Süddeutsche Zeitung

Jamal Khashoggi:Türkei vermutet saudisches Mordkommando hinter Verschwinden von Journalisten

Regimekritiker Jamal Khashoggi betrat das saudische Konsulat in Istanbul und wurde nicht mehr gesehen. Nun streuen türkische Behörden einen ungeheuren Verdacht gegen Saudi-Arabien.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul, und Paul-Anton Krüger, München

Wegen des Verschwindens des saudischen Journalisten und Dissidenten Jamal Khashoggi bahnt sich eine Krise zwischen der Türkei und Saudi-Arabien an. Die türkischen Sicherheitsbehörden vermuten offenkundig, dass er im Generalkonsulat des Königreichs in Istanbul umgebracht und sein Körper später aus dem Gebäude gebracht wurde. Das sagten anonyme Regierungsquellen in Ankara der Washington Post, für die Khashoggi zuletzt im Exil in den USA geschrieben hatte, und mehreren anderen Medien. Belege für diese Anschuldigungen lieferten sie nicht.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte am Sonntag in Ankara, "wir warten auf das Ergebnis der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft". Er sprach von einem "sehr traurigen Ereignis", sagte aber auch, er hoffe immer noch, "dass nichts passiert ist, was wir uns nicht wünschen". Die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet allerdings, am Tag von Khashoggis Verschwinden, dem vergangenen Dienstag, seien 15 Saudis mit zwei Flugzeugen nach Istanbul gereist, unter ihnen Regierungsmitarbeiter. Sie hätten sich zur selben Zeit wie Khashoggi in dem Gebäude aufgehalten und seien inzwischen alle wieder ausgereist. Die anonymen Regierungsquellen sprachen von einem Team, das eigens angereist sei, um Khashoggi zu töten.

Khashoggi hatte sich in seinen Kolumnen und in Fernsehsendungen kritisch über die Außenpolitik und die Wirtschaftsreformen des Kronprinzen Mohammed bin Salman geäußert. Er warf ihm vor, keinerlei politische Öffnung zuzulassen und in Saudi-Arabien trotz gesellschaftspolitischer Liberalisierung ein Klima der Angst geschaffen zu haben. Im Herbst 2017 war er aus Angst, verhaftet zu werden, ins Exil in die USA gegangen.

Saudi-Arabien dementierte entschieden jede Beteiligung am Verschwinden des 59-Jährigen. Ein Vertreter des saudischen Konsulats in Istanbul sagte der staatlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge am Sonntag, die Vorwürfe gegen sein Land seien "gegenstandslos". Ein Team saudischer Ermittler sei mit Billigung Ankaras seit Samstag in Istanbul und arbeite mit den türkischen Behörden zusammen, um Khashoggis Verschwinden aufzuklären.

Khashoggi kam nicht über den Besuchereingang aus dem Konsulat

Kronprinz Mohammed, der in den vergangenen Monaten eine Reihe von Kritikern verhaften ließ, wies in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg jegliche Verantwortung zurück. Seines Wissens habe Khashoggi das Konsulat wenige Minuten oder eine Stunde, nachdem er es betreten hatte, wieder verlassen. Der Journalist sei auch nicht nach Saudi-Arabien gebracht worden. "Das wüsste ich", sagte der Thronfolger. Er stellte es den türkischen Behörden frei, das Konsulatsgebäude zu durchsuchen, obwohl es durch das Wiener Übereinkommen dagegen geschützt ist. "Wir haben nichts zu verbergen", sagte Prinz Mohammed. Auf die Frage, ob in Saudi-Arabien Anklage oder Haftbefehl gegen Khashoggi vorliege, antwortete er nicht.

Die türkischen Behörden hatten vergeblich Aufzeichnungen der Überwachungskameras des Konsulats verlangt. Ihnen wurde aber mitgeteilt - so der türkische Staatssender TRT - dass es keine Bilder davon gebe, wie Khashoggi das Konsulat verlasse. Allerdings fuhren in der fraglichen Zeit auch immer wieder Diplomaten-Fahrzeuge auf dem Gelände ein- und aus. Daran knüpft sich offenkundig der Verdacht, Khashoggi könnte auf diesem Weg aus dem Gebäude gebracht worden sein

Er hatte im Konsulat eine Bestätigung über seine Scheidung abholen wollen, um seine türkische Verlobte heiraten zu können. Das Konsulat war über sein Kommen informiert. Fünf Tage zuvor war Khashoggi unangekündigt in die Vertretung gegangen, um die Papiere zu bekommen. Ihm wurde dann ein Termin genannt, an dem er die Dokumente abholen könne. Diesen nahm er am Dienstag wahr.

Das Verhältnis zwischen der Türkei und Saudi-Arabien ist ohnehin gespannt. Größter Streitpunkt ist die Haltung zum politischen Islam. Während Erdoğan einer der wichtigste Unterstützer der islamistischen Muslimbruderschaft ist, hat Saudi-Arabien diese zur Terror-Organisation erklärt und bekämpft sie zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten entschieden.

Zudem ist die Türkei der engste Verbündete Katars und unterhält dort einen Militärstützpunkt. Saudi-Arabien, die Emirate, Ägypten und Bahrain hatten im Juni 2017 alle diplomatischen und wirtschaftlichen Verbindungen zu dem Emirat gekappt und boykottieren es seither. Sie werfen Katar vor, Terroristen zu unterstützen und sich in ihre jeweiligen inneren Angelegenheiten einzumischen. Eine der Forderungen des Quartetts ist die Schließung des türkischen Stützpunktes in Katar.

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