Japan:Fumio, der Freundliche

Japan: Der japanische Premierminister Fumio Kishida bringt die Möglichkeit eines Angriffs ins Spiel, nachdem Nordkorea seit Neujahr mehrere ballistische Raketen ins Meer feuerte.

Der japanische Premierminister Fumio Kishida bringt die Möglichkeit eines Angriffs ins Spiel, nachdem Nordkorea seit Neujahr mehrere ballistische Raketen ins Meer feuerte.

(Foto: AFP)

Japans neuer Premierminister Kishida verspricht kluge Pandemie-Politik, Klimaneutralität und einen gerechteren Kapitalismus. Aber in der Sicherheitspolitik schließt er Angriff als Verteidigung nicht aus.

Von Thomas Hahn, Tokio

Der Zufall wollte es, dass Fumio Kishidas Grundsatzrede auf den Tag der nächsten nordkoreanischen Raketentests fiel. Zwei Kurzstreckenraketen habe die Parteidiktatur ins Meer gefeuert, hatte es am Montagmorgen geheißen, ehe Japans Premierminister Kishida zum Auftakt der nächsten Parlamentsperiode in Tokio ans Pult trat. Es waren schon der fünfte und der sechste Waffentest Nordkoreas im neuen Jahr gewesen. Natürlich musste Kishida dazu etwas sagen. "Unakzeptabel" nannte er die Handlungen. Er bekannte sich zum diplomatischen Austausch. Aber er erklärte auch, dass Japan sich irgendwann mit Angriffen gegen Nordkorea verteidigen könnte.

"Wir werden uns etwa ein Jahr Zeit nehmen, um eine neue nationale Sicherheitsstrategie, ein nationales Verteidigungsprogramm und einen mittelfristigen Plan zur Entwicklung der Streitkräfte auszuarbeiten", sagte Fumio Kishida, "während dieses Prozesses werden wir alle Optionen realistisch in Betracht ziehen. Einschließlich der sogenannten Fähigkeit zum Angriff auf feindliche Stützpunkte, ohne diese auszuschließen." Denn damit könnte Japan Atomangriffen zuvorkommen.

Mit seinen ständigen Waffenvorführungen macht es Nordkorea den Nachbarn nicht leicht

Es sind raue Zeiten im indopazifischen Raum. Mit seinen ständigen Waffenvorführungen macht es Nordkorea den Nachbarn nicht leicht. China plustert sich auf. Japan muss zusehen, dass es ausreichend gesichert ist gegen die Angriffe, die hoffentlich nie kommen. Trotzdem wirkte diese Passage der Kishida-Rede am Montag etwas forscher, als es für den Frieden in der Region gut sein könnte.

Japan, Aggressor und Verlierer des Zweiten Weltkriegs, einst Kolonialmacht in China und Korea, ist im Bündnis mit den USA nicht umsonst an eine pazifistische Verfassung gebunden, die dem Inselstaat jeden militärischen Angriff verbietet. Und gerade Kishidas LDP, die von nationalistischen Kräften bestimmte Liberal-Demokratische Partei, hat in den vergangenen Jahren wenig für eine vertrauensstiftende Aufarbeitung der Vergangenheit getan. Im Gegenteil: Die pazifistische Verfassung umzuschreiben, ist das erklärte Ziel im Machtzirkel um den früheren Premier Shinzo Abe.

Kishida stammt aus Hiroshima, aus der Stadt, auf die 1945 die erste US-Atombombe fiel

Und in diesem Sinne regiert nun also auch Kishida, darauf deutete zumindest die kurze Passage im späten Teil seiner Grundsatzrede hin. Fumio Kishida, 64, seit Anfang Oktober im höchsten Regierungsamt, wirkt eigentlich eher wie ein sanfter Konservativer, der sich allenfalls aus Karriere-Gründen auf die Seite von Hardlinern wie Abe schlägt. Bewaffnung ist nicht sein Thema, im Gegenteil. Kishida stammt aus Hiroshima, aus der Stadt, auf die 1945 die erste US-Atombombe fiel. Er ist ein Kämpfer für eine atomwaffenfreie Welt.

Und in den ersten Monaten an der Regierungsspitze tritt er auf wie einer, mit dem alles gut werden soll: die Ungleichheit in der Gesellschaft, die gezeichnete Wirtschaft, die Pandemie. Vor Kurzem besuchte er sogar als erster Premierminister seit Abe 2013 den japanischen Gewerkschaftsbund Rengo, um die Leute dort auf seine Seite zu bringen.

Auch bei seiner 40-minütigen Rede am Montag war er zunächst wieder der nette Herr Kishida. Der sorgende Neue, der das Land mit Vernunft und ohne Spinnerei aus dem Tief des Vorgängers holt. Abe-Nachfolger Yoshihide Suga hatte sich wie ein ideenloser Krisenverwalter durch seine einjährige Amtszeit geschleppt. Als Kishida seinen Platz übernahm, waren die umstrittenen Olympischen Spiele von Tokio vorbei, sah die Impfquote gut aus, waren die Infektionszahlen unten. Und bald stand das nächste riesige Corona-Hilfspaket, das zum Rekordhaushalt von 107,6 Billionen Yen, umgerechnet rund 823,35 Milliarden Euro, beiträgt.

Die Pläne für Wirtschaft und Klima wirkten unscharf, aber im Grunde gut

Weiterhin genießt Kishida die Gunst der frühen Amtsphase. Wegen Omikron sind die Infektionszahlen wieder hoch. Aber Omikron drückt nicht so stark aufs Gesundheitssystem wie frühere Mutanten. Und Kishida tut was: Die strenge Einreisesperre wurde bis Februar verlängert, die Booster-Politik leicht beschleunigt: 18- bis 64-Jährige bekommen die dritte Impfdosis neuerdings sieben statt acht Monate nach der zweiten, über 64-Jährige sechs statt sieben. "Lassen Sie uns diese nationale Krise überwinden", rief Kishida ins Plenum. Und dann redete er wieder von dem "neuen Kapitalismus", den er nach den neoliberalen Jahren unter Abe und Suga einführen will, von höheren Löhnen und "verdoppelten Investitionen" für ein klimaneutrales Japan 2050. Die Pläne wirkten unscharf, aber im Grunde gut.

Bis die Aussicht auf die neue Sicherheitspolitik kam. Will Japan wirklich den Erstschlag zur Verteidigung? Wie würden Partner und Nachbarn reagieren? Fumio Kishidas schöne Versprechen hallten nach. Aber von den rechten Zielen in Japans Politikelite konnten sie nicht ablenken.

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