Süddeutsche Zeitung

G 7:Japan sucht den Schulterschluss

Premierminister Fumio Kishida reist nach Europa und Nordamerika, um Japans neue Sicherheitsstrategie abzusichern. Es geht bei der Tour aber auch um Innenpolitik.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die große Reise begann für Japans Premierminister Fumio Kishida am Montag in Paris mit einer besonderen Ehre. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte ihm die Kathedrale Notre-Dame, die nach dem großen Feuer vom April 2019 im nächsten Jahr wieder in altem Glanz erstrahlen soll.

Laut dem Präsidialamt in Paris war es das erste Mal, dass Macron einen ausländischen Regierungschef auf die Baustelle einlud. Und natürlich hatte diese Einladung Symbolgehalt, zumal Japan gerade selbst ein wertvolles Kulturdenkmal nach einem Feuer instand setzt, die Burg Shuri in Okinawa nämlich. Für den gemeinsamen Wunsch nach Wiederaufbau in schwierigen Zeiten sollte der Besuch stehen und damit auch zeigen, wie nah sich Japan und Frankreich sind.

Anschließend fuhren Kishida und Macron in den Élysée-Palast zu einem Arbeitsessen. Später erklärten sie gemeinsam, dass wegen Wladimir Putins Krieg in der Ukraine weiterhin strenge Sanktionen gegen Russland und Hilfe für Kiew nötig seien.

Kishida braucht dringend den Rückhalt der G 7

Japan hält in diesem Jahr den Vorsitz in der Gruppe der sieben bedeutendsten freiheitlichen Industriestaaten, der G 7. Deshalb tourt Premierminister Kishida dieser Tage durch Europa und Nordamerika. Nach dem Besuch am Montag in Paris traf er am Dienstag in Rom Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, anschließend ist er in Großbritannien, Kanada und den USA. Es geht darum, den G-7-Gipfel am 19./20. Mai in Hiroshima vorzubereiten und Gedanken zur unruhigen Weltlage auszutauschen, zum Beispiel zu Themen wie Lebensmittel- und Energieversorgung.

Kishida, 65, will außerdem seine Vision einer atomwaffenfreien Welt anschieben. Die passt zum Schauplatz des Gipfels: Hiroshima, Kishidas Geburtsort, war 1945 die erste Stadt der Welt, die von einer Atombombe getroffen wurde.

Aber nicht nur deshalb ist die Reise für Kishida wichtig. Japan hat gerade erst seine nationale Sicherheitsstrategie umgeschrieben. Seit Dezember steht demnach fest, dass das Land sein Verteidigungsbudget von einem auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen wird. Die Raketen, die Tokio dafür anschaffen will, werden im Dienste einer sogenannten Counterstrike Capability stehen, der Fähigkeit zum Gegenschlag. Demnach kann Japan Feinde beschießen, wenn diese einen Angriff vorbereiten. Vor allem die USA begrüßen diese Entwicklung vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Russland, der nuklearen Aufrüstung Nordkoreas und den Machtambitionen Chinas.

Allerdings hat Japan noch seine pazifistische Verfassung, die dem Land wegen dessen Rolle im Zweiten Weltkrieg jede Aggression verbietet. Kishida braucht deshalb umso dringender den Rückhalt der G-7-Partner.

In Paris bekam er den schon mal, vor allem mit Blick auf Chinas autoritäre Regierung, die historische Ansprüche auf das demokratisch regierte Taiwan erhebt. Kishida und Macron betonten, dass der Frieden in der Taiwan-Straße wichtig sei, und verständigten sich auf weitere japanisch-französische Militärübungen im Ostchinesischen Meer. Auch in Rom und London geht es um gemeinsame Rüstungs- und Militärprojekte. Und zum geplanten Treffen Kishidas mit US-Präsident Joe Biden in Washington verkündete eine Sprecherin des Weißen Hauses, man werde "die beispiellose Stärke der Allianz zwischen den USA und Japan feiern".

In Kishidas politischem Umfeld kriselt es

Zu erwarten ist also eine Tour der Schulterschlüsse. Und die braucht nicht nur die freiheitliche Welt, sondern auch Fumio Kishida selbst. Denn seine Machtposition in der Heimat als Premier und Präsident der Regierungspartei LDP ist keineswegs sattelfest. Seine Umfragewerte waren zuletzt nicht gut, und die innenpolitische Lage ist kompliziert.

Der Mord am Ex-Premier und Nationalistenidol Shinzo Abe im Juli hat die LDP in eine Krise gestürzt. Verstrickungen wichtiger Parteimitglieder mit der Sekte Vereinigungskirche wurden bekannt. Unter anderem deshalb baute Kishida im August sein Kabinett um. Ruhe brachte das nicht. Im Gegenteil. Schon vier Minister mussten wegen diverser Enthüllungen zurücktreten - ein Fest für die Opposition.

Die größere Gefahr droht Fumio Kishida aber wohl aus der eigenen Partei. Denn dort gibt es Streit um die Finanzierung der neuen Sicherheitsstrategie. Kishida plant Steuererhöhungen, die Abe-Anhänger sind dagegen und zweifeln ihren Präsidenten teilweise offen an. Sanae Takaichi, Ministerin für wirtschaftliche Sicherheit, twitterte zuletzt, sie verstehe "die wahre Absicht" des Premierministers nicht. Es gibt Geraune, dass Kishida bis zum G-7-Gipfel im Mai gar nicht mehr Premier sein könnte, falls die LDP bei den landesweiten Kommunalwahlen im April markante Verluste einstecken muss.

Fumio Kishida erscheine "zuversichtlich, dass Siege seiner Partei bei den Kommunalwahlen und ein erfolgreicher G-7-Gipfel dazu beitragen, seine angeschlagene Stellung zu stärken", schrieb zuletzt die Nachrichtenagentur Kyodo. Der Premierminister setzt demnach auf Zeichen, die einen guten Eindruck machen. Auch deshalb ist die aktuelle Reise wichtig für ihn. Erst recht der publikumswirksame Besuch in Notre-Dame.

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