Süddeutsche Zeitung

Japan: Informationspolitik der Regierung:"Was zum Teufel ist da los?"

Im AKW Fukushima-1 explodiert ein Reaktorgebäude - die Regierung schweigt. Stundenlang. Ihre Informationspolitik wird angesichts der Atomkatastrophe zusehends zur Blamage. Ministerpräsident Naoto Kan gibt die Schuld anderen.

Michael König

Yukio Edano ist derzeit ständig im Fernsehen zu sehen, eine gute Figur macht er dabei nicht. Der Chefsekretär des japanischen Kabinetts soll seine Landsleute darüber informieren, wie ihre Regierung auf die Krise um das havarierte Atomkraftwerk, Fukushima Daiichi reagiert. Er hat sich den blauen Anzug eines Technikers angezogen, das soll Fachwissen vermitteln. Seine Aussagen tun allerdings eher das Gegenteil.

Meist sind der Sprecher und sein Chef, Ministerpräsident Naoto Kan, spät dran - bei der jüngsten Explosion waren es viele Stunden. Häufig widersprechen sie dem, was andere Behörden sagen. Manchmal korrigieren sie sich auch selbst. Yukio Edano hält dabei stets den Blick gesenkt. In seinem Gesicht sind viele Falten.

"Er ist der ärmste Hund in dieser Situation", sagt Peter Hausmann über den Japaner. "Er ist selbst abhängig von den Informationen, die er bekommt. Er wird gegrillt und kann nichts Erhellendes beitragen." Hausmann kann sich in diese Lage versetzen, denn er war selbst Regierungssprecher. Von 1994 bis 1998 gab der heute 60-Jährige der Bundesregierung von Helmut Kohl eine Stimme. Hätte es zu dieser Zeit in Deutschland einen atomaren Unfall gegeben - Hausmann hätte die Bevölkerung informieren müssen.

Auch sein Amtsnachfolger Uwe-Karsten Heye, von 1998 bis 2002 Sprecher der Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder, verfolgt die Lage in Japan aufmerksam. "Die Regierung tut alles, um aus der furchterregenden Lage kein noch größeres Drama zu machen. Aber was sie auch tut, ist mit Fehlern behaftet", sagt Heye. Bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist man weniger diplomatisch: "Wenn die Japaner ihr Verhalten der Regierung anpassen würden, wäre längst Panik ausgebrochen", sagt Stephan Krug, Leiter der politischen Vertretung in Berlin.

Viele Ausländer sind bereits nervös. Deutsche Medien beordern ihre Korrespondenten nach Osaka, etwa 600 Kilometer vom AKW Fukushima entfernt. In Tokio fühlen sie sich nicht mehr sicher, weil Nordwinde radioaktive Teilchen in den Großraum Tokio-Yokohama pusten könnten. Dort leben 35 Millionen Menschen.

Wann die Bedrohung Tokio erreicht, ist unklar. Von der Regierung sind vertrauenswürdige Angaben nicht zu erwarten. Das zeigte sich jüngst bei den dramatischen Ereignissen am Reaktor 2 des AKWs Fukushima-Daiichi: Um 22:10 Uhr deutscher Zeit soll sich dort am Montag eine Explosion ereignet haben. Etwa zwei Stunden später berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo von dem Knall, kurz darauf läuft die Eilmeldung auch über die deutschen Ticker.

Eine offizielle Bestätigung? Zunächst Fehlanzeige. Um 0:08 Uhr deutscher Zeit am Dienstagmorgen berichtet Regierungssprecher Yukio Edano lediglich von einer Beschädigung am Reaktor, Details nennt er nicht. Beinahe zeitgleich bestätigt die japanische Atombehörde eine Explosion am Reaktor - ebenfalls ohne Angabe von Gründen.

Zweieinhalb Stunden nach der Explosion meldet sich die Betreiberfirma Tepco zu Wort: In einer Pressekonferenz heißt es, man habe einen Druckabfall im Reaktorbehälter festgestellt. Dies deute darauf hin, dass die innere Druckkammer des Reaktors beschädigt worden sei.

Erst um 4:22 Uhr - seit der Explosion sind mittlerweile mehr als sechs Stunden vergangen - tritt Ministerpräsident Naoto Kan vor die Presse und warnt die Bevölkerung vor austretender Strahlung. Die Menschen im Umkreis von 30 Kilometern sollten in ihren Häusern bleiben. Die Radioaktivität habe ein "gesundheitsgefährdendes" Maß erreicht. Weitere fünf Stunden später sagt Regierungssprecher Yukio Edano, die Strahlenwerte seien wieder gesunken.

Wer soll da noch mitkommen? Auf wen ist Verlass? Die Regierung scheint immerhin zu wissen, dass sie ihre Bürger nur unzureichend informiert. Abhilfe schaffen kann sie offensichtlich nicht.

In all seiner Ohnmacht ließ sich Ministerpräsident Naoto Kan am Montag laut Medienberichten in die Zentrale der Betreibergesellschaft Tepco fahren und stellte die Manager zur Rede: "Was zum Teufel ist hier los?", soll er gebrüllt haben. "Das Fernsehen hat über eine Explosion berichtet. Aber zwei Stunden lang wurde dem Büro des Ministerpräsidenten nichts berichtet."

Der Premier schiebt Tepco den schwarzen Peter zu. Allzu schwer dürfte ihm das nicht fallen: Weil sie schon vor dem Erdbeben mehrfach durch gefälschte Berichte und laxe Kontrollen aufgefallen war, hat die Firma ohnehin einen schlechten Ruf. Auf der englischen Version ihrer Website ist seit Tagen ein lapidarer Warnhinweis vor Versorgungsengpässen zu lesen.

In Tokio wächst die Furcht vor dem Fallout, die Regierung ist hilflos. "Sie will das Allerbeste, aber kann nur in begrenztem Maße etwas tun. Das muss sie den Bürgern vermitteln", rät der ehemalige Sprecher der Bundesregierung, Uwe-Karsten Heye.

In der rechten Spalte der Tepco-Website prangt ein Werbebanner für eine Broschüre des Unternehmens. Der Titel: "Vision 2020." Ob die Firma so lange durchhält, ist angesichts der aktuellen Entwicklung ungewiss. Die Atomaufsicht meldet Löcher in der Kühlung von Reaktor 4, ein Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe koche möglicherweise.

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