Fukushima: AKW-Betreiber Tepco:Neun Monate Ausnahmezustand

Noch drei Monate soll Radioaktivität aus der Ruine dringen, erst in neun Monaten soll die Demontage der Anlage beginnen. Die Betreiberfirma Tepco legt einen Zeitplan vor, der auflistet, wie sie das havarierte AKW Fukushima unter Kontrolle bringen will. Premierminister Kan nennt den Plan, "einen kleinen Schritt vorwärts". Ob die Bewohner aber jemals wieder in die Region zurückkehren können, weiß niemand.

Christoph Neidhart, Tokio

Die Betreiberfirma Tepco hat am Sonntag einen Zeitplan veröffentlicht, wie und wann das havarierte Atomkraftwerk Fukushima I unter Kontrolle gebracht werden kann. Demnach will man die Reaktoren 1,2 und 3 bis Ende des Jahres "kalt abschalten", wie Tepco-CEO Tsunehisa Katsumata vor der Presse sagte.

Premierminister Naoto Kan nannte den Zeitplan "einen kleinen Schritt vorwärts." Eine der größten Schwierigkeiten wird die Entsorgung von Tausenden Tonnen verseuchten Wassers sein, die durch die Notkühlung mit Feuerwehr- und Betonpumpen entstanden sind. Wann die etwa 80.000 Menschen, die wegen der Verstrahlung evakuiert werden mussten, in ihre Häuser zurückkehren können, konnte Katsumata nicht sagen: "Einige offensichtlich nie."

Handels- und Industrieminister Banri Kaieda versuchte dagegen, Zweckoptimismus auszustrahlen. Einige Bewohner würden in sechs bis neun Monaten heimkehren können, versprach er. Bedenkt man, dass die Strahlung inzwischen zu 80 Prozent von langlebigen Cäsium-Isotopen stammt, also lange nicht abklingen wird, wird die Regierung dieses Versprechen allerdings kaum halten können. Es sei denn, die Region würde großflächig dekontaminiert.

Der Sprecher der japanischen Agentur für Nuklearsicherheit, Hidehiko Nishiyama, sagte, seines Wissen sei das bisher noch nie gemacht worden. "Man müßte ja die ganze Fläche dekontaminierten, in der die Menschen leben, die Gebäude und ihre Umgebung. Für letzteres müßte man die oberste Schicht des Bodens entfernen."

Der Zeitplan von Tepco erhält zwar nichts Neues. Wichtig sei er dennoch, meinte Goshi Hosono, ein Berater des Premierministers: "Tepco listet darin detailiert die einzelnen Schritte auf und präzisiert sie". Zudem sei die Firma verpflichtet, sich an den Plan zu halten. Dessen erste Phase soll in drei Monaten abgeschlossen sein. Solange soll noch Radioaktivität aus der Ruine austreten.

Tepco ist nach Meinung von Beobachtern weit davon entfernt, mit dem Zeitplan eine Lösung zu skizzieren. Erst in neun Monaten würde demnach ein Zustand erreicht, der es erlaubt, eine geordnete Demontage der Ruine vorzunehmen. Das Kaltabschalten der Reaktoren, im Normalfall ein Routinevorgang, dürfte dabei weniger Schwierigkeiten machen als die Abklingbecken, die mit nuklearem Brennmaterial gefüllt sind. Sie werden noch immer mit Wasser aus Betonpumpen gekühlt. Der Zeitplan sieht vor, ihre regulären Kühlsysteme zu reparieren. "Es ist durchaus möglich, dass dies nicht geht, weil sie zu sehr zerstört sind", sagt Nishiyama.

Der Idealfall wäre, dass alle Abklingbecken bis Ende des Jahres mit festen Anlagen gekühlt werden könnten. Da Wasserstoff-Explosionen die Dächer der Blöcke 1,3 und 4 weggeblasen haben, werden die dort gelagerten nuklearen Brennstäbe selbst im besten Falle noch neun Monate ungeschützt unter freiem Himmel im Wasser stehen. Wie es dann weitergehe, "darüber gibt es noch keine Ideen", sagt Nishiyama. "Irgendwie wird man einen Kran aufbauen müssen, um sie aus den Becken zu entfernen." Wie das am zerstörten Reaktorgebäude möglich sein werde, könne man noch nicht sagen.

Der Zeitplan nennt zu jedem Schritt mögliche Risiken: So soll die Ruine von Block 4 zum Schutz vor weiteren Erdbeben baulich verstärkt werden. Ein befürchterer Rückschlag dabei wäre, dass das Abklingbecken von Block 4 einstürzt, zum Beispiel wegen eines neuen Erdbebens. Dann würden 1331 Brennstäbe, darunter auch unverbrauchte, ins Erdgeschoß der Ruine durchbrechen. Niemand weiß, wie man sie dort kühlen könnte.

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