Japan:Der Netzwerker hält Japan fest im Griff

Japan's PM Abe addresses Japan's Self-Defense Forces senior members during a meeting at the Defense Ministry in Tokyo

Will eine andere Rolle für die Armee: Japans Premier Shinzo Abe spricht vor hohen Offizieren.

(Foto: Toru Hanai/Reuters)

Premierminister Shinzo Abe regiert das Land länger als alle seine Vorgänger, aber echte Modernisierung betreibt er nicht. Stattdessen will er der Armee eine stärkere Rolle einräumen - wohl aus Angst vor den Nachbarländern Nordkorea und China.

Von Thomas Hahn, Tokio

Es sind schon wieder Tage des Donners, und Japans Premierminister Shinzo Abe weiß: Da muss er jetzt durch. Die Opposition tobt wegen des Kirschblütenfestes, welches die Regierung jedes Jahr für verdiente Prominente veranstaltet. Abe mache daraus zunehmend eine Art Fan-Fest auf Staatskosten mit vielen Anhängern aus seinem Wahlkreis in Yamaguchi. Tatsächlich gibt es eine Videoaufnahme von der jüngsten Feier, auf der sich Abe sehr sportlich abklatschen lässt. Außerdem wurde die Gästeliste gelöscht.

Es leuchtet dem Premier wohl ein, dass das komisch aussieht - sonst hätte er neulich nicht 20 Minuten seiner Zeit geopfert, um der Presse zu erklären, dass alles rechtens gewesen sei. "Ich muss mir Gedanken darüber machen, dass die Zahl der Gäste angestiegen ist", hat er gönnerhaft hinzugefügt und dann das Fest für 2020 abgesagt.

Ein bisschen Einsicht macht sich immer gut, und Abe kann sie sich leisten, denn seine Macht wirkt gerade wie in Zement gegossen. Seit diesem Mittwoch ist Shinzo Abe, 65, der am längsten amtierende Premierminister der japanischen Geschichte. Er hätte sich sicherlich angenehmere Umstände vorstellen können, um die Tatsache zu feiern, dass er jetzt General Taro Katsura überflügelt hat, der zwischen 1901 und 1913 insgesamt 2886 Tage die Regierungsgeschäfte führte. Die Kritik an Abes Seilschaften schlägt hoch, nicht nur wegen der Affäre um das Kirschblütenfest.

Er wirkt hölzern und seine fahrige Sprechweise greifen Kabarettisten sehr gerne auf

Kurz nach einem Kabinettsumbau erklärten zwei seiner Minister ihren Rücktritt, weil sie Wählern unangemessene Geschenke gemacht haben sollen. Und im Parlament ging dem Regierungschef der Abgeordnete Masato Imai von der Demokratischen Partei mit seinen Fragen zu einem möglichen Freundschaftsdienst beim Aufbau einer Tiermedizinfakultät derart auf die Nerven, dass Abe diesen mit Zwischenrufen als Dokumentenfälscher beleidigte.

Jubiläumsatmosphäre fühlt sich anders an. Aber Abe kann damit umgehen. Im Aussitzen von Affären ist er ein Meister. Dieses Talent ist sogar ein Grund dafür, dass er nach einer schwachen ersten Amtszeit von 2006 bis 2007 seit seiner Wiederwahl 2012 der erste Mann im Inselstaat bleiben konnte. Abe ist kein besonders gewandter Mann, eher hölzern, und seine fahrige Sprechweise greifen Kabarettisten sehr gerne auf. Aber er weiß, wie man Macht sichert und Netzwerke knüpft.

Seine Liberal-Demokratische Partei (LDP) ist seit Jahrzehnten die meiste Zeit die Mehrheitspartei gewesen und der Parteichef der Premier. Die Partei war lange eine schwer zu bändigende Organisation mit unabhängigen Querdenkern, vor denen sich der Parteichef rechtfertigen musste. Diverse Reformen in den vergangenen 25 Jahren, teilweise von Abe selbst vorangetrieben, haben dieses System verändert.

Heute kann Abe als Parteichef und Premier bestimmen, wer im politischen Japan Karriere macht und wer nicht. Vetternwirtschaft ist die Schattenseite. Darum ging es zum Beispiel bei den Enthüllungen um zwei Betreiber von Bildungseinrichtungen, die 2017 zu einer echten Belastungsprobe für das System Abe wurden. Den einen Betreiber führte ein Freund Abes, den anderen, nationalistischen bewarb Abes Frau Akie. Die Abe-Administration soll sie bevorzugt behandelt haben. Abe leugnet, er habe etwas damit zu tun, und pflegt weiter sein System enger Freundschaften.

Wirtschaftsschwung durch die "Abenomics"

Ob das Japan hilft? Abe selbst sieht sich als Zukunftsgestalter, der das Land aus Deflation und Verzweiflung gerettet hat. Sein Reform-Konzept "Abenomics" hat in der Tat etwas Schwung und Wachstum gebracht, vor allem dank einer lockeren Geldpolitik zu Zeiten günstiger Weltkonjunktur, die der von Abe ausgewählte Zentralbankchef Haruhiko Kuroda betreibt.

Abe hat sogar einen gesellschaftlichen Wandel eingeleitet. Die Wirtschaft brauchte Veränderung, weil die Bevölkerung schrumpft und altert. Unter Abe ist Japan offener geworden für Touristen, berufstätige Frauen, Arbeitskräfte aus dem Ausland. Aber die große Strukturreform, als eine der Abenomics-Säulen versprochen, fehlt. Das Einwanderungsprogramm zum Beispiel, das seit April läuft und in fünf Jahren 345 000 Arbeitskräfte für Bereiche wie Pflege oder Bau bringen soll, wirkt wie ausgebremst von den strengen Aufnahmebedingungen. Laut Einwanderungsagentur bekamen bis Anfang November 895 Ausländer ihre Arbeitserlaubnis.

Und die politische Kultur im Land ist unter Abe verloren gegangen. Das sagt zumindest Kazuo Shii, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Japans (KPJ). Seit 26 Jahren ist Shii Abgeordneter, er gilt als wichtigste Stimme einer gemäßigten Linken, die für individuelle Freiheitsrechte und ein kritisches Selbstbild der früheren Kolonialmacht Japan steht. "Früher hat man mit der LDP ernsthafte Debatten führen können", sagt Shii, "das hat sich unter Abe geändert." Abe ist für ihn ein Nationalist, der Populismus zum Mainstream gemacht hat und Japans Regierung im politischen Spektrum hat abdriften lassen. "Ihr Standpunkt ist nicht konservativ." Sondern? Rechtsradikal? "Genau", sagt Shii.

Ständig spricht Abe von seinem wichtigsten Ziel, nämlich Japans Verfassung von 1947 so zu verändern, dass die Selbstverteidigungskräfte mehr als nur Selbstverteidigung leisten dürfen. Angst vor Nordkorea und China scheint ihn zu treiben. Und das Vermächtnis seines Großvaters: Nobusuke Kishi, Premier von 1957 bis 1960, wollte so eine Verfassungsänderung auch. Über Japans Rolle als Kolonialmacht, die von 1910 bis 1945 Korea besetzte und mit Nazi-Deutschland und Italien in den Zweiten Weltkrieg zog, redet Abe nicht.

Abe ist noch stark, aber der Widerstand formt sich

Das Verhältnis zu Südkorea bleibt frostig, weil Abe es nicht akzeptiert, dass der Oberste Gerichtshof in Seoul geurteilt hat, japanische Firmen müssten südkoreanische Zwangsarbeiter aus der Kolonialzeit entschädigen. Abe beharrt darauf, dass die Aufarbeitung mit einem Vertrag von 1965 beendet ist, den Japan mit dem damals diktatorisch regierten Südkorea abschloss. "Engstirnig" hat die Historikerin und Japan- und Korea-Expertin Alexis Dudden von der Universität in Connecticut dies in der Korea Times genannt: "Das leugnet den Umstand, dass sich Südkoreas Gesellschaft radikal verändert hat seither."

Abe kümmert das nicht. Und wenn seine Regierung Ausstellungen mit japankritischen Kunstwerken die Förderung entzieht wie kürzlich in Wien, scheint er darin keinen Verstoß gegen die Prinzipien der Freiheitsgesellschaft zu sehen.

Es gibt Zeichen des Widerstandes. Bei der Oberhauswahl im Sommer gewann die LDP zwar deutlich - aber ohne die Zweidrittelmehrheit, die Abe für eine Verfassungsänderung braucht. Erst vergangenes Wochenende hat in Tokio eine Gruppe früherer Spitzenpolitiker ein Aktionsbündnis gegen Abes Verfassungskampagne gegründet, um sich den mehr als 7000 Gruppen anzuschließen, die es zu dem Thema schon gibt. Und im Parlament haben Oppositionsparteien eine Allianz gebildet. "Wir arbeiten mit Konservativen zusammen", sagt der Linke Shii, "das ist ein Unikum." Sogar mit dem früheren LDP-Minister Kishiro Nakamura gebe es eine Kooperation.

Der Leidensdruck ist groß unter Japans Demokraten. Es geht für sie um mehr als die Frage, ob der Rekord-Premier Shinzo Abe manchmal zu teure Fan-Feste feiert.

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