Japan: Atomanlage Fukushima-Daiichi:Alle Reaktoren wieder mit Strom versorgt

Weiterhin steigt Rauch aus den Meilern auf, Entwarnung kann nicht gegeben werden. Doch immerhin sollen die sechs Reaktoren in Fukushima wieder eine Verbindung mit dem Stromnetz haben. Im Meerwasser rund um das AKW werden indes drastisch erhöhte Strahlenwerte gemessen.

Der japanische Industrie- und Wirtschaftsminister soll Feuerwehrmänner aus Tokio gezwungen haben, stundenlang Wasser auf den radioaktiv strahlenden Reaktor im Atomkraftwerk Fukushima-1 zu sprühen. Minister Banri Kaieda soll den Männern eine Strafe angedroht haben, falls sie die Aufgabe nicht ausführten, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Japan: Atomanlage Fukushima-Daiichi: Weißer Rauch über dem Reaktor: Die Kühlarbeiten am beschädigten Atomkraftwerk sind vorerst unterbrochen.

Weißer Rauch über dem Reaktor: Die Kühlarbeiten am beschädigten Atomkraftwerk sind vorerst unterbrochen.

(Foto: AP)

Der Gouverneur von Tokio, Shintaro Ishihara, habe sich bei Regierungschef Naoto Kan darüber beschwert. Der Wirtschaftsminister sagte daraufhin auf einer Pressekonferenz am Dienstag: "Wenn meine Bemerkungen Feuerwehrmänner verletzt haben, (...) möchte ich mich in diesem Punkt entschuldigen." Er ging allerdings nicht näher darauf ein, ob die Vorwürfe gerechtfertigt seien, schrieb Kyodo.

Die Situation des havarierten japanischen Atomkraftwerks Fukushima-1 ist weiterhin instabil: Der Temperaturanstieg um den Kern des Reaktors 1 stellt nach Ansicht des Betreibers einen Grund zur Besorgnis dar. Die Blöcke 1, 2 und 3 müssten zudem durch zusätzliche Wasserzufuhr weiter gekühlt werden. Ein Vertreter der japanischen Regierung erklärt, es sei äußerst unwahrscheinlich, dass die Abklingbecken erneut einen kritischen Zustand erreichten. Am Reaktor 2 ist nach Regierungsangaben weiterhin eine kleine Wolke weißen Rauchs zu beobachten. Über dem Reaktor 3 stehe kein Rauch mehr. Jedoch sollen alle sechs Reaktoren wieder an die Stromverbindung angeschlossen sein, teilte Tepco mit.

Die Lage bleibe "äußerst angespannt", erklärte der japanische Industrieminister Banri Kaieda am Dienstag. "Es ist nach meinem Gefühl schwierig, von Fortschritten zu sprechen", fügte der auch für die Atomaufsicht zuständige Minister nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Kyodo hinzu. Bei dem weißen Rauch über dem Reaktor 2 handelt es sich nach Ansicht der japanischen Atomsicherheitsbehörde wahrscheinlich um Dampf aus dem Abklingbecken.

Bereits am Montag war über Block 2 Dampf und über Block 3 grauer Rauch aufgestiegen, der bis zum Abend verschwunden war. Die Dampfwolke soll nach Regierungsangaben ungefährlich gewesen sein. Der Rauch über dem Block 3 könnte von brennenden Trümmerteilen stammen. Dies teilte der japanische Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa mit, wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete. Bei dem weißen Dampf über Block 2 handle es sich um Wasserdampf.

Das deutet auf eine anhaltende Wärmeentwicklung im Abklingbecken mit verbrauchten Brennstäbe im Block 2 hin. Aufgrund der Nachwärme in den Reaktoren verdampft das bisher zugeführte Wasser. Die genaue Ursache ist allerdings weiter unklar. "Wir prüfen noch die Lage", sagte ein Tepco-Sprecher.

Die Einsatzkräfte und Arbeiter wurden wegen des Rauches am Montagabend in Sicherheit gebracht, um sie nicht noch stärker zu gefährden. Am Dienstag wurden die Arbeiten dann wieder aufgenommen, wie der Sprecher der Atomsicherheitsbehörde (NISA), Hidehiko Nishiyama, auf einer Pressekonferenz in Tokio erläuterte.

Die Bemühungen, die Kühlsysteme wieder in Gang zu bringen, wurden zwar fortgesetzt - die Kühlung der Reaktoren von außen jedoch nicht. Feuerwehrleute und Soldaten sprühen seit Tagen tonnenweise Wasser auf die überhitzten Reaktoren, um so die Brennstäbe zu kühlen und eine atomare Katastrophe zu verhindern. Diese Arbeiten blieben vorerst unterbrochen.

Zuvor hatte der Betreiber des Meilers, Tokyo Electric Power (Tepco) gemeldet, dass Fukushima-Daiichi wieder an das Stromnetz angschlossen sei. Der Meiler beziehe Energie vom Netz, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf den Betreiber des Meilers.

Meiler wieder am Stromnetz

Für Block 2 bringt das allerdings keine schnelle Hilfe, da dort nach Angaben von Kraftwerksbetreiber Tepco die Pumpen kaputt sind. Es seien Ersatzpumpen mit höchster Dringlichkeitsstufe bestellt worden, hieß es. Wann sie eintreffen, war zunächst nicht bekannt.

Mit dem Anschluss der Reaktorblöcke an die Stromversorgung hoffen die Techniker im Krisenstab von Fukushima-1, die regulären Kühlsysteme wieder in Gang bringen zu können. Doch ob diese noch funktionieren, war auch über Block 2 hinaus nicht abzusehen.

Bereits am Montagmorgen war die Reaktoranlage wegen aufsteigenden Rauchs teilweise evakuiert worden. Nach Angaben von Tepco war die Radioaktivität für kurze Zeit angestiegen, ging dann aber wieder zurück.

Meerwasser radioaktiv verseucht

Unterdessen haben neue Messungen eine starke radioaktive Belastung des Meerwassers in der Nähe des Atomkraftwerks ergeben. Die Messungen fanden 100 Meter von der Küste entfernt statt.

Bei Jod-131 sei ein Wert gemessen worden, der das gesetzliche Maximum um den Faktor 126,7 übersteige, berichtete der Fernsehsender NHK am Dienstag unter Berufung auf Tepco.

Bei Cäsium-134 sei die Verstrahlung 24,8 Mal so hoch wie zulässig. Tepco kündigte weitere Tests vor der Nordostküste der japanischen Hauptinsel Honshu an.

Plan B: Weiter wie bisher

Japans Regierung äußert sich inzwischen wieder skeptischer über die Lage in Fukushima-1. Es sei schwer zu sagen, ob sich das Ganze in eine sichere Richtung entwickle, sagte der Handelsminister laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Kyodo.

Ein Vertreter der Atomsicherheitsbehörde gab sich optimistischer: Sollten die Kühlsysteme einmal repariert sein und wieder funktionieren, könne die Lage in Reaktorkernen und Abklingbecken innerhalb eines Tages normalisiert werden. Falls nicht, müsste die Anlage weiterhin mit Meerwasser gekühlt werden - sobald dies wieder möglich ist.

Japans Armee soll nun täglich über Fukushima-1 fliegen, um in der Anlage die Temperatur zu messen. Das sagte Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa nach Angaben des Fernsehsenders NHK. Bisher hätten die Messflüge zweimal in der Woche stattgefunden.

Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa liegt außerdem ein Hilfsangebot des amerikanischen Militärs vor, ein Team von Atomexperten ins havarierte Kraftwerk Fukushima-1 zu schicken. Kitazawa wolle in den nächsten zwei Tagen entscheiden, ob er dieses Angebot annehme, berichtet Kyodo.

Die Flutwelle, die die beiden Atomkraftwerke in der Präfektur Fukushima - Fukushima-1 (-Daiichi) und Fukushima-2 (-Daini) getroffen hatte, soll 14 Meter hoch gewesen sein, heißt es bei Tepco. Das sei mehr als doppelt so hoch, wie Experten bei der Planung der Anlagen erwartet hatten, berichtete der Fernsehsender NHK. Das Unternehmen hatte am Montag die Wände der beschädigten Kraftwerke untersucht.

Inzwischen haben die Behörden die Zahl der Toten in den von Erdbeben und Tsunami verwüsteten Gebieten nach oben korrigiert: Bis Dienstag wurden mehr als 9000 Leichen geborgen. Das teilte die japanische Polizei mit. Es wird befürchtet, dass sich diese Zahl noch bis zum Abschluss der Bergungsarbeiten verdoppeln wird.

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