Japan:Der Premier, der nicht glänzen will

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Alle Jahre wieder zu Besuch bei den Selbstverteidigungskräften: Premierminister Yoshihide Suga sitzt im Cockpit eines Kampfflugzeugs der japanischen Luftstreitkräfte. (Foto: Kimimasa Mayama/dpa)

Den dritten Monat ist Yoshihide Suga im Amt und zeigt dabei vor allem einen Ehrgeiz: den wirtschaftsnahen, rechtskonservativen Kurs seines Vorgängers Shinzō Abe fortzusetzen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am Samstag hat Premierminister Yoshihide Suga die japanischen Selbstverteidigungskräfte auf dem Luftwaffenstützpunkt in Saitama besucht. Er ließ sich in einem Militärjet fotografieren. Er fuhr im offenen Wagen an den Soldaten vorbei, stehend, die rechte Hand am Herzen. Er hielt eine Rede, in der er an den Zusammenhalt appellierte. Er sprach von den Bedrohungen der Gegenwart, von der Entschlossenheit, im nächsten Jahr die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio abzuhalten. Er sagte laut dem Fernsehsender NHK außerdem, die japanische Regierung führe einen "kompromisslosen Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie". Der Termin war Routine, Japans Premier besucht die Selbstverteidigungskräfte jedes Jahr. Trotzdem wirkte es so, als sei Suga am falschen Ort. Denn der Kampf, den er erwähnte, spielt sich ja gerade woanders ab. In den Krankenhäusern des Inselstaates nämlich, die wegen steigernder Infektionszahlen wieder an den Rand ihrer Belastbarkeit kommen.

Yoshihide Suga, 71, befindet sich im dritten Monat seiner Amtszeit. Es ist viel passiert, seit er am 16. September dem zurückgetretenen Shinzō Abe nachfolgte. Ein neuer US-Präsident wurde gewählt. Neue innenpolitische Kontroversen haben begonnen. Die nächste Coronavirus-Welle hat Japan erfasst. Yoshihide Suga hat seine ersten Bewährungsproben als höchster Krisenmanager und Diplomat Japans hinter sich. Und man hat dabei einen glanzlosen Mann erlebt, der kaum einen anderen Ehrgeiz zu verfolgen scheint, als Japans wirtschaftsnahen, rechtskonservativen Kurs fortzusetzen.

Das ist keine Überraschung. Vom Zauber eines neuen Anfangs war wenig zu spüren, als die Altvorderen der Regierungspartei LDP nach Abes gesundheitsbedingtem Rücktritt im August dessen Nachfolge organisierten. Nach kurzen, präzisen Abstimmungsprozessen fiel die Wahl auf Suga. Sein Auftrag: Kontinuität. Suga hatte die gesamte fast achtjährige Abe-Regentschaft als Kabinettschefsekretär begleitet. Man konnte sich darauf verlassen, dass er den Auftrag erfüllen würde. Und genau das tut er jetzt. Mit aller Konsequenz.

Innenpolitisch ist ihm der Start glatt misslungen

Er hatte einen grünen Moment, als er in seiner ersten Grundsatzrede erklärte, Japan solle bis 2050 emissionsfrei sein. Zuletzt sagte er, er wolle, dass Japan Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel werde. Aber sonst? Seine Regierung wirkt bisweilen unbelehrbar und festgefahren im eigenen Japan-first-Verständnis. Suga bleibt hart im Streit mit Südkorea, bei dem es letztlich um die Aufarbeitung der japanischen Kolonialherrschaft in Korea geht. Und beim ersten Telefonat mit dem designierten US-Präsidenten Joe Biden musste Suga unbedingt Hilfe im Ringen um nach Nordkorea entführte Japaner erbitten. Das Thema ist so etwas wie ein japanischer Nationalkummer um Einzelschicksale - ernst zu nehmen, aber nachrangig bei einer Weltlage mit Klimawandel, internationalen Konflikten, gesellschaftlicher Spaltung und Pandemie.

Innenpolitisch ist Yoshihide Suga der Start glatt misslungen. Im Oktober griff er als erster Premierminister der japanischen Geschichte in die Besetzung des staatlichen Wissenschaftsbeirats ein, als er sechs empfohlenen Professoren aus den Fächern Recht, Geschichte, Politik und Philosophie die Nominierung verweigerte. Warum er das tat? Zu Reportern sagte Suga, er habe die Liste der Nominierten gar nicht richtig gesehen. Im Parlament erklärte er, er habe so entschieden, weil die Beiratsmitglieder "Individuen sein sollten, die Verständnis für die allgemeine Öffentlichkeit haben". Die abgelehnten Wissenschaftler gelten als Kritiker der japanischen Sicherheitspolitik. Sie sehen in dem Vorgang "einen klaren Rechtsbruch". Einer von ihnen, der Philosophie-Professor Sadamichi Ashina von der Universität Kyoto, sagte in einer Pressekonferenz: "Mir drängt sich der Gedanke auf, dass das Problem mit den Versuchen der Regierung zu tun hat, in die Wissenschaft einzugreifen und sie zu kontrollieren."

Die Pandemie entlarvt viele Probleme

Vor allem aber treibt Japans Menschen das Coronavirus-Management der Regierung um. Suga will die richtige Balance zwischen Coronavirus-Bekämpfung und Wirtschaftsförderung finden. Ob ihm das gelingt? Die sogenannte Go-to-Travel-Kampagne ist das Symbol des Zweifels. Diese hat Japans Regierung Ende Juli mit einem Budget von 1,35 Billionen Yen (10,8 Milliarden Euro) aufgelegt. Der Staat finanziert dabei Preisnachlässe und Gutscheine, um Anreize für Inlandsreisen zu schaffen. Dem Tourismus hilft das Programm.

Aber im Herbstwetter steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf Rekordwerte. Der Expertenbeirat der Regierung empfahl deshalb, die Kampagne in Teilen auszusetzen. Suga hörte erst nicht. Dann schwenkte er um. Und jetzt wird die Kampagne kompliziert, weil die Preisnachlässe in Städten mit hohen Infektionszahlen ausgesetzt sind, in anderen weiter gelten. Suga wirkt unentschlossen. Und wie schon vor der Notstandserklärung, die im April und Mai galt, zeigt sich plötzlich wieder, wie anfällig Japans Gesundheitssystem ist.

Im Vergleich zu Europa und Amerika sind die Infektionszahlen niedrig, aber trotzdem schon so hoch, dass die Intensivpflegebetten knapp werden. In der Zeitung Asahi sagt Yoshihiro Yamaguchi, Direktor des Trauma- und Intensiv-Zentrums im Kyorin-Universitätskrankenhaus von Tokio: "Wir sind an der Grenze unserer Möglichkeiten." Das Problem ist dabei nicht nur die Anzahl der Betten, sondern der Personalmangel im Gesundheitswesen. Der wiederum hat mit der schrumpfenden Bevölkerung und der staatlichen Krankenhauspolitik in Japan zu tun.

Die Pandemie entlarvt also tief liegende Probleme in Japan. Schnelle Lösungen gibt es dafür nicht. Aber Premierminister Suga tut sich gerade selbst mit den schnellen Lösungen schwer. Er sagt, er wolle die Ausbreitung des Coronavirus "mit allen Mitteln verhindern". Die Go-to-Kampagne allerdings stoppt er erst mal nicht.

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