Japan:Der Wechsel ist absehbar

In Japan zeichnet sich nach mehr als 50 Jahren ein historischer Machtwechsel ab: Erste Nachwahlbefragungen deuten auf einen klaren Sieg der Opposition hin.

Mit überwältigender Mehrheit haben die Japaner bei den Parlamentswahlen für einen historischen Machtwechsel gestimmt. Die oppositionelle Demokratische Partei (DPJ) errang bei dem Urnengang am Sonntag deutlich mehr als die Hälfte der Sitze im Unterhaus, wie aus Nachwahlumfragen japanischer Medien hervorging. Die seit mehr als 50 Jahren regierenden Liberaldemokraten (LDP) wurden von den Wählern abgestraft.

Wahl in Japan, AP

In Japan deutet sich ein Regierungswechsel an - insgesamt waren 103 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgefordert.

(Foto: Foto: AP)

Die DPJ mit ihrem Spitzenkandidaten Yukio Hatoyama erlangte bei dem Urnengang voraussichtlich 315 der 480 Sitze im Unterhaus, wie der Fernsehsender TV Asahi unter Berufung auf Nachwahlumfragen berichtete. Der Rundfunksender TBS sprach sogar von 321 Sitzen für die Mitte-Links-Partei, der staatliche Rundfunksender NHK von 298.

Die konservative LPD von Regierungschef Taro Aso kommt den Schätzungen zufolge auf zwischen 84 und 131 Sitze. "Es ist ein Erdrutsch-Sieg, eine dramatische Wahl", sagte der Journalist Hiroshi Hoshi. Im scheidenden Parlament hatte die LPD noch 303 Sitze, die DPJ stellte 112 Abgeordnete.

Die Nachricht von ihrem wahrscheinlichen Sieg wurde im Hauptquartier der DPJ im Tokioter Stadtteil Roppongi mit tosendem Applaus begrüßt. "Wir haben sehr hart gearbeitet, um an die Regierung zu kommen. Endlich haben wir die Unterstützung der Mehrheit der Bürger", sagte der ranghohe DPJ-Politiker Yoshihiko Noda dem Sender NHK.

Massive gesellschaftliche Probleme

Asos Niederlage war allgemein erwartet worden. Die eigentlich als risikoscheu geltenden Japaner sehnten sich - verunsichert durch die steigende Arbeitslosigkeit und die Überalterung der Gesellschaft - nach einem Wandel. Mit ihrem Slogan "Eine Politik im Dienste der Menschen" traf die DPJ den Nerv der Bürger. Die Mitte-Links-Partei will das soziale Netz ausbauen. Sie tritt unter anderem für finanzielle Hilfen für Familien, das Recht auf kostenlose Bildung, die Zahlung von Arbeitslosengeld und die Erhöhung des Mindestlohns ein.

"Ich glaube, wir brauchen jetzt einen Wechsel", sagte der Rentner Toshihiro Nakamura nach der Stimmabgabe in Tokio. Die seit 1955 fast ununterbrochen regierende LDP habe die japanische Politik zu lange dominiert. "Dies ist die Wahl, mit der die LDP verabschiedet wird", sagte die 77-jährige Haruko Kurakata. Wie die Rentnerin waren viele Bürger damit unzufrieden, dass Aso und seine drei Vorgänger mit dem Mandat des 2006 zurückgetretenden Junichiro Koizumi regierten, ohne Neuwahlen anzusetzen.

Die Wahlbeteiligung war trotz eines herannahenden Taifuns relativ hoch, zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale hatten 48,8 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben. 13 Prozent der Wahlberechtigten hatten bereits vorher per Briefwahl gestimmt. Insgesamt waren 103 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen.

Sollte sich der Sieg der DPJ bestätigen, stünden dem designierten Regierungschef Hatoyama schwierige Aufgaben bevor. Japan steckt angesichts der weltweiten Finanzkrise in der schlimmsten Rezession der Nachkriegsgeschichte. Kritiker bemängeln, dass es seiner Partei an Erfahrung mangelt, da sie noch nie an der Regierung war. Um dies zu widerlegen, will Hatoyama bereits am Montag nach Vorbild der USA ein Team nominieren, das die geordnete Übergabe der Regierungsgeschäfte regeln soll.

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