Japan:Sorglos in die Klimakrise

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Japans Grüne möchten erst einmal das Bewusstsein der Bevölkerung für das Klimaproblem schärfen. (Foto: CHARLY TRIBALLEAU/AFP)

Umweltthemen spielen in Japan kaum eine Rolle, die Grünen können bei der Unterhauswahl am Sonntag nur indirekt antreten. Experten finden auch Japans neue Energiestrategie nicht überzeugend.

Von Thomas Hahn, Tokio

Der alten Garde in Japans Regierungspartei LDP kann man nicht unterstellen, sie würde an den Umweltthemen der Zeit vorbeischauen. Taro Aso zum Beispiel hat im Wahlkampf vor der Unterhauswahl am kommenden Sonntag über den Klimawandel gesprochen. Aso, 81, war mal Premierminister, bis vor Kurzem Finanzminister und ist als Partei-Vizepräsident weiterhin einflussreich in der LDP.

Es hat seinem Ansehen dort nicht geschadet, dass er seine ultrarechte Grundeinstellung nicht immer für sich behalten kann. Und bei einer Rede vergangenen Sonntag in Otaru auf der Nordinsel Hokkaido deutete er also die menschengemachte Erderwärmung auf seine Weise. Diese habe auch "etwas Gutes", sagte Aso. Der Reis aus Hokkaido sei "dank der Erwärmung schmackhafter geworden". Früher sei er unverkäuflich gewesen, jetzt könne man ihn sogar exportieren.

Dass eine bewährte Parteigröße derart sorglos über die Klimakrise sprechen kann, zeigt den Stand des Umweltbewusstseins in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Auch Japan hat sich zwar dazu verpflichtet, bis 2050 emissionsfrei zu sein. Im vergangenen Jahr legte der damalige Premierminister Yoshihide Suga das Ziel fest. Erst vergangene Woche hat das Kabinett die neue Energiestrategie verabschiedet. Und die erste Auslandsreise des neuen Premierministers Fumio Kishida seit seiner Amtseinführung Anfang Oktober geht nach Glasgow zur UN-Klimakonferenz COP26, die am Sonntag beginnt.

Für die Regierungspartei LDP ist Kernkraft unersetzlich

Aber Experten finden die neue Energiestrategie nicht überzeugend. Hanna Hakko vom klimapolitischen Thinktank E3G teilt mit: "Es ist enttäuschend zu sehen, dass Japan mit einem Plan zur COP26 geht, der noch stark von Kohle abhängig ist, während andere große Wirtschaftsnationen Verpflichtungen und Schritte diskutieren, um Kohle in der Vergangenheit zu lassen."

Vor wenigen Tagen hat der britische Sender BBC berichtet, Japan gehöre zu den Nationen, die den Trend gegen fossile Energieträger abschwächen wollten. Die Erkenntnis stammt aus rund 32 000 Eingaben an das Wissenschaftler-Team, das für die UN nach der besten Strategie gegen den Klimawandel fahndet.

Und im Wahlkampf ist das Thema Umwelt relativ klein. Das Oppositionsbündnis der Mitte-links-Parteien wirbt für erneuerbare Energien ohne Kernkraft - aber das bringt nicht unbedingt Stimmen. Im Gegenteil. Laut der Zeitung Asahi stimmen die Gewerkschaften der Stromunternehmen diesmal nicht für die Opposition. Denn für die LDP gilt Kernkraft als emissionsfreie Energiequelle und unersetzlich im Energiemix der Zukunft.

"Die Beobachtung ist total richtig, dass Umweltthemen unterbelichtet sind", sagt Akiko Kando. Sie ist sozusagen eine Symbolfigur dieses Phänomens. Denn die Politikerin Kando, 61, ist eine treibende Kraft der japanischen Grünen. Mit Interesse schaut sie nach Deutschland, wo die Grünen Zukunftsthemen setzen und gerade die neue Bundesregierung mitgestalten.

Japans Grüne wurden erst nach der Katastrophe von Fukushima gegründet

In Japan sind die Grünen dagegen noch so klein, dass man sie kaum sieht. 350 Mitglieder, nicht im Unterhaus vertreten, gegründet erst vor neun Jahren nach der Nuklear-Katastrophe von Fukushima 2011. Bei den bevorstehenden Wahlen treten die Grünen nur indirekt an, indem sie 52 Kandidaten aus dem Mitte-links-Bündnis unterstützen. Und Akiko Kando ist zwar Abgeordnete der Präfekturversammlung von Tokio -, aber offiziell als Unabhängige, nicht als Grüne.

Die Gebühr für Wahlkandidaturen sei in Japan "die teuerste der Welt" - das sieht Akiko Kando als einen wichtigen Grund für die Randexistenz ihrer Partei. Die Grünen halten die Gebühr für verfassungswidrig, sie unterstützen eine Klage dagegen, die noch läuft. Akiko Kando stellt fest: "Für neue Parteien ist es schwierig, zur Welt zu kommen."

Aber die schwere Geburt der Grünen hat wohl auch damit zu tun, dass Umweltpolitik in Japan traditionell ein nachrangiges Fach ist. Die LDP interessiert sich vor allem für die Wirtschaft. Im Regierungskabinett ist das zuständige Umweltministerium nicht sehr prestigeträchtig. Neuerdings führt es Tsuyoshi Yamaguchi, 67, ein Mann ohne besonderes umweltpolitisches Profil.

Und auch die Menschen im Land denken eher nicht an den Klimawandel. Die Fridays-for-Future-Bewegung ist in Japan kaum wahrzunehmen. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo zur Wahl fanden 36,7 Prozent der Befragten Wirtschaftspolitik am wichtigsten, 16,1 Prozent die Coronavirus-Politik.

"Die Lage ist nicht so einfach", sagt Akiko Kando. Sie hofft trotzdem auf gute Ergebnisse ihrer Favoriten bei der Wahl. Und ihr Ziel ist klar: "Zuerst mal möchten wir Grüne das Bewusstsein der Bevölkerung für das Klimaproblem schärfen." Vielleicht begreift dann irgendwann auch Taro Aso, was das Problem der Erderwärmung ist.

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