Süddeutsche Zeitung

Japan: Erdbeben, Tsunami, Reaktorkatastrophe:Verseuchtes Wasser im Kraftwerk, Angst in der Luft

Wie verkraftet der Pazifik das radioaktive Meerwasser, welche Rolle spielt das Wetter und in welchem Maße kann sich die Strahlung weltweit ausbreiten?

Patrick Illinger

Was bedeutet das viele hochradioaktive Wasser in den Kraftwerksgebäuden von Fukushima-1?

Das Wasser in einigen Gebäuden der Atomanlage von Fukushima ist nach Angaben der Betreibergesellschaft Tepco extrem radioaktiv verseucht. Die zuständigen Ingenieure nannten eine Strahlungsstärke von 1000 Millisievert pro Stunde in einem der Turbinenhäuser. Einer solchen Radioaktivität dürften sich Kraftwerksarbeiter gemäß der aktuell in Japan geltenden Grenzwerte maximal 15 Minuten lang aussetzen, bis die zulässige Jahresdosis erreicht wäre. In Deutschland wäre die Maximaldosis nach einer Minute erreicht. Wegen der Strahlung wurden die Rettungsarbeiten an diesem Wochenende zeitweise unterbrochen.

Rätselhaft blieb, warum das stark strahlende Wasser ausgerechnet in den Turbinengebäuden gefunden wurde. Dort soll es stellenweise mehr als einen Meter hoch stehen. Die Turbinenhäuser liegen neben den eigentlichen Reaktorblöcken. Das Wasser müsste durch Röhren geflossen sein, welche normalerweise Dampf aus dem eigentlichen Reaktor in die Turbine pressen. Die Turbine wiederum treibt im Normalbetrieb die stromproduzierenden Generatoren an.

Neben der starken Strahlung des Wassers macht Experten auch die chemische Zusammensetzung Sorgen: Offenbar wurden in dem Wasser große Mengen Jod-134 sowie Cäsium-137 und weitere Elemente gefunden, die eigentlich nur aus dem Reaktorkern stammen können. Das nährt die Vermutung, dass zumindest in Block 2 der Anlage der innerste Kessel des Reaktors, der Druckbehälter, Risse hat. In diesem Fall könnten Teile des eventuell geschmolzenen Reaktorkerns ausgelaufen sein. Sollte das zutreffen, ist damit zu rechnen, dass noch viel Radioaktivität in die Umwelt gelangen kann.

Wie verkraftet der Pazifik die Radioaktivität im Meerwasser?

Seit rund zehn Tagen pumpen die Techniker Tausende Tonnen Meerwasser in die zum Teil aufgerissenen Reaktorgebäude, offenbar ohne sich darum zu kümmern, wohin das viele Wasser letztlich fließt. Insofern ist es nicht überraschend, wenn nun im Meer rund um die Reaktoranlage steigende Strahlungswerte gemessen werden, die punktuell fast 2000 Mal so hoch liegen wie der Grenzwert für Meerwasser.

Es ist offenbar viel kontaminiertes Wasser in den Pazifik geflossen. Als Glück im Unglück ist zu werten, dass radioaktive Substanzen im Meerwasser schnell verdünnt werden. Ein großer Teil der Strahlung stammt zudem von Jod-Isotopen, die eine relativ kurze Halbwertszeit haben, sodass ihre Strahlung in Tagen oder Wochen verlorengeht. Auch ist damit zu rechnen, dass zumindest die schwereren der chemischen Elemente aus den Reaktoren in Richtung Meeresboden absinken. Muscheln und andere Weichtiere, die üblicherweise Schadstoffe in ihrem Organismus ansammeln, dürften am ehesten auch radioaktive Stoffe in ihren Organismus einbauen. Von dort könnten sie schließlich auch in Raubfische gelangen. Meeresbiologen rechnen jedoch derzeit nicht mit einer großräumigen Verstrahlung des Meeres und seiner Ökosysteme.

Welche Rolle spielt zurzeit das Wetter in Japan?

Die Windrichtung in der Region Fukushima war an diesem Wochenende tendenziell günstig. Es herrschten Nordwest- und Westwinde vor, die auch am Montag anhalten sollen. Am Dienstag könnten wieder Luftmassen nach Norden strömen und das Gebiet rund um die Millionenstadt Sendai treffen.

Was ist noch zu retten?

Im besten Fall gelingt es den japanischen Rettungsarbeitern, die weiterhin überhitzten Atomreaktoren sowie die Abklingbecken auf die notwendigen Temperaturen zu kühlen. Hierbei werden Fortschritte gemeldet; so wurde am Wochenende an mindestens zwei Reaktoren die Kühlung auf Süßwasser umgestellt. Dieses hat gegenüber Meerwasser den Vorteil, dass sich beim Verdampfen keine Salzreste bilden, die sich zwischen den Brennelementen festsetzen und den Kühlfluss behindern können. Es soll auch ein Schiff der amerikanischen Marine mit großen Mengen Kühlwasser zum Unglücksreaktor unterwegs sein.

Zugleich wäre es womöglich sinnvoll, das ablaufende Kühlwasser aufzufangen und beispielsweise in einer Erdgrube versickern zu lassen. Geologisch gesehen steht das Kraftwerk auf einer dicken Tonschicht. Diese könnte Wasser filtern. Das würde zwar das Gebiet um den Reaktor zusätzlich belasten, würde aber eine unkontrollierte Ausbreitung, beispielsweise im Meer, eventuell verhindern.

Bereits jetzt ist sicher, dass das Kraftwerksgelände mitsamt der Sperrzone und höchstwahrscheinlich auch noch weitere Bereiche der Region Fukushima auf lange Zeit hinaus nicht mehr bewohnbar sein werden. Sollten außerdem in einem oder mehreren Blöcken des Kraftwerks die Druckbehälter geborsten sein, so müsste die Anlage, nachdem sie abgekühlt ist, wahrscheinlich mit massivem Materialaufwand zubetoniert werden.

Wie stark sind die Region Fukushima und der Rest Japans aktuell belastet?

Die wenigen im Internet direkt ablesbaren Strahlungsmessungen lassen darauf schließen, dass die Strahlung generell abnimmt. Speziell ein in den vergangenen Tagen mit bis zu 150 Mikrosievert pro Stunde verstrahlter Landstrich 30 Kilometer nordwestlich von Fukushima ist derzeit nur noch mit etwa 50 Mikrosievert pro Stunde belastet.

Außerdem hat auch die Strahlung an einem Messpunkt in der Region Ibaraki, etwa 130 Kilometer südlich von Fukushima, in den vergangenen Tagen stetig abgenommen. Seit dem Tsunami-Unglück vom 11. März hat sich jedoch mehrmals gezeigt, dass plötzliche Ereignisse in Fukushima-1 die Strahlung in mehreren Regionen Japans schlagartig wieder in die Höhe treiben können.

In welchem Maße kann sich die Strahlung über die Erde ausbreiten?

Spuren der radioaktiven Elemente aus der Reaktoranlage von Fukushima haben Europa bereits erreicht. Die Mengen sind jedoch äußerst gering und nur mit höchst sensiblen Messgeräten zu entdecken. Eine der empfindlichsten Anlagen für die Messung von Radionukliden in der Atmosphäre steht auf dem Berg Schauinsland bei Freiburg im Breisgau. Deren Messwerte veröffentlicht das für die Anlage zuständige Bundesamt für Strahlenschutz im Internet unter der folgenden Adresse: www.bfs.de/en/ion/papiere/schauinsland.html

Am Sonntag zeigte die Anlage noch keine Ausschläge abseits der natürlichen Radioaktivität in der Luft. Die bislang entdeckte Radioaktivität aus Japan befindet sich derzeit in hoch gelegenen Luftschichten über Nordeuropa. Experten rechnen aber grundsätzlich nicht damit, dass Europa ernsthaft von Radioaktivität aus dem Katastrophengebiet in Japan bedroht ist. Das gilt auch für den Fall, dass sich die Katastrophe in Fukushima ausweitet.

Sollte man Lebensmittel aus Japan derzeit meiden?

Mehrere Länder haben den Import von Lebensmitteln aus Japan ganz oder teilweise eingeschränkt, darunter China, Südkorea, Taiwan, Australien und Singapur. Tatsächlich erscheint es derzeit sinnvoll, zumindest auf landwirtschaftliche Produkte aus den betroffenen Provinzen zu verzichten. Vor der Einfuhr in die EU müssen Lebensmittel aus zwölf japanischen Präfekturen derzeit in Japan auf Radioaktivität geprüft werden. In Deutschland gibt es allerdings ohnehin nicht viele frische Lebensmittel aus Japan im Handel.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2011/cag
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