waterfront. Hier, im Neubaugebiet des Hafens, fanden viele Wettkämpfe der Olympischen Spiele statt, die seit Sonntag beendet sind. Und hier werden von 24. August an auch viele Wettkämpfe der Paralympics, der Weltspiele des Behindertensports, stattfinden. Es wird also abgebaut und umdekoriert. Im sogenannten Ariake Urban Sports Park sind die Rampen der BMX-Wettbewerbe schon fast zerlegt. Und an der Stahlrohrtribüne von Aomi, an der vor Kurzem noch das Piktogramm des olympischen Turniers im Sportklettern prangte, hängt jetzt jenes für das Fußballturnier der Sehbehinderten.

Alles im Fluss also im nacholympischen Tokio? Das ist zumindest der Eindruck, auf den Japans Premierminister Yoshihide Suga setzt in seinem Bemühen, trotz der jüngsten Coronavirus-Rekorde die Sympathien der Menschen im Inselstaat zu gewinnen. Es sind wichtige Wochen für ihn. Ende September läuft seine Amtszeit als Präsident der rechtskonservativen LDP aus. Dann muss die Partei entscheiden, ob Suga den Posten behält und der LDP-Spitzenkandidat für die richtungsweisende Unterhauswahl wird, die spätestens am 22. Oktober stattfindet.

Suga, 72, will bleiben. "Es sollte normal sein für den Parteiführer, zu kandidieren, wenn es so weit ist", hat er Ende Juli gesagt. LDP-Generalsekretär Toshihiro Nikai, 82, der mächtigste Strippenzieher der LDP, sieht das genauso. "Ich glaube, jeder ist sich darüber im Klaren, dass der Amtsinhaber eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit hat, wiedergewählt zu werden", erklärte er kürzlich und deutete damit an, dass sich niemand in der Partei die Mühe einer Gegenkandidatur machen muss.

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Aber die Lage ist kompliziert. Einerseits gibt es tatsächlich so etwas wie ein Olympia-Hoch. Die vielen Medaillen für Japans Mannschaft haben das heimische Fernsehpublikum gerührt. Und zur Stunde gibt es keinen Beweis, dass die zuschauerlosen, streng bewachten Spiele das befürchtete Superspreader-Ereignis waren.

Durch den massiven Infektionsschutz sind die Spiele viel teurer geworden

Andererseits gab es bei Olympia eben doch jeden Tag ein paar Coronavirus-Fälle, gerade unter einheimischen Spiele-Beschäftigten, die zwischen Sportstätten und Außenwelt hin- und herpendelten. Durch den massiven Infektionsschutz sind die Spiele außerdem viel teurer geworden als geplant; laut Organisationskomitee Tocog dürfte allein die Null-Zuschauer-Politik am Ende rund 90 Milliarden Yen, umgerechnet 694 Millionen Euro, an Ticket-Einnahmen kosten. Und: Die unverbindliche Coronavirus-Politik der Regierung hat in Zeiten der hochansteckenden Delta-Mutante die sogenannte fünfte Welle nicht verhindern können. Am Mittwoch wurden in Tokio wieder 4200 Neuinfektionen gemeldet; Rekord für einen Mittwoch.

Das Ergebnis einer Umfrage der Zeitung Asahi vom Wochenende zeigt das widersprüchliche Bild. Darin fanden 56 Prozent der Befragten, dass es richtig war, trotz medizinischer Bedenken Olympia im zweiten Sommer der Pandemie durchzuziehen. Das ist ein markanter Stimmungswechsel, wenn man bedenkt, dass Umfragen vor dem Ereignis teilweise 80 Prozent Ablehnung ergaben. Gut für Suga, der die Spiele entschlossen durchpeitschte. Aber in derselben Umfrage hatte das Regierungskabinett nur noch 28 Prozent Zustimmung, Tendenz sinkend. Schlecht für Suga.

Suga kam im vergangenen September an die LDP- und Regierungsspitze, weil der bisherige Premier Shinzo Abe aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste. Seither hat Suga Zeichen für besseren Klimaschutz gesetzt, indem er Japan darauf festlegte, bis 2050 den Treibhausgas-Ausstoß auf null zu bringen. Aber seine Pandemie-Politik wirkte zögerlich, verwirrend und getrieben von einer kurzsichtigen Rücksicht auf die Wirtschaft. Das Impfprogramm startete spät. Dafür herrscht in Tokio schon seit Anfang des Jahres mit nur kurzen Unterbrechungen ein Coronavirus-Notstand ohne harte Verbote. Geschäfte und Gaststätten sollen um 20 Uhr schließen, keinen Alkohol ausschenken und die Leute so oft wie möglich zu Hause bleiben.

Als die Krise frisch war, folgten die meisten Leute den Regeln. Jetzt tun das nicht mehr so viele. Die Regierung hat mit Olympia gegen ihre eigene Regel verstoßen, große Feste zu meiden. Also nehmen gerade junge Leute die Einschränkungen auch nicht mehr so ernst. Das dürfte ein Grund für die besagte fünfte Welle sein, die während der Spiele kam.

Es gibt genügend Kandidaten, die ihm nachfolgen wollen

Unumstritten ist Suga jedenfalls nicht, auch nicht in der LDP. Sanae Takaichi, 60, unter Sugas Vorgänger Shinzo Abe Ministerin für Allgemeine Angelegenheiten, hat im Monatsmagazin Bungei Shunju schon ihre Absicht erklärt, Premierministerin zu werden "und einen Plan einzuführen, der die Widerstandskraft der japanischen Wirtschaft fördert". Es gibt in der Partei Rufe nach einem jüngeren Kandidaten. Und es kursieren die Namen aussichtsreicher Parteigrößen: Reformminister Taro Kono, Außenminister Toshimitsu Motegi oder die stellvertretende LDP-Generalsekretärin Seiko Noda könnten ihre Chance suchen.

Und Yoshihide Suga? Setzt weiter auf die üblichen Ansagen und auf die heilenden Kräfte der Zeit. Strenge Lockdowns lehnt er ab. Weil die Gefahr wuchs, dass in der neuen Gesundheitskrise die Krankenhausbetten knapp werden, wies Suga die Kliniken an, nur noch Menschen mit schweren Symptomen aufzunehmen - und erweckte damit den Eindruck, er nehme Patienten mit mittelschweren Symptomen nicht ernst.

Mittlerweile kann Suga immerhin darauf verweisen, dass Japans Impfprogramm zügig voranschreitet. Nach Regierungsangaben vom Dienstag sind 81,6 Prozent aller über 65-Jährigen in Japan vollständig geimpft. Allerdings sind bezogen auf die Gesamtbevölkerung von 126 Millionen Menschen immer noch erst 32,9 Prozent immun, weniger als in allen anderen G-7-Staaten.

Und die große Frage ist, ob die Menschen den Premierminister noch hören. Diese Woche haben die Ferien zum Sommer-Festival Obon begonnen. Natürlich hat Yoshihide Suga wieder an den Notstand erinnert, zum Impfen und zum Daheimbleiben aufgerufen. "Jetzt ist eine extrem wichtige Phase", sagte er. Aber das hat er schon so oft gesagt. Das Einkaufszentrum in Aomi an der Tokioter Waterfront war am Mittwoch jedenfalls ganz gut besucht.

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