Seit diesem Dienstag hat Japans Staat ein neues Druckmittel für billigeres Essen. Das Gesetz über Notfallmaßnahmen zur Lebensmittelversorgung ist in Kraft getreten. Es erlaubt den Behörden, von Landwirten und Lebensmittelunternehmen Pläne für eine ertragreichere Produktion oder mehr Import zu verlangen, wenn die Versorgung mit bestimmten Grundnahrungsmitteln um 20 Prozent unter den Durchschnitt fällt und die Preise stark ansteigen. Zu diesen Grundnahrungsmitteln gehören Reis, Fleisch, Sojabohnen, Eier. Und in der Tat passt dieses Gesetz in die Zeit, denn die Lebensmittelpreise steigen seit Monaten.
Erst im Februar zeigten Daten der Regierung, dass das Nationalgetreide Reis im Vergleich zum Vorjahr um 80,9 Prozent teurer geworden sei. Das ist der steilste Anstieg seit Beginn der Reispreis-Aufzeichnungen vor 54 Jahren.
Ursachen sind der Klimawandel und Russlands Angriffskrieg
Im konservativen Inselstaat Japan wollen viele gerne glauben, dass das Geschehen im Rest der Welt mit ihrem Land nichts zu tun habe. Aber so ist es natürlich nicht. Warmes Wetter infolge des Klimawandels hat die Reisernte beeinträchtigt. Wegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine sind Rohstoffe teurer geworden, die vor dem Konflikt aus beiden Ländern kamen, zum Beispiel Getreide und Gas. Und weil der Yen schwach ist, sind die Preise für Importe zusätzlich gestiegen. Das spüren die Menschen in Japan. Deutlich.
Erst am Montag berichtete das Marktforschungsinstitut Teikoku Databank, dass allein in diesem April Preissteigerungen auf 4225 Artikel von verschiedenen Lebensmittel- und Getränkeherstellern zu erwarten seien. Grund laut Teikoku: erstens die gestiegenen Löhne, die ja eigentlich die hohen Preise ausgleichen sollen. Zweitens die höheren Vertriebskosten bei der Herstellung von Fertigprodukten, die auch mit knappen Rohstoffen zu tun haben.
Der Tokioter Tiefkühlkost-Hersteller TableMark entschuldigt zum Beispiel mit dem teuren Reis, dass er schon zum zweiten Mal in diesem Jahr die Preise für verschiedene Gerichte anzieht. Die Regierung habe den Preis zwar mit Reis aus ihren Reserven drücken wollen, sagte ein Firmensprecher der Nachrichtenagentur Jiji. Aber das habe nicht geholfen: „Wir können nicht optimistisch sein, was den künftigen Reistrend angeht.“
Wenig Geld zu haben, ist im Land ein Stigma
Man sieht Japan auf den ersten Blick nicht an, dass es ein Problem gibt. Tokios Hochhauslandschaft strahlt die kühle Eleganz der Wohlstandsnation aus. In Osaka findet demnächst die Weltausstellung Expo statt, die Japans Qualität als Gastgeber und Innovationsstandort zeigen soll. Und die Regierung gibt gerade viele Milliarden aus, um das Land in einen Vorreiter der modernen Halbleiter-Produktion zu verwandeln.
Aber es gibt eben auch die versteckte Armut in den Winkeln der Nation. Japanerinnen und Japaner mit schmalen Renten oder prekären Jobs lenken mit viel Disziplin von ihrer Not ab, weil es sich eben so gehört. Japans Gesellschaft erwartet, dass man sich erstmal selbst hilft. Der Sozialstaat ist schlank, wenig zu haben, ist ein Stigma. „Japaner haben so eine Tendenz, immer mit den anderen auf dem gleichen Niveau sein zu wollen“, hat Yumiko Watanabe, die Vorsitzende der japanischen Kinderhilfsorganisation Kidsdoor, im vergangenen Jahr der SZ gesagt, „man versucht, so auszusehen wie die anderen. Aber in ihren Wohnungen würde man sehen: Der Kühlschrank ist leer oder Strom muss streng gespart werden, so dass die Familie immer nur ein Zimmer nutzt.“
Wenn nun sogar teurer wird, was sonst immer verlässlich billig war, können sich manche möglicherweise nicht einmal mehr ihre Bescheidenheit leisten.
Das neue Gesetz zur Lebensmittelversorgung soll die Preise krisenfester machen. Allerdings klingt es nicht wie ein Mittel, dass schnell Abhilfe bringt. Manche halten die Senkung der Verbrauchssteuer, dem Pendant der deutschen Mehrwertsteuer, für eine gute Idee. Aber Premierminister Shigeru Ishiba ist dagegen. „Die Verbrauchssteuer ist eine wichtige Einnahmequelle zur Unterstützung der sozialen Sicherheit für alle Generationen“, erklärte er am Mittwoch in einer Pressekonferenz, außerdem sei die Steuer mit ihren zehn Prozent ohnehin relativ niedrig.
Ishibas Pressekonferenz am Mittwoch fand einen Tag nach einer wichtigen Abstimmung im Parlament statt. Nach nötigen Anpassungen hatte seine Minderheitsregierung die letzte Version des Staatshaushalts für dieses Steuerjahr durchgebracht. 115,20 Billionen Yen umfasst er, 712,1 Milliarden Euro. Ishiba war froh, aber auch noch peinlich berührt von einer Enthüllung, die nicht gut in die Zeit passte. Ishiba hatte zuletzt einräumen müssen, nach der Wahl im Oktober privat finanzierte Geschenkgutscheine über 100 000 Yen an Parlamentsneulinge seiner LDP vergeben zu haben.
100 000 Yen sind knapp 620 Euro. Ganz schön viel für einen Premier, der angeblich ein Bewusstsein für die Nöte einkommensschwacher Haushalte hat. „Ich muss zugeben, ich war nicht ich selbst“, sagte Ishiba und rief den Menschen Japans zu: „Herz und Seele werde ich dafür einsetzen, das Vertrauen jedes Einzelnen von Ihnen zu gewinnen.“ Shigeru Ishiba versprach auch, er werde dafür sorgen, dass höhere Löhne wirklich mehr Geld bringen, selbst wenn die Preise steigen. Wie? Das wurde nicht klar.