Japan:Minister, die fallen wie Dominosteine

Japans Premierminister Fumio Kishida hat große Probleme in seiner eigenen Partei.

Japans Premierminister Fumio Kishida hat große Probleme in seiner eigenen Partei.

(Foto: Sakchai Lalit/AP)

Premierminister Fumio Kishida verliert in kurzer Zeit drei Kabinettsmitglieder und rutscht immer weiter ins Umfragetief. Das könnte auch Folgen für die westliche Allianz gegen Russland haben.

Von Thomas Hahn, Seoul

Japans Regierungspartei LDP verfügt über ein reiches Angebot an früheren Ministern. Es fiel Premierminister Fumio Kishida deshalb sicher nicht schwer, sofort Ersatz zu finden für Minoru Terada, der am Sonntag nach anhaltender Kritik wegen seiner Wahlkampffinanzierung als Minister für interne Angelegenheiten und Kommunikation zurückrat.

Gleich am Montag präsentierte Kishida den 63-jährigen Parlamentarier Takeaki Matsumoto als Teradas Nachfolger. Kishida sagte, er habe Matsumoto ausgewählt, weil dieser "weitreichendes Fachwissen in Feldern wie Steuerwesen und Kommunikation" vorweisen könne sowie "Erfahrung als Kabinettsminister" habe. Matsumoto war vor elf Jahren mal für ein halbes Jahr Außenminister, insofern wirkte Kishidas Erklärung nicht ganz überzeugend. Aber darum ging es ja auch nicht. Fumio Kishida musste seinen Kritikern zeigen, dass er als Regierungs- und LDP-Chef durchaus auch schnelle Entscheidungen treffen kann.

Denn tatsächlich ist Fumio Kishida mittlerweile derart angeschlagen, dass nicht sicher ist, wie lange er sich noch im Amt halten kann. Minoru Terada ist binnen eines Monats schon der dritte Minister, der seinen Posten aufgeben musste. Am 24. Oktober verließ zunächst Daishiro Yamagiwa als Minister für wirtschaftliche Wiederbelebung auf Drängen seinen Posten, nachdem er eine Verbindung mit der neuen religiösen Bewegung Vereinigungskirche einräumen musste.

Ohne den ermordeten Abe fehlt der stärksten Fraktion die Identifikationsfigur

Am 11. November musste Kishida seinen Justizminister Yasuhiro Hanashi zum Abschied bewegen, weil dieser sich die abschätzige Bemerkung erlaubt hatte, ein Justizminister komme nur dann in den Nachrichten vor, "wenn er seinen Stempel unter ein Todesurteil setzt".

Und dann enthüllte das Wochenmagazin Shukan Bunshun, dass Terada falsche Angaben über seine Ausgaben im Wahlkampf vor der jüngsten Parlamentswahl im Herbst 2021 gemacht habe. Terada musste danach einräumen, dass die Unterlagen zur Finanzierung einer seiner Unterstützergruppen für 2019 und 2020 von einer Person unterschrieben waren, die im Oktober 2019 gestorben war.

"Rücktrittsdomino" nennt die Zeitung Asahi den Vorgang. "Ich entschuldige mich für diese Serie", sagte Kishida am Sonntag. Aber gerade sieht es nicht so aus, als könne er sich mit solchen Höflichkeiten aus dem Umfragetief befreien.

Kishidas Probleme wirken wie ein Vermächtnis des ermordeten Rekordpremiers Shinzo Abe. Am 8. Juli wurde Abe von dem früheren Marine-Soldaten Tetsuya Y. bei einem Wahlkampfauftritt in Nara erschossen. Anders als der gemäßigte Kishida war Abe ein Idol der Radikalsten im konservativen Spektrum der LDP. Ohne Abe fehlt der stärksten Parteifraktion die Identifikationsfigur.

Gleichzeitig zeigte der Mord aber auch, dass viele in der Partei rege Kontakte zur südkoreanischen Vereinigungskirche pflegen, die sich "Familienföderation für Weltfrieden und Vereinigung" nennt und auch als Moon-Sekte bekannt ist. Tetsuya Y. gab als Motiv für seinen Mord an, dass die Kirche seine Mutter mit ihren Spendenforderungen in den Ruin getrieben und Abe Kontakte zu der Kirche gehabt habe.

Diese beiden Krisen, die interne und die nach außen, bekommt Kishida nicht in den Griff.

Kishidas Kurs gegenüber Russland gerät in die Kritik

Zwei Tage nach Abes Ermordung feierte die LDP zwar einen überwältigenden Sieg bei der Oberhauswahl. Mitgefühl nach dem Verlust sowie Kishidas klare prowestliche Politik nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren wahrscheinlich die Gründe für den Erfolg. Doch seither geht es für Kishida bergab. Seine Kabinettsumbildung im August sollte für Distanz zur Vereinigungskirche stehen.

Aber unter LDP-Parlamentariern sind die Kontakte zu der umstrittenen Kirche mit ihrem erzkonservativen Profil derart verbreitet, dass kein glaubwürdiger Schnitt gelang. Dazu passte, dass Daishiro Yamagiwa als Minister bei der Kabinettsumbildung ein Treffen mit der Witwe des Sekten-Gründers verschwiegen hatte.

Das Staatsbegräbnis für Abe im September, von Kishida ohne Abstimmung im Parlament durchgedrückt, empörte so viele Abe-Kritiker, dass es in Tokio zu ungewöhnlich lauten Protesten kam. Abes Anhänger fanden das Begräbnis zwar sicher gut. Dafür gibt es aus deren Reihen mittlerweile hörbare Kritik an Kishidas Kurs gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dessen Krieg in der Ukraine unter Präsident Wolodimir Selenskij.

Der Premier hat nicht viel Zeit, um sein Ansehen zu steigern

Am vergangenen Freitag sagte der frühere Premierminister und LDP-Altvordere Yoshiro Mori zum Krieg Russlands in der Ukraine: "Ich verstehe nicht ganz, warum nur Präsident Putin kritisiert wird, während Herr Selenskij überhaupt nicht in die Pflicht genommen wird. Herr Selenskij hat viele Menschen in der Ukraine leiden lassen." Mori, 85, ist schon lange bekannt für unbedachte Äußerungen. Vor den Olympischen Spielen in Tokio 2021 verlor er seinen Posten als Präsident des Organisationskomitees, weil er in einer Sitzung über Frauen in Vorständen gelästert hatte. Aber unter Abe-Anhängern dürfte seine Meinung durchaus verbreitet sein.

Mori machte die Aussage nach Berichten der Nachrichtenagenturen Kyodo und Jiji bei einer Party zur Unterstützung von Muneo Suzuki, einem altgedienten Parlamentarier der rechtspopulistischen Partei Nippon Ishin no Kai. Für Suzuki ist ein gutes Verhältnis zu Russland der Schlüssel, um vielleicht die südlichen Kurilen vor Japans Nordinsel Hokkaido zurückzubekommen, die Russland seit dem Zweiten Weltkrieg besetzt hält.

Abe sah das genauso. Er hat Putin während seiner Amtszeit deshalb sehr oft getroffen. Mori gehörte seinerzeit zu Abes Sondergesandten. Auf der Party sagte Mori: "Derjenige, der zur Lösung der Situation hätte beitragen können, wäre Shinzo Abe gewesen. Premierminister Fumio Kishida lehnt sich einseitig an die Vereinigten Staaten an."

Kishidas Krise könnte demnach auch ein Problem für die Einheit der G 7 gegen Russland werden. Und viel Zeit scheint er nicht mehr zu haben, um sein Ansehen wieder zu erhöhen. Die Nachrichtenagentur Kyodo berichtet, ein nicht genannter LDP-Parlamentarier habe gesagt: Sollten Parteimitglieder das Gefühl bekommen, mit Kishida könnten die nächsten landesweiten Kommunalwahlen verloren gehen, "würden sie versuchen, ihn als Premierminister abzusetzen". Die landesweiten Kommunalwahlen finden im April 2023 statt.

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