Japan:Fumio Kishida tritt als Premierminister zurück

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Kein Rückhalt mehr in der Partei: Der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida tritt zurück. (Foto: dpa)

Japans Regierungschef hat die Folgen des Spendenskandals seiner Partei nicht in den Griff bekommen und zieht sich zurück. Damit endet eine Amtszeit, die das Land verändert hat.

Von Thomas Hahn, Tokio

Der Rücktritt ist das letzte Mittel eines Staatsmenschen, Verantwortung zu übernehmen. Und natürlich verkaufte auch Japans Premierminister Fumio Kishida den seinen am Mittwoch als Dienst an der Sache, genauer gesagt als Dienst an seiner krisengeschüttelten Regierungspartei LDP. „Der offensichtlichste erste Schritt, um zu zeigen, dass sich die LDP verändern wird, ist mein Rücktritt“, sagte Kishida, 67, bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz in Tokio. Er werde nicht mehr bei der Wahl zum LDP-Vorsitzenden Ende September antreten. Später fügte er hinzu: „Die Entscheidung habe ich selbst getroffen.“

Die LDP ächzt immer noch unter den Folgen eines großen Spendenskandals. Mit seiner Art, diesen aufzuarbeiten, hat Kishida viele Parteikollegen verärgert. Nach diversen Umfragen hat er auch die Zustimmung in der Bevölkerung nicht steigern können. Bei der LDP-Wahl Ende September geht es turnusgemäß um den Führungsposten der Partei. Der wiederum ist nach den Mehrheitsverhältnissen im japanischen Parlament an das Amt des Regierungschefs geknüpft. Kishida sagte, die LDP-Abgeordneten sollten unter einer neuen Führung „als Einheit“ daran arbeiten, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen und Herausforderungen wie die niedrige Geburtenrate sowie die Stärkung der Landesverteidigung anzugehen.

Letztere Anmerkung konnte man auch als Kritik an jenen LDP-Mitgliedern deuten, die ihm seit Beginn seiner Amtszeit im Oktober 2021 das Leben schwer gemacht haben. Die LDP ist eine Ansammlung verschiedener Strömungen von gemäßigt konservativ bis rechtsradikal. Kishida gehört zu den Gemäßigten. Für die rechten Anhänger des früheren Langzeit-Premiers Shinzo Abe war er im Grunde immer ein Kompromisskandidat nach dem Rücktritt des überforderten Yoshihide Suga. Dieser war 2020 Premierminister geworden, weil Abe nach fast acht Jahren im Amt aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war.

Nach Abes Tod kamen unschöne Vorgänge ans Licht

Fumio Kishida versuchte immer wieder, die einflussreiche Abe-Faktion mit Posten und Kompromissen auf seine Seite zu bringen. Doch im Juli 2022 wurde Shinzo Abe von einem ehemaligen Marinesoldaten bei einer Wahlkampfrede niedergeschossen und starb noch am selben Tag. Abe war nicht nur das unumstrittene Idol der Nationalisten in der LDP, sondern auch mächtig genug, um mit seinen Kontakten unerfreuliche Wahrheiten unter Verschluss zu halten. Durch seinen Tod kam heraus, dass sich Abe und andere Abgeordnete der LDP von der Sekte Vereinigungskirche in Wahlkämpfen hatten helfen lassen.

Und als im Herbst 2023 der Rechtsprofessor Hiroshi Kamiwaki aus Kobe wegen Unstimmigkeiten in der LDP-Bilanz Anzeige erstattete, ging die Staatsanwaltschaft der Sache furchtlos nach, weil es ja keinen Abe mehr gab, dessen Einfluss sie bremste. So kam heraus, dass vor allem die Abe-Faktion über Jahre Einnahmen aus Spendenpartys für heimliche Schmiergeldfonds verwendet hatte.

Diese Skandale hat Kishida nie richtig in den Griff bekommen. Er bemühte sich, den Verdacht gegen seine ehemalige Faktion und sich selbst zu entschärfen und bestrafte am Ende vor allem Leute aus dem Lager der Abe-Anhänger. Ungerecht war das vermutlich nicht, aber gegen den Zorn der Nationalisten konnte er seine Partei nicht mehr führen. Die Veränderungen, die mit Kishida gekommen sind, finden diese ohnehin irritierend. Und die Umfragewerte blieben schlecht. Lange trotzte Kishida den Umständen. Wahrscheinlich würde er immer noch gerne weitermachen. Aber die Stimmung ist gegen ihn. Kishida hätte keine Chance bei der Wahl zum LDP-Präsidenten.

In den Machtzirkeln der LDP wünschten sich viele die Abe-Zeit zurück

Ob das für Japan und die internationale Gemeinschaft wirklich eine gute Nachricht ist? Unter Kishida war Japan dem Westen jedenfalls sehr nahe, schmiedete neue Allianzen gegen China und Nordkorea, bewährte sich als aktives Mitglied der G 7 sowie als verlässlicher Partner der Nato. Dass Japan seinen Etat für Verteidigung verdoppelt, begrüßen die USA als Beitrag für mehr Sicherheit im Indopazifik.

Außerdem versuchte Kishida, die Wirtschaft seines überalterten Landes auf mehr Nachhaltigkeit zu trimmen. Es gibt ein neues Amt für Kinder und Familie, das die stetig sinkende Geburtenrate aufhalten soll. Die Löhne sind zum ersten Mal seit Jahrzehnten gestiegen. Und Kishida hat sich vom Wirtschaftsprogramm Abenomics abgewandt, mit dem Shinzo Abe als Premier von 2013 an wenig Wachstum, dafür hohe Staatsschulden und letztlich auch die Schwäche des Yen verursachte.

Aber solche Fortschritte sehen nicht immer sofort wie Fortschritte aus. Und in den Machtzirkeln der LDP wünschten sich viele die Abe-Zeit zurück. Deshalb hat Kishida keinen Rückhalt mehr in der Partei. Die Frage ist: Wer folgt ihm?

Der relativ unbekannte Takayuki Kobayashi hat gute Chancen, Kishidas Nachfolger zu werden

Seit Abes Tod haben die LDP-Rechten kein neues Idol gefunden. Ende Juli stellte die nationalistische Zeitung Sankei und ihr englischsprachiger Ableger Japan Forward den relativ unbekannten LDP-Abgeordneten Takayuki Kobayashi, 49, als „starken neuen Anwärter“ vor, der den Aufbruch in eine neue Ära anleiten könnte. Es kursiert der Verdacht, dass die Altvorderen in der Partei ihn als brauchbare Marionette entdeckt haben. Die rechte Hardlinerin Sanae Takaichi, 63, derzeit Ministerin für die sogenannte wirtschaftliche Sicherheit, will wohl auch bei der Präsidentschaftswahl kandidieren.

Bekannt ist außerdem, dass LDP-Generalsekretär und Kishida-Verächter Toshimitsu Motegi, 68, gerne Premier werden würde. Weitere interessierte Kandidaten sind: der charismatische, nicht unumstrittene Digitalminister Taro Kono, 61, sowie der Ex-Verteidigungsminister Shigeru Ishiba, 67. Ishiba gilt als beliebtester LDP-Politiker Japans. Aber er hat sich mal mit Abe überworfen und ist deshalb in Tokios Politik-Elite ein Außenseiter. Oder könnte vielleicht Kishidas aktuelle Außenministerin Yoko Kamikawa, 71, die erste Frau im höchsten Regierungsamt werden?

Fumio Kishida sparte sich Empfehlungen. Nur eines wollte er zur Kandidatenfrage loswerden. Er habe sich in seiner Amtszeit um notwendige Reformen bemüht und einen Wunsch: Dass die neue Führung diese Bemühungen nicht zurückdreht. „Das ist alles“, sagte der scheidende Premierminister Fumio Kishida.

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