Journalistenmorde:Keine Gerechtigkeit für Jamal Khashoggi?

Journalistenmorde: Proteste in Istanbul nach der Ermordung des Regimekritikers Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat im Oktober 2018.

Proteste in Istanbul nach der Ermordung des Regimekritikers Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat im Oktober 2018.

(Foto: Osman Orsal/Reuters)

Die türkische Justiz will den Mordprozess im Fall des saudischen Journalisten abgeben - ausgerechnet an Saudi-Arabien. Khashoggis Verlobte macht "materielle Interessen" für den Beschluss verantwortlich.

Von Dunja Ramadan

Es könnte das Ende jeglicher Aufklärung im Fall des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi bedeuten. Der saudische Regimekritiker wurde im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul von einem extra aus seiner Heimat angereisten Mordkommando auf bestialische Weise beseitigt. An diesem Donnerstag hat sich die Istanbuler Staatsanwaltschaft nun für eine Einstellung des dortigen Verfahrens ausgesprochen. Stattdessen soll der Prozess nach Saudi-Arabien verlegt werden.

Also ausgerechnet in jenes Land, das bereits einen Schauprozess im Fall Khashoggi geführt hat. Anfang 2019 verurteilte das Strafgericht in Riad fünf Menschen wegen Mordes zum Tode, drei zu Haftstrafen, drei kamen frei. Die Öffentlichkeit war vom Prozess ausgeschlossen, nicht einmal die Namen der elf Angeklagten drangen durch. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Shalaan al-Shalaan sagte danach, dass "zu Beginn dieser Mission keine vorherige Absicht zum Töten bestand". Agnès Callamard, Sonderermittlerin der UN, wies diese Behauptung als "absolut lächerlich" zurück.

Die Spuren führten schon damals ins engste Umfeld des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Die CIA und Callamard halten ihn für den Auftraggeber des Mords, bin Salman streitet das bis heute ab. "Wie kann der türkische Staatsanwalt die Verlegung des Falls in ein Land verlangen, in dem Straflosigkeit die Regel ist, in dem Jamal Khashoggi einfach keine Gerechtigkeit widerfahren kann und wird?", fragte UN-Ermittlerin Callamard am Donnerstag auf Twitter.

Der Prozess in Istanbul sei die "letzte Chance, dass der mutmaßlich staatliche Auftragsmord an einem kritischen, mutigen Journalisten nicht vollständig ohne Strafe bleibt", twittert Reporter ohne Grenzen diesen Freitag. Die Verlobte des Opfers, Hatice Cengiz, wohnte der Verhandlung am Donnerstag bei und schrieb anschließend, nun werde die Meinung des türkischen Justizministeriums eingeholt. Unter Nennung des Hashtags #justiceforjamal fügte Cengiz hinzu: "Dieses System, das materielle Interessen so sehr in den Vordergrund rückt, wird irgendwann selbst explodieren. Weil es gegen die menschliche Natur verstößt."

Abwesende könnten nicht verurteilt werden, so die offizielle Begründung

Der leitende Staatsanwalt begründete das Stocken des Prozesses damit, dass alle 26 Angeklagten saudische Staatsbürger und abwesend seien; das türkische Gesetz verbiete es, Angeklagte in Abwesenheit zu verurteilen. Doch, wie auch Cengiz angedeutet hat, könnte es noch andere Gründe für die Kehrtwende geben: Sie fällt in eine Phase der Annäherung zwischen den beiden einstigen Rivalen Saudi-Arabien und Türkei. Nach dem Arabischen Frühling im Jahr 2011 war man verfeindet. Während Ankara etwa die demokratisch gewählte Muslimbruderschaft in Ägypten unterstützte, witterten die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, in den demokratischen Gehversuchen eine Gefahr für ihre autokratischen Systeme.

Die Kashoggi-Affäre belastete die Beziehung beider Länder schwer. "Erdoğan akzeptiert das Abraham-Abkommen und möchte seine Beziehungen zu den Golfländern verbessern. Für ihn ist das Recht zweitrangig", sagt der ehemalige AKP-Abgeordnete Emin Şirin der Süddeutschen Zeitung. Was sei nur aus dieser einstigen "Ehrensache" der Türkei geworden, fragt der Kolumnist der liberal-konservativen Habertürk und schlussfolgert: "Es wäre naiv zu glauben, dass die Anfrage eines Staatsanwalts in einem Land wie der Türkei aus seinem eigenen Kopf kommt."

Unter dem Druck der türkischen Wirtschaftskrise hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den vergangenen Monaten wieder die Nähe zur Golfmonarchie gesucht, samt Kooperationen "auf einer Win-win-Basis", wie er es nennt. Erst Ende März kamen sein Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und dessen saudischer Amtskollege Prinz Faisal bin Farhan in Islamabad nach einem Treffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit zusammen. Laut Daily Sabah sagte Çavuşoğlu, man habe sich darauf geeinigt, "die Beziehungen zu verbessern", und nannte die Gespräche "sehr vorteilhaft und zielorientiert". Für die nächste Verhandlung am 7. April sind das wohl keine guten Nachrichten.

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